Positionen
"Die Verantwortung für die Technik kann man nicht delegieren"
Ein Physiker und ein Philosoph diskutieren über Chancen
und Risiken der Nanotechnologie
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Physik trifft Philosophie:
intensiver Meinungsaustausch zwischen Dieter Bimberg (l.) und
Hans Poser
© TU-Pressestelle |
Die Miniaturisierung der Technik schreitet voran. Den Mikroprozessoren
folgt nun die Nanotechnologie, deren Dimensionen sich nach millionstel
Millimetern bestimmen. Über ihre Chancen und Risiken sprachen
der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Hans Poser
und der Physiker Prof. Dr. Dieter Bimberg. Das Gespräch moderierte
der Wissenschaftsjournalist Heiko Schwarzburger.
Die moderne Technik wird immer kleiner, die Materialien immer
feiner. Hat die Miniaturisierung eine natürliche Grenze?
Dieter Bimberg: Die aktiven Bereiche von Bauelementen schrumpfen
bis auf wenige Nanometer. Quantenmechanische Effekte beginnen eine
entscheidende Rolle zu spielen. Es bleiben jedoch Festkörper,
die aus einzelnen Atomen aufgebaut sind. Kleiner als ein Atom kann
eine Funktionseinheit nicht werden. Bei Isolatoren aus Siliziumdioxid
beispielsweise gibt eine einmolekulare Schicht dieses Stoffes die
prinzipielle Untergrenze vor. Hauchdünne Nanoschichten aus
zwei bis drei Atomlagen sind für die Praxis denkbar, doch dann
ist Schluss.
Hans Poser: Heute dominieren die klassischen elektronischen Steuerungen
mit Mikrochips, die im Vergleich zu entsprechenden Nanostrukturen
riesig sind ...
Dieter Bimberg: Denken Sie an die neuen Lacke der S-Klasse von
Mercedes. Die ahmen durch Nanostrukturen eine Eigenschaft von Lotosblumen
nach und weisen den Schmutz komplett ab. Ich bin kein guter Schuhputzer.
Ich fände es prima, wenn sich auch meine Schuhe bei Regen selbst
reinigten. Doch zurück zu den Grenzen der Nanotechnologie:
Wenn Sie auf einem Chip konstanter Größe die zehnfache
Menge Bauelemente integrieren, muss der Energieverbrauch des Chips
trotzdem unverändert bleiben oder sinken, sonst heizt er sich
auf und verdampft. Dann wären wir am Ende der Integration angelangt.
Hans Poser: Nanotechnik eröffnet Chancen; dennoch scheint
mir Vorsicht geboten. So gibt es Sonnencremes mit Nanopartikeln
aus Titanoxid, damit das ultraviolette Licht daran gestreut wird
und in der Haut keinen Schaden anrichtet. Die Industrie hat bisher
nur die Toxizität dieser Titanoxidpartikel geprüft, also
die Frage ihrer Giftigkeit. Wir wissen jedoch nicht, wie Titanoxid
wirkt, wenn es über die Haut tiefer in den Körper eindringt
und sich im Körper anreichert. Ich denke, dass die Nanotechnologie
nicht automatisch zu gefährdungsfreier Technik führt,
nur weil es Nanopartikel auch in der Natur gibt. Nanotechnik entwickelt
und nutzt viele neue Materialien und Strukturen, die bisher in der
Natur nicht vorkommen.
In der Nanotechnologie werden seltene Metalle genutzt, wie Platin,
Titan oder Palladium. Oder so genannte Verbindungshalbleiter wie
Galliumsarsenid ...
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Prof. Dr.
phil. nat. Dieter Bimberg (63) lehrt seit 1982 als Professor
an der TU Berlin. Der Physiker gilt international als Spezialist
auf dem Gebiet der Nanobauelemente, der Halbleitermaterialien
im Nanobereich und der Nanophysik. Er ist Mitglied der Deutschen
Akademie der Naturforscher Leopoldina und erhielt für seine
Arbeiten u. a. den russischen Staatspreis für Wissenschaft
und Technik und den Max-Born-Preis. Er leitet das Institut für
Festkörperphysik der TU Berlin und ist Sprecher des Sonderforschungsbereiches
"Wachstumskorrelierte Eigenschaften niederdimensionaler
Halbleiterstrukturen".
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Dieter Bimberg: Ich will Ihnen ein Beispiel für Gefährdung
nennen: Schon vor zwanzig Jahren haben wir erforscht, wie sich Feinstaub
bestimmter Form und Größe wie Asbest oder Kohlestaub
in den Bronchien und in der Lunge des Menschen sammelt, dort durch
Reizungen Krebs auslöst. Damals nannte man es "lungengängigen
Feinstaub". Deshalb mussten wir optische Messtechniken entwickeln,
um diesen Feinstaub zu messen und zu kontrollieren. Heute können
Sie Messgeräte hierfür kaufen. Was ich sagen will: Gefährdung
ist kein besonderes Problem der Nanotechnologie, sondern jeder neuen
Technik überhaupt. Wir müssen ein offenes Auge für
mögliche Risiken haben und diese bewusst vermeiden und kontrollieren.
Hans Poser: Natürlich wirbeln Nanostrukturen oder staubfeine
Schaltelemente in der Regel nicht frei herum. Aber hat schon mal
jemand untersucht, welche gesundheitlichen Folgen der Abrieb des
Platins aus den Katalysatoren erzeugt? Auch bei der Herstellung
von solchen Nanostrukturen wie bei ihrer Entsorgung entsteht das
Problem, unerwünschte Stäube zu verhindern.
Dieter Bimberg: Solche Stäube lassen sich mit den gängigen
Messgeräten sehr gut überwachen. Wir haben gerade das
neue Nanophotonik-Zentrum bei uns eingeweiht. Seine Reinräume
haben die Güteklasse zehn. Nur zehn Partikel pro Kubikzoll
sind zugelassen. Die Hardenbergstraße hat vielleicht eine
Million Partikel im Berufsverkehr. Wir müssen die Luftqualität
des Reinstraums permanent kontrollieren, sonst funktionieren unsere
Experimente und Verfahren nicht.
Hans Poser: In der Industrie herrscht trotz hohen Verantwortungsbewusstseins
aus wirtschaftlichen Gründen die Devise: Was der Gesetzgeber
nicht verboten hat, ist zulässig. Wir brauchen deshalb eine
Übereinkunft darüber, wie die Nanoforschung zu betreiben
ist, damit sich Fehler wie damals beim FCKW nicht wiederholen. Als
die Fluorkohlenwasserstoffe auf den Markt kamen, galten sie als
völlig unbedenklich. Erst viel später erkannte man ihre
katalytische Wirkung bei der Zersetzung der Ozonschicht.
Braucht die Nanotechnologie eine besondere Vorsicht, eine flankierende
Erforschung potenzieller Gefährdungen?
Dieter Bimberg: Zunächst einmal teile ich die skeptische Einschätzung
zur Produktionssicherheit in der Industrie nicht. Dort gelten fast
noch höhere Standards als in unseren Forschungslabors, denn
jeder Fehler und jede Unterlassung kann enorme wirtschaftliche Verluste
zur Folge haben. Natürlich kann die weitere Forschung zeigen,
dass beispielsweise Platin bisher unbekannte Nebenwirkungen auf
den menschlichen Organismus hat. Das haben wir vor Jahrzehnten beim
Blei erlebt. Die Autoindustrie hat es dem Benzin beigemengt, um
das gefürchtete Klopfen in den Griff zu bekommen. Später
stellte man fest, dass Blei ein Nervengift ist. Nun haben wir bleifreies
Benzin.
Hans Poser: Ein gutes Beispiel, das genau zeigt, was ich meine:
Bisher wurde solchen Fragen immer erst nachgegangen, wenn das Kind
in den Brunnen gefallen war. Ich glaube, das können wir uns
angesichts der technischen Möglichkeiten der Nanotechnologie
nicht mehr leisten.
Dieter Bimberg: Wir sollten solche Wirkungen dann erforschen, wenn
wir ein neues Material oder eine neue Technik erfunden haben. Und
das gilt nicht nur für die Nanotechnologie, sondern für
jedwede Technik überhaupt. Nach meinem Dafürhalten erfordert
die Nanotechnologie keine neue Qualität in der Vorsorgeforschung.
Wir bewegen uns freilich in Dimensionen, die sich der menschlichen
Anschauung entziehen, die wir gerade noch mit speziellen Elektronenmikroskopen
betrachten können. Da entstehen natürlich Ängste,
das kann ich gut verstehen.
Könnte die Nanotechnologie der Messtechnik und der Sicherheitstechnik
dennoch einen Schub verleihen?
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Prof. Dr.
phil. Hans Poser (68) wurde nach dem Staatsexamen in Mathematik
und Physik sowie der Promotion und Habilitation in Philosophie
1971 an die TU Berlin auf den Lehrstuhl für Philosophie
am Fachbereich Geisteswissenschaften berufen. Er beschäftigte
sich intensiv mit der Geschichte der Philosophie von Descartes
bis Kant mit Schwerpunkt auf Gottfried Wilhelm Leibniz. Er forschte
und lehrte zur Philosophie der Mathematik, zur Technikphilosophie
und zur Wissenschaftstheorie. Er war Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Philosophie und ist Vizepräsident
u. a. der Leibniz-Gesellschaft. Im vergangenen Herbst wurde
er emeritiert.
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Hans Poser: Zweifellos. Wenn wir bei bestimmten Nanosystemen
beispielsweise in der Medizin nicht präzise vorhersagen können,
welche Gefährdungen sie möglicherweise mit sich bringen,
wird man neue methodische Verfahren und Simulationen entwickeln,
um diese Potenziale zu erkennen und einzugrenzen.
Dieter Bimberg: Das glaube ich auch. Dieser Bereich wird einen
neuen Schub erhalten.
Hans Poser: Mit der Nanotechnologie verwischt außerdem die
Grenze zwischen der Technik und dem Biotischen, also lebendiger
Substanz. So lassen sich einfache Bakterien "zusammensetzen",
also technisch erzeugen.
Dieter Bimberg: Die kleinsten Transistoren bewegen sich heute in
der Größe von Viren. Bakterien wirken dagegen riesig.
Hans Poser: Damit entstehen auch so genannte Hybride. Das sind
Nanomaschinen, die anorganische Materialien mit organischen Trägern
kombinieren, um zum Beispiel pharmazeutische Wirkstoffe gezielt
durch die Blutbahnen eines Patienten zu schleusen. Auf diese Weise
gelangt der Wirkstoff an genau die Stellen im Körper, wo er
wirken soll.
Dieter Bimberg: Ich kenne Forschungen von Absolventen der TU Berlin,
bei denen Partikel aus Eisenverbindungen in Nanogröße
mit einem Zuckermantel versehen werden. Diese Partikel werden Patienten
mit schwierigen Gehirntumoren injiziert. Die Tumore haben einen
Heißhunger auf Energie, sie ziehen die Zuckerkugeln förmlich
an sich. Mithilfe eines magnetischen Wechselfeldes kann man nun
von außen die Eisenpartikel so weit aufheizen, dass der Krebs
durch lokale Hyperthermie zerstört wird. Das wird derzeit im
Tierversuch getestet, in weniger als zehn Jahren ist eine solche
Therapie auch beim Menschen denkbar.
Also führt die Nanotechnologie auch dazu, dass sich die
klassischen Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen auflösen?
Dieter Bimberg: Das ist eines der Ziele von Nanotechnologie: Wir
wollen die anorganische Welt kompatibel mit der organischen Welt
machen.
Hans Poser: Die klassischen Grenzen der Wissenschaften, wie sie
bis in die 50er- oder 60er-Jahre hinein bestanden, sind in Auflösung
begriffen und die Nanotechnologie wird diesen Prozess noch beschleunigen.
Dieter Bimberg: Das ist für uns an der Technischen Universität
übrigens ein gewaltiger Vorteil, denn wir können die Grenzen
zwischen Grundlagenforschung und der Anwendung durch die Ingenieure
leichter überschreiten. Normale Universitäten haben keine
Ingenieure, ihnen fehlt das ganze Segment der Anwendung.
Geben Sie das Thema Ihren Studenten in den Studienplänen
mit auf den Weg? Wie sensibilisieren Sie Ihre Studenten für
den verantwortungsbewussten Umgang mit den neuen Möglichkeiten
der Technik?
Dieter Bimberg: Das gehört zweifellos in die universitäre
Bildung, doch unsere Spielräume sind durch die Forderung nach
kürzeren Studienzeiten stark eingeschränkt. Als ich seinerzeit
in Tübingen und Frankfurt studierte, hörte ich freiwillig
Vorlesungen bei Walter Jens, bei Ernst Bloch und Theodor Adorno.
Ich brauchte 13 Semester, um mein Physikstudium abzuschließen,
und bin darüber nicht traurig.
Hans Poser: Früher waren im Grund- und Hauptstudium Wahlpflichtfächer
vorgesehen, die vielfach auch Philosophie oder Wissenschaftsgeschichte
zuließen. In den neuen Bachelorstudiengängen wird hierfür
kaum mehr Platz sein.
Dieter Bimberg: Dennoch sollten wir unseren Studenten alle Möglichkeiten
anbieten. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass sich die Frage
des verantwortungsvollen Umgangs mit der Technik nicht auf einzelne
Berufsgruppen wie die Ingenieure oder die Wissenschaftler reduzieren
oder an sie delegieren lässt. Das müssen wir von jedem
Menschen fordern.
Vielen Dank für das Gespräch!
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