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Februar/März 2006
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"Die Verantwortung für die Technik kann man nicht delegieren"

Ein Physiker und ein Philosoph diskutieren über Chancen und Risiken der Nanotechnologie

Physik trifft Philosophie: intensiver Meinungsaustausch zwischen Dieter Bimberg (l.) und Hans Poser
© TU-Pressestelle

Die Miniaturisierung der Technik schreitet voran. Den Mikroprozessoren folgt nun die Nanotechnologie, deren Dimensionen sich nach millionstel Millimetern bestimmen. Über ihre Chancen und Risiken sprachen der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Hans Poser und der Physiker Prof. Dr. Dieter Bimberg. Das Gespräch moderierte der Wissenschaftsjournalist Heiko Schwarzburger.

Die moderne Technik wird immer kleiner, die Materialien immer feiner. Hat die Miniaturisierung eine natürliche Grenze?

Dieter Bimberg: Die aktiven Bereiche von Bauelementen schrumpfen bis auf wenige Nanometer. Quantenmechanische Effekte beginnen eine entscheidende Rolle zu spielen. Es bleiben jedoch Festkörper, die aus einzelnen Atomen aufgebaut sind. Kleiner als ein Atom kann eine Funktionseinheit nicht werden. Bei Isolatoren aus Siliziumdioxid beispielsweise gibt eine einmolekulare Schicht dieses Stoffes die prinzipielle Untergrenze vor. Hauchdünne Nanoschichten aus zwei bis drei Atomlagen sind für die Praxis denkbar, doch dann ist Schluss.

Hans Poser: Heute dominieren die klassischen elektronischen Steuerungen mit Mikrochips, die im Vergleich zu entsprechenden Nanostrukturen riesig sind ...

Dieter Bimberg: Denken Sie an die neuen Lacke der S-Klasse von Mercedes. Die ahmen durch Nanostrukturen eine Eigenschaft von Lotosblumen nach und weisen den Schmutz komplett ab. Ich bin kein guter Schuhputzer. Ich fände es prima, wenn sich auch meine Schuhe bei Regen selbst reinigten. Doch zurück zu den Grenzen der Nanotechnologie: Wenn Sie auf einem Chip konstanter Größe die zehnfache Menge Bauelemente integrieren, muss der Energieverbrauch des Chips trotzdem unverändert bleiben oder sinken, sonst heizt er sich auf und verdampft. Dann wären wir am Ende der Integration angelangt.

Hans Poser: Nanotechnik eröffnet Chancen; dennoch scheint mir Vorsicht geboten. So gibt es Sonnencremes mit Nanopartikeln aus Titanoxid, damit das ultraviolette Licht daran gestreut wird und in der Haut keinen Schaden anrichtet. Die Industrie hat bisher nur die Toxizität dieser Titanoxidpartikel geprüft, also die Frage ihrer Giftigkeit. Wir wissen jedoch nicht, wie Titanoxid wirkt, wenn es über die Haut tiefer in den Körper eindringt und sich im Körper anreichert. Ich denke, dass die Nanotechnologie nicht automatisch zu gefährdungsfreier Technik führt, nur weil es Nanopartikel auch in der Natur gibt. Nanotechnik entwickelt und nutzt viele neue Materialien und Strukturen, die bisher in der Natur nicht vorkommen.

In der Nanotechnologie werden seltene Metalle genutzt, wie Platin, Titan oder Palladium. Oder so genannte Verbindungshalbleiter wie Galliumsarsenid ...

 
Prof. Dr. phil. nat. Dieter Bimberg (63) lehrt seit 1982 als Professor an der TU Berlin. Der Physiker gilt international als Spezialist auf dem Gebiet der Nanobauelemente, der Halbleitermaterialien im Nanobereich und der Nanophysik. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und erhielt für seine Arbeiten u. a. den russischen Staatspreis für Wissenschaft und Technik und den Max-Born-Preis. Er leitet das Institut für Festkörperphysik der TU Berlin und ist Sprecher des Sonderforschungsbereiches "Wachstumskorrelierte Eigenschaften niederdimensionaler Halbleiterstrukturen".
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Dieter Bimberg: Ich will Ihnen ein Beispiel für Gefährdung nennen: Schon vor zwanzig Jahren haben wir erforscht, wie sich Feinstaub bestimmter Form und Größe wie Asbest oder Kohlestaub in den Bronchien und in der Lunge des Menschen sammelt, dort durch Reizungen Krebs auslöst. Damals nannte man es "lungengängigen Feinstaub". Deshalb mussten wir optische Messtechniken entwickeln, um diesen Feinstaub zu messen und zu kontrollieren. Heute können Sie Messgeräte hierfür kaufen. Was ich sagen will: Gefährdung ist kein besonderes Problem der Nanotechnologie, sondern jeder neuen Technik überhaupt. Wir müssen ein offenes Auge für mögliche Risiken haben und diese bewusst vermeiden und kontrollieren.

Hans Poser: Natürlich wirbeln Nanostrukturen oder staubfeine Schaltelemente in der Regel nicht frei herum. Aber hat schon mal jemand untersucht, welche gesundheitlichen Folgen der Abrieb des Platins aus den Katalysatoren erzeugt? Auch bei der Herstellung von solchen Nanostrukturen wie bei ihrer Entsorgung entsteht das Problem, unerwünschte Stäube zu verhindern.

Dieter Bimberg: Solche Stäube lassen sich mit den gängigen Messgeräten sehr gut überwachen. Wir haben gerade das neue Nanophotonik-Zentrum bei uns eingeweiht. Seine Reinräume haben die Güteklasse zehn. Nur zehn Partikel pro Kubikzoll sind zugelassen. Die Hardenbergstraße hat vielleicht eine Million Partikel im Berufsverkehr. Wir müssen die Luftqualität des Reinstraums permanent kontrollieren, sonst funktionieren unsere Experimente und Verfahren nicht.

Hans Poser: In der Industrie herrscht trotz hohen Verantwortungsbewusstseins aus wirtschaftlichen Gründen die Devise: Was der Gesetzgeber nicht verboten hat, ist zulässig. Wir brauchen deshalb eine Übereinkunft darüber, wie die Nanoforschung zu betreiben ist, damit sich Fehler wie damals beim FCKW nicht wiederholen. Als die Fluorkohlenwasserstoffe auf den Markt kamen, galten sie als völlig unbedenklich. Erst viel später erkannte man ihre katalytische Wirkung bei der Zersetzung der Ozonschicht.

Braucht die Nanotechnologie eine besondere Vorsicht, eine flankierende Erforschung potenzieller Gefährdungen?

Dieter Bimberg: Zunächst einmal teile ich die skeptische Einschätzung zur Produktionssicherheit in der Industrie nicht. Dort gelten fast noch höhere Standards als in unseren Forschungslabors, denn jeder Fehler und jede Unterlassung kann enorme wirtschaftliche Verluste zur Folge haben. Natürlich kann die weitere Forschung zeigen, dass beispielsweise Platin bisher unbekannte Nebenwirkungen auf den menschlichen Organismus hat. Das haben wir vor Jahrzehnten beim Blei erlebt. Die Autoindustrie hat es dem Benzin beigemengt, um das gefürchtete Klopfen in den Griff zu bekommen. Später stellte man fest, dass Blei ein Nervengift ist. Nun haben wir bleifreies Benzin.

Hans Poser: Ein gutes Beispiel, das genau zeigt, was ich meine: Bisher wurde solchen Fragen immer erst nachgegangen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen war. Ich glaube, das können wir uns angesichts der technischen Möglichkeiten der Nanotechnologie nicht mehr leisten.

Dieter Bimberg: Wir sollten solche Wirkungen dann erforschen, wenn wir ein neues Material oder eine neue Technik erfunden haben. Und das gilt nicht nur für die Nanotechnologie, sondern für jedwede Technik überhaupt. Nach meinem Dafürhalten erfordert die Nanotechnologie keine neue Qualität in der Vorsorgeforschung. Wir bewegen uns freilich in Dimensionen, die sich der menschlichen Anschauung entziehen, die wir gerade noch mit speziellen Elektronenmikroskopen betrachten können. Da entstehen natürlich Ängste, das kann ich gut verstehen.

Könnte die Nanotechnologie der Messtechnik und der Sicherheitstechnik dennoch einen Schub verleihen?

 
  Prof. Dr. phil. Hans Poser (68) wurde nach dem Staatsexamen in Mathematik und Physik sowie der Promotion und Habilitation in Philosophie 1971 an die TU Berlin auf den Lehrstuhl für Philosophie am Fachbereich Geisteswissenschaften berufen. Er beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte der Philosophie von Descartes bis Kant mit Schwerpunkt auf Gottfried Wilhelm Leibniz. Er forschte und lehrte zur Philosophie der Mathematik, zur Technikphilosophie und zur Wissenschaftstheorie. Er war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie und ist Vizepräsident u. a. der Leibniz-Gesellschaft. Im vergangenen Herbst wurde er emeritiert.
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Hans Poser: Zweifellos. Wenn wir bei bestimmten Nanosystemen beispielsweise in der Medizin nicht präzise vorhersagen können, welche Gefährdungen sie möglicherweise mit sich bringen, wird man neue methodische Verfahren und Simulationen entwickeln, um diese Potenziale zu erkennen und einzugrenzen.

Dieter Bimberg: Das glaube ich auch. Dieser Bereich wird einen neuen Schub erhalten.

Hans Poser: Mit der Nanotechnologie verwischt außerdem die Grenze zwischen der Technik und dem Biotischen, also lebendiger Substanz. So lassen sich einfache Bakterien "zusammensetzen", also technisch erzeugen.

Dieter Bimberg: Die kleinsten Transistoren bewegen sich heute in der Größe von Viren. Bakterien wirken dagegen riesig.

Hans Poser: Damit entstehen auch so genannte Hybride. Das sind Nanomaschinen, die anorganische Materialien mit organischen Trägern kombinieren, um zum Beispiel pharmazeutische Wirkstoffe gezielt durch die Blutbahnen eines Patienten zu schleusen. Auf diese Weise gelangt der Wirkstoff an genau die Stellen im Körper, wo er wirken soll.

Dieter Bimberg: Ich kenne Forschungen von Absolventen der TU Berlin, bei denen Partikel aus Eisenverbindungen in Nanogröße mit einem Zuckermantel versehen werden. Diese Partikel werden Patienten mit schwierigen Gehirntumoren injiziert. Die Tumore haben einen Heißhunger auf Energie, sie ziehen die Zuckerkugeln förmlich an sich. Mithilfe eines magnetischen Wechselfeldes kann man nun von außen die Eisenpartikel so weit aufheizen, dass der Krebs durch lokale Hyperthermie zerstört wird. Das wird derzeit im Tierversuch getestet, in weniger als zehn Jahren ist eine solche Therapie auch beim Menschen denkbar.

Also führt die Nanotechnologie auch dazu, dass sich die klassischen Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen auflösen?

Dieter Bimberg: Das ist eines der Ziele von Nanotechnologie: Wir wollen die anorganische Welt kompatibel mit der organischen Welt machen.

Hans Poser: Die klassischen Grenzen der Wissenschaften, wie sie bis in die 50er- oder 60er-Jahre hinein bestanden, sind in Auflösung begriffen und die Nanotechnologie wird diesen Prozess noch beschleunigen.

Dieter Bimberg: Das ist für uns an der Technischen Universität übrigens ein gewaltiger Vorteil, denn wir können die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und der Anwendung durch die Ingenieure leichter überschreiten. Normale Universitäten haben keine Ingenieure, ihnen fehlt das ganze Segment der Anwendung.

Geben Sie das Thema Ihren Studenten in den Studienplänen mit auf den Weg? Wie sensibilisieren Sie Ihre Studenten für den verantwortungsbewussten Umgang mit den neuen Möglichkeiten der Technik?

Dieter Bimberg: Das gehört zweifellos in die universitäre Bildung, doch unsere Spielräume sind durch die Forderung nach kürzeren Studienzeiten stark eingeschränkt. Als ich seinerzeit in Tübingen und Frankfurt studierte, hörte ich freiwillig Vorlesungen bei Walter Jens, bei Ernst Bloch und Theodor Adorno. Ich brauchte 13 Semester, um mein Physikstudium abzuschließen, und bin darüber nicht traurig.

Hans Poser: Früher waren im Grund- und Hauptstudium Wahlpflichtfächer vorgesehen, die vielfach auch Philosophie oder Wissenschaftsgeschichte zuließen. In den neuen Bachelorstudiengängen wird hierfür kaum mehr Platz sein.

Dieter Bimberg: Dennoch sollten wir unseren Studenten alle Möglichkeiten anbieten. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass sich die Frage des verantwortungsvollen Umgangs mit der Technik nicht auf einzelne Berufsgruppen wie die Ingenieure oder die Wissenschaftler reduzieren oder an sie delegieren lässt. Das müssen wir von jedem Menschen fordern.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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