2-3/06
Februar/März 2006
TU intern
2-3/2006 als
pdf-Datei
(656 kb)
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Exzellenzinitiative
Hochschultag
Innenansichten
Lehre & Studium
Forschung
Alumni
Internationales
Tipps & Termine
Vermischtes
Impressum
TU-Homepage

Nemesis - oder: "... denn sie wissen nicht, was sie tun."

Im Dezember letzten Jahres las man in TU intern das neue Evangelium der Universität: "Vorfahrt für die Lehre". Der Leser erfuhr, seit Sommer 2005 verdaue ein neues Medienzentrum für multimediales Lernen, Lehren und Forschen ("MuLF") zwei Millionen Euro und schicke E-Learning- und E-Teaching-Projekte auf die Überholspur. Weitere 1,7 Millionen habe der Bund für ein Projekt dazugetan, das auf den klangvollen Namen "New Media Support & Infrastructure" hört und mit dem alles "zu einer vernetzten Struktur verwoben" werden soll, was die TU so an Werk- und Festtagen treibt: "Lernen, Wissen, Prüfen, Studieren, Experimentieren und Forschen" - wahrlich eine Aufgabe für Titanen der Didaktik.

Beim Taufakt allerdings lief etwas schief. Der englische Name - Pflicht für jeden, der im Spiel um "excellence clusters" dabei sein will - hatte so gar nichts Zugkräftiges und verlangte ein Kürzel. Es fand sich. "Nemesis" heißt nun das Kind und genießt dank seiner Aussteuer liebevolle Zuwendung. Trotzdem will es seines Lebens nicht froh werden. Aus gutem Grund. Denn sein Name verkündet Unheil. War und ist doch in der europäischen Erinnerung Nemesis die Göttin der Vergeltung, die Rächerin des Übermuts: "O Nemesis", dies wusste schon Euripides, "du bringst zur Ruh' den vermessenen Stolz."

Wessen Stolz muss also gebrochen werden, damit Studierende kürzer studieren und - endlich, endlich! - "didaktisch versierte Hochschullehrer" in die Hörsäle einziehen? Die erste Antwort findet sich schnell. Fort mit den Zauberern, die allein mit der Überzeugungskraft ihres Wissens und einem Stück Kreide vor ihre Studierenden treten. Fort mit den Unbelehrbaren, die an die Macht des Wortes und die Begeisterungsfähigkeit ihrer Zuhörer glauben. Fort auch mit den Ungläubigen, die alle für Gaukler halten, die vom Lernen bis zum Forschen - siehe oben - alles unter einen Hut bringen wollen, auf dem "multimediales Lernen" geschrieben steht.

Nemesis, achtet man auf ihre Taten, erlaubt aber auch eine zweite Antwort. Verleitete sie doch einst Pandora, ein Gefäß zu öffnen, das die Götter mit allen Übeln dieser Welt gefüllt hatten. In dieser Rolle als Verführerin verheißt sie den Propheten des E-Learning und E-Teaching und den damit Beglückten eine düstere Zukunft und so nebenbei erteilt sie den alten Magiern des Wortes die Absolution für ihr vermeintlich nutzloses Tun.

Gedankenspiele. Denn was sich die Meister der Abkürzung dachten, als sie "Nemesis" nannten, was doch den Studierenden Glück und Segen bringen soll, ist an einem Daumen abzuzählen: nichts. Wie die Trojaner einst siegesgewiss ein hölzernes Pferd in ihre Mauern zogen, nicht ahnend, dass es ihnen Tod und Verderben bringt, so schufen sie frohgemut ein Wort, nicht ahnend, dass es sie der Lächerlichkeit preisgibt.

Im Lichthof der Alma Mater schwebt seit Jahrzehnten eine andere griechische Göttin: die Nike von Samothrake. Ihre Stifter schenkten sie der Universität "als eine Huldigung an den Genius Europas". An Tagen, an denen Bildung zur Karikatur verkommt, sehnt sie sich nach einem unauffälligen Platz im Magazin. Dann aber erinnert sie sich, dass im Gefäß der Pandora eines blieb: die Hoffnung. Also bleibt auch sie - noch.

Prof. Dr. Werner Dahlheim,
Fachgebiet Alte Geschichte

© TU-Pressestelle 2-3/2006 | TU intern | Impressum | Leserbriefe