Nemesis - oder: "... denn sie wissen nicht, was sie tun."
Im Dezember letzten Jahres las man in TU intern das neue Evangelium
der Universität: "Vorfahrt
für die Lehre". Der Leser erfuhr, seit Sommer 2005
verdaue ein neues Medienzentrum für multimediales Lernen, Lehren
und Forschen ("MuLF") zwei Millionen Euro und schicke
E-Learning- und E-Teaching-Projekte auf die Überholspur. Weitere
1,7 Millionen habe der Bund für ein Projekt dazugetan, das
auf den klangvollen Namen "New Media Support & Infrastructure"
hört und mit dem alles "zu einer vernetzten Struktur verwoben"
werden soll, was die TU so an Werk- und Festtagen treibt: "Lernen,
Wissen, Prüfen, Studieren, Experimentieren und Forschen"
- wahrlich eine Aufgabe für Titanen der Didaktik.
Beim Taufakt allerdings lief etwas schief. Der englische Name -
Pflicht für jeden, der im Spiel um "excellence clusters"
dabei sein will - hatte so gar nichts Zugkräftiges und verlangte
ein Kürzel. Es fand sich. "Nemesis" heißt nun
das Kind und genießt dank seiner Aussteuer liebevolle Zuwendung.
Trotzdem will es seines Lebens nicht froh werden. Aus gutem Grund.
Denn sein Name verkündet Unheil. War und ist doch in der europäischen
Erinnerung Nemesis die Göttin der Vergeltung, die Rächerin
des Übermuts: "O Nemesis", dies wusste schon Euripides,
"du bringst zur Ruh' den vermessenen Stolz."
Wessen Stolz muss also gebrochen werden, damit Studierende kürzer
studieren und - endlich, endlich! - "didaktisch versierte Hochschullehrer"
in die Hörsäle einziehen? Die erste Antwort findet sich
schnell. Fort mit den Zauberern, die allein mit der Überzeugungskraft
ihres Wissens und einem Stück Kreide vor ihre Studierenden
treten. Fort mit den Unbelehrbaren, die an die Macht des Wortes
und die Begeisterungsfähigkeit ihrer Zuhörer glauben.
Fort auch mit den Ungläubigen, die alle für Gaukler halten,
die vom Lernen bis zum Forschen - siehe oben - alles unter einen
Hut bringen wollen, auf dem "multimediales Lernen" geschrieben
steht.
Nemesis, achtet man auf ihre Taten, erlaubt aber auch eine zweite
Antwort. Verleitete sie doch einst Pandora, ein Gefäß
zu öffnen, das die Götter mit allen Übeln dieser
Welt gefüllt hatten. In dieser Rolle als Verführerin verheißt
sie den Propheten des E-Learning und E-Teaching und den damit Beglückten
eine düstere Zukunft und so nebenbei erteilt sie den alten
Magiern des Wortes die Absolution für ihr vermeintlich nutzloses
Tun.
Gedankenspiele. Denn was sich die Meister der Abkürzung dachten,
als sie "Nemesis" nannten, was doch den Studierenden Glück
und Segen bringen soll, ist an einem Daumen abzuzählen: nichts.
Wie die Trojaner einst siegesgewiss ein hölzernes Pferd in
ihre Mauern zogen, nicht ahnend, dass es ihnen Tod und Verderben
bringt, so schufen sie frohgemut ein Wort, nicht ahnend, dass es
sie der Lächerlichkeit preisgibt.
Im Lichthof der Alma Mater schwebt seit Jahrzehnten eine andere
griechische Göttin: die Nike von Samothrake. Ihre Stifter schenkten
sie der Universität "als eine Huldigung an den Genius
Europas". An Tagen, an denen Bildung zur Karikatur verkommt,
sehnt sie sich nach einem unauffälligen Platz im Magazin. Dann
aber erinnert sie sich, dass im Gefäß der Pandora eines
blieb: die Hoffnung. Also bleibt auch sie - noch.
Prof. Dr. Werner Dahlheim,
Fachgebiet Alte Geschichte
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