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Die Chancen des Bologna-Prozesses

Ingenieure mit oder ohne Master: Zwei Fachleute betrachten die Entwicklung aus verschiedenen Perspektiven

 
  Prof. i. R. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Günter Pritschow, Universität Stuttgart, leitete die acatech-Studie "Bachelor-und Masterstudiengänge in den Ingenieurwissenschaften"
© privat

Der wohl wichtigste Inhalt des Bologna-Prozesses ist, dass die deutschen Hochschulen zweistufige Bachelor- und Mastersysteme einführen. Nach der ersten Stufe soll bereits eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene erreicht sein. Diese Stufe gibt es in Deutschland bisher allerdings nur an den Fachhochschulen mit einem Diplom (FH), das dem Bachelor entspricht.

Die Herausforderungen, vor denen die Universitäten und technischen Hochschulen bei der Umstrukturierung ihrer einstufigen Studiengänge stehen, sind deshalb nicht gering. Die deutsche Ingenieurausbildung genießt weltweit einen hervorragenden Ruf, der im gleichermaßen hohen Niveau der Theorie- und Praxisausbildung begründet liegt. Die Befürchtung vieler Beteiligter ist darum, dass das Gütesiegel "Dipl.-Ing." Schaden nehmen und als Markenzeichen verschwinden könnte, weshalb beispielsweise die TU München den Titel Dipl.-Ing. zusätzlich zum neuen Abschluss Master im Studienzeugnis vermerkt.

Bei unseren Befragungen von Hochschulen und Industrieverbänden hat sich herausgestellt, dass im Ingenieurwesen das siebensemestrige Bachelorstudium für eine erste Berufsqualifikation sowohl von den Fakultätentagen als auch von den Verbänden empfohlen wird. Wegen des viersemestrigen theoretischen Grundlagenstudiums zugunsten einer breiten Fachausbildung wird der Bachelor der Universitäten dabei nicht die gleiche Berufsqualifikation haben wie der Bachelor der Fachhochschulen. Dafür qualifiziert der universitäre Bachelor für ein theoriebezogenes Masterstudium. Diese Art der Master wird in Zukunft genauso nachgefragt sein wie der bisherige "Dipl.-Ing." Der "TU 9"-Standpunkt der technischen Universitäten, den Master als berufsqualifizierenden Abschluss der Universitäten anzusehen, findet deshalb unsere volle Unterstützung.

Der Bologna-Prozess eröffnet den Universitäten und technischen Hochschulen insgesamt gute Chancen für längst überfällige Reformen des Studiums. Durch die Einführung der Modulstruktur, das Mentorensystem, aber auch die Vermittlung nicht fachlicher Qualifikationen (Soft Skills) gewinnt das bislang mitunter selbstfixierte Ingenieurstudium unbestreitbar hinzu.


 
Dr. Volker Meyer-Guckel ist der stellvertretende Generalsekretär des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft
© Stifterverband
 

Die Umstellung der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge an den technischen Universitäten auf das Studiensystem Bachelor und Master kommt nur schleppend voran. Der Grund: Sie ist eher von elitärem Statusdenken und Fantasielosigkeit als von inhaltlichem Erneuerungswillen geprägt. Überschätzt wird dabei die Qualität der bisherigen Diplomausbildung, die international nur wenig kompatibel ist, immer noch bis zu 40 Prozent Abbrecherquoten produziert, lange dauert, Schlüsselqualifikationen vernachlässigt, sich im Grundstudium in einer langweiligen und langwierigen Theorievermittlung ergießt und immer mehr Abiturienten abschreckt. Unterschätzt werden dagegen die curricularen Herausforderungen, die sich aus einer drastischen Differenzierung der Bildungsbiografien und Wissensbestände von Studienanfängern ergeben. Sie erfordert zum Beispiel stärker individualisierte Studienpläne (gerade in der Eingangsphase), wozu die Modularisierung in der neuen Studiengangsstruktur bestens genutzt werden könnte. Unterschätzt wird auch, wie tiefgreifend sich die Beschäftigungsfelder der Ingenieure gewandelt haben. Sie arbeiten zunehmend an Schnittstellen zu Marketing, Service, Management, zu anderen Unternehmen, Ländern und Kulturen. Der Bachelorabschluss bietet den Studierenden die Chance, sich in einem Masterstudium diesen Feldern zu öffnen. Dazu braucht es jedoch ausgeprägte Praxisphasen im Studium und eine professionelle Studien- und Berufsberatung besonders am Übergang von der Bachelor- in die Masterphase. Das alles wird sich kaum etablieren, wenn die TUs in einer Art kollektiver Glaubensprozession das Dogma der "Masterausbildung als Regelausbildung" wie eine Monstranz vor sich hertragen. Damit werden Alternativen von vornherein diskreditiert, das Bachelorstudium mit Theorie überfrachtet und der Bachelorabschluss als "Abschluss light" disqualifiziert. Die Zeit spielt freilich dagegen: Spätestens wenn der Ingenieurnachwuchsmangel in wenigen Jahren dramatische Dimensionen annehmen wird, werden die Firmen die besten Studierenden bereits nach dem Bachelorabschluss abwerben, um sie berufsbegleitend weiter zu qualifizieren. Spätestens dann werden die Studiengangsplaner mehr Fantasie entwickeln müssen, um die besten Studierenden an der Universität zu halten. Schade um die bis dahin vergeudete Zeit.

 

Bachelors willkommen?

Wie Wirtschaft, Verbände und Universitäten um die richtige Form der Studiengestaltung ringen

Die Umstellung der deutschen Studiengänge im so genannten Bologna-Prozess von Diplom- und Magisterstudiengängen auf die internationalen Bachelor- und Masterabschlüsse kommt voran. Doch sie bleibt nicht ohne Diskussionen. Erst kürzlich forderte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die Wirtschaft auf, diesen Prozess nach Kräften zu unterstützen. Insbesondere strich die HRK-Präsidentin Margret Wintermantel heraus, dass in einigen Ländern die Zahl der Studiengänge zurückgegangen sei. Man müsse beobachten, ob dieser Rückgang auf eine positive Profilbildung zurückgehe oder etwa auf unangemessene Sparzwänge.

Tatsächlich verpflichteten sich in der viel beachteten Veranstaltung "Bachelors welcome!" Mitte Mai 20 Personalvorstände großer Unternehmen wie die Deutsche Bahn, Procter & Gamble oder adidas Group, das neue, arbeitsmarktgerechtere Studiensystem zu unterstützen, differenzierte Praktikumsangebote zu machen oder in Kooperation mit den Hochschulen qualitativ hochwertige Weiterbildungsangebote zu schaffen. Insgesamt standen sieben Zusagen in einer Resolution sieben Forderungen gegenüber. Die wichtigste Forderung: eine schnelle und konsequente Umsetzung der gestuften Studienstruktur, wobei jeder Bachelorabschluss für einen Beruf qualifizieren müsse.

Diskussionen hatte zuvor auch die Studie "Bachelor- und Masterstudiengänge in den Ingenieurwissenschaften" ausgelöst, die der Konvent für Technikwissenschaften "acatech" mit Unterstützung des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft herausgegeben hatte. Die Studie stellte einen Status quo des Bologna-Prozesses vor, widmete sich darüber hinaus unter anderem Themen wie Länge des Bachelorstudiums, Quotenregelung und Studiengebühren und forderte deren zweckgebundene Verwendung und sozialverträgliche Gestaltung. Der Leiter der Studie, Günter Pritschow, beantwortete TU intern die Frage, warum der Bologna-Prozess zwar Chancen für längst überfällige Reformen biete, der Master aber dennoch der Regelabschluss für Ingenieure bleiben müsse. Volker Meyer-Guckel vom Stifterverband sieht dagegen die Qualität der bisherigen Diplomausbildung, die international nur wenig kompatibel sei, überschätzt und beschwört die Universitäten, durch zügige Umsetzung des Bologna-Prozesses dem künftigen Ingenieurmangel entgegenzuwirken.

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www.acatech.de
www.stifterverband.de
www.bda-online.de

 

 

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