Abschied von"typisch deutsch"
Die Chancen der Fußball-WM für Deutschland - jenseits
des Sportlichen
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Norbert Bolz
© TU-Pressestelle/Weiß |
Diese Einschätzung der Fußballweltmeisterschaft 2006
erfolgt nach fünf Spieltagen - und da muss man natürlich
vorsichtig sein. Doch bisher zeigt sich die Veranstaltung so erfreulich
wie das Wetter: eitel Sonnenschein. Deutschland hat im Auftaktspiel
gegen Costa Rica im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten
gut gespielt und jedenfalls der Euphorie keinen Abbruch getan. Dabei
hat der kluge Jürgen Klinsmann mit dem Nash-Effekt überrascht,
den jeder Kino-Freund aus dem Film "A Beautiful Mind"
kennt: Die Party wird zum vollen Erfolg, wenn man den Mut hat, die
Schönste zu streichen, auf die sich alle fixieren; die Diva
des deutschen Fußballs heißt bekanntlich Michael Ballack.
Fußball ist für den Fan die heile Welt der Leistung,
die Popkultur der Authentizität. Hier gibt es noch große
Gefühle und Helden, die man bewundern kann. Fußball fasziniert,
weil das Spiel hohe Komplexität aus einfachsten Spielregeln
aufbaut. Damit ist Unvorhersehbarkeit garantiert. Das produziert
nicht nur Spannung, sondern auch einen unaufhörlichen Erklärungsbedarf,
der dann von den Experten im Fernsehen befriedigt wird: Netzer und
Delling, Beckenbauer und Klopp. Die Medien benutzen das wiederum
als Einfallstor für Talk und Entertainment. Mehr als gespielt
wird geredet und inszeniert. Und genau deshalb haben auch die Fußball-Laien
eine Chance, die Weltmeisterschaft zu genießen. Fußball
für alle!
Was den Fernsehmachern wohl vorschwebt, ist eine Synthese von Fußballspiel
und Love Parade. Damit werden sie einem neuen Fan-Typus gerecht,
dem es weniger um Fachsimpelei als vielmehr um Party geht. Und es
sind diese Fans, die Deutschland, wenn auch mit einem Augenzwinkern,
die Favoritenrolle zuschreiben.
Auch die Politik sonnt sich im Glanz des Ereignisses - und benutzt
es zugleich sehr geschickt als günstige Gelegenheit, fast unbemerkt
von der Öffentlichkeit unliebsame Entscheidungen zu treffen.
Natürlich sehen einige Politiker besorgt auf die Weltmeisterschaft,
weil sie befürchten, die braunen Idioten könnten diese
Großveranstaltung als Plattform für ihre geisteskranken
Aktionen missbrauchen. Man kann das natürlich bis zum letzten
Tag der Spiele nicht ausschließen; aber auch hier ist Optimismus
durchaus angebracht. Man kann nämlich bei den vielen Millionen
deutscher Fans einen fröhlichen, gelassenen Patriotismus beobachten,
der die wirksamste Waffe gegen den Nationalismus der Rechtsextremen
darstellt.
Die vielen schwarz-rot-goldenen Fähnchen, die an Geschäften
und Autofenstern befestigt sind, wirken wohl auch auf ausländische
Beobachter nicht chauvinistisch, sondern verspielt und heiter. Die
Botschaft dieses Großereignisses lautet vernehmlich: Gastfreundschaft.
Wenn diese Botschaft in den nächsten Tagen nicht noch konterkariert
wird, kann diese Weltmeisterschaft das Bild von Deutschland in der
Welt zum Guten verändern - Abschied von "typisch deutsch".
Prof. Dr. Norbert Bolz,
Fachgebiet Medienwissenschaft, Medienberatung
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