"Wir stehen vor großen Herausforderungen"
TU Berlin plant ein "Innovationszentrum Energie" für
die Hauptstadtregion
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Frank Behrendt
leitet das Fachgebiet Energie- verfahrenstechnik und Umwandlungstechniken
regenerativer Energien (EVUR). Er ist Sprecher des TU-Schwerpunkts
Energie
© TU-Pressestelle |
Herr Professor Behrendt, eines der sieben Schwerpunktthemen,
die im Strukturplan der TU Berlin von 2004 festgelegt wurden, ist
das Thema Energie. Was hat sich inzwischen getan, um den Schwerpunkt
mit Leben zu erfüllen?
Zunächst müssen wir verstehen, dass die Energieforschung
heute nicht mehr nur technische Lösungen bereitstellen darf.
Die Versorgung mit nutzbarer Energie steht in einem Spannungsfeld
zwischen der Versorgungssicherheit, der Umweltverträglichkeit
und der Wirtschaftlichkeit. Die Energiesysteme werden immer komplexer
und die Technik muss in ein Gesamtsystem von Mensch, Energie und
Umwelt eingebettet werden. Wir haben uns unter diesem Aspekt in
der Universität umgeschaut und festgestellt, dass man das Thema
in sechs von sieben Fakultäten wieder findet. Die jeweils Verantwortlichen
haben wir in einem ersten Workshop an einen Tisch gebracht und leistungsstarke
Kerne identifiziert.
Welche sind das?
Die TU-Kompetenz im Bereich der Energieforschung gruppiert sich
um drei Schwerpunkte, für die jeweils verantwortliche Ansprechpartner
festgelegt wurden:
Erstens: "Kraftstoffe - Motoren und Turbinen - Abgase".
Der Bereich umfasst die klassische thermo-chemische Energiewandlung,
den eigentlichen Verbrennungsprozess, die Abgasnachbehandlung, aber
auch die chemisch-elektrische Wandlung durch Brennstoffzellen und
die physikalisch-elektrische Wandlung, die Fotovoltaik.
Zweitens: "Elektrische Energietechnik". Hierzu gehören
unter anderem alle Prozesse der mechanisch-elektrischen Wandlung
im Generator und der Energieübertragung über die Netze,
einschließlich der Herausforderung der Integration schwer
vorhersagbarer Einspeiser wie Windkraftanlagen.
Drittens: "Integrierte Systeme: Strom - Wärme - Kälte".
Der Bereich bezieht sich auf die Nutzung von Strom, Wärme und
Kälte durch den Verbraucher. Hierzu gehören auch Themen
wie das energieeffiziente Bauen und das weite Feld der energetischen
Aspekte der Stadtentwicklung sowie die Mobilität in Städten.
Ist daran gedacht, diese Aktivitäten nach außen zu
vernetzen?
Selbstverständlich. Das ist nicht nur das Ziel, sondern diese
Vernetzung ist von vornherein angelegt. Seit 2006 begleitet ein
Beirat mit zurzeit zwölf Vertretern aus der Industrie das Vorhaben,
aus diesen Teilbereichen innovative Forschungsfelder zu entwickeln
und daraus wieder Leuchtturmprojekte wie Sonderforschungsbereiche
und andere Verbundforschung im Raum Berlin zu generieren. Schließlich
sollen sämtliche Aktivitäten in einem "Innovationszentrum
Energie" gebündelt werden, das die Weiterentwicklung der
Energieforschung in der Hauptstadtregion vorantreiben wird - unter
Federführung der TU Berlin.
Bis 2020 soll, so der EU-Klimagipfel von Anfang des Jahres,
die Emission klimarelevanter Gase um 20 Prozent gesenkt und gleichzeitig
der Anteil regenerativer Energien auf 20 Prozent erhöht werden.
Gleichzeitig soll in Deutschland die Kernenergie weiter abgebaut
werden. Ist das bei der Forschungsplanung bereits berücksichtigt?
Bei aller Begeisterung für diese ehrgeizigen Ziele übersehen
viele zunächst mal eines: Wenn sich unser Energiebedarf zu
20 Prozent aus regenerativen Energien speist, benötigen wir
immer noch 80 Prozent aus anderen Quellen. Forschung und Entwicklung
stehen also notwendigerweise vor großen Herausforderungen,
um diese 80 Prozent möglichst umweltverträglich und wirtschaftlich
zu beschaffen. Weiter: Wenn wir gleichzeitig Kernenergie abbauen
wollen, muss der bisher aus der Kernenergie gespeiste Betrag ersetzt
werden. Wodurch? Durch fossile Brennstoffe, insbesondere Erdgas.
Alle Modellrechnungen bis zum Jahr 2020 zeigen deutlich: Der Anteil
der CO2 freisetzenden Technologien wird noch wachsen,
um den Abbau der Kernenergie bei der Strombereitstellung zu kompensieren.
Hier haben wir es letztendlich mit einem Zielkonflikt zu tun. Den
Anlagen für erneuerbare Energien sind in Deutschland Grenzen
gesetzt. Alles Wasser, das gestaut werden kann, ist bereits gestaut.
Alle Plätze für größere Windparks sind bereits
besetzt. Sonnenenergie: Es fehlen uns die Speichermöglichkeiten
für die Zeit, in der die Sonne nicht scheint - und das ist
häufig. Was die regenerativen Energien betrifft, so werden
wir uns vor allem als Wissensgesellschaft etablieren müssen,
nicht so sehr als Erbauer der technischen Anlagen. Das können
die Schwellenländer über kurz oder lang billiger als wir.
Was bedeutet das für die Forschung konkret?
Wir können bereits große Kompetenzen in Forschungsclustern
zu den Themen Ökoeffiziente Gas- und Dampfturbinen im Rahmen
CO2-emissionsfreier Kraftwerke, zur Dünnschicht-
und Nanotechnologie für Fotovoltaik und zur Nutzungsoptimierung
in Netzen an der TU Berlin vorweisen. Drei Bereiche zu großen
technischen Herausforderungen wie der Speicherung von Strom im Netzverbund,
der biochemischen Ganzpflanzennutzung im Zusammenhang mit der Bereitstellung
von Kraftstoffen oder der Nutzung von Niedertemperaturwärme
befinden sich in der Frühphase der forscherischen Zusammenarbeit.
Weitere Bereiche durchlaufen derzeit eine erste Konzeptionsphase.
Dazu gehört die Energiegewinnung aus Wasserstoff und Brennstoffzellen
sowie der große Bereich "Energieeffiziente Städte"
und Energieaspekte des Bauens.
Da wir Systemlösungen anbieten wollen, können derartige
Forschungsthemen nicht nur aus dem Kerngebiet der Energieforschung,
sondern nur im Verbund und in Wechselwirkung mit zahlreichen weiteren
Forschungsaktivitäten der TU erfolgreich verfolgt werden. Hierzu
gehören zum Beispiel die Biotechnologie, die Verfahrenstechnik,
die Werkstoffwissenschaften, aber auch die Systemtechnik, die IT-Lösungen
und Agententechnologien implementiert. Für die Umsetzung von
Ideen stellt die Produktionstechnik ein weiteres unverzichtbares
Element dar. Ein unverzichtbarer Partner ist auch das DFG-Forschungszentrum
MATHEON für
themenübergreifende Aspekte der Modellierung und Simulation
sowie der gesamte Teilbereich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Systemforschung, der die Integration der Projekte in Wirtschaft
und Gesellschaft begleitet.
Kann die Energiebranche die Automobilindustrie als Wirtschaftsmotor
in Deutschland ablösen, wie jetzt vielfach zu lesen war?
Das glaube ich nicht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Deutschland
hat zwar zum Beispiel im Bereich Windkraft eine interessante Position
im Export erreicht, weil wir früh in diesen Bereich investiert
haben. Aber insgesamt stehen wir noch vor großen Herausforderungen,
was die Forschung betrifft. Für viele Probleme, wie das der
Energiespeicherung, gibt es einfach noch keine Lösung. Die
Autoindustrie punktet weltweit mit Hochtechnologieautos und hat
hier eine Alleinstellung. Die müssen wir auf dem Energiesektor
erst mal erreichen. Nur eines sehe ich klar: Die TU Berlin möchte
hier in Forschung und Lehre ganz vorne mitspielen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Patricia Pätzold
www.t3presse.tu-berlin.de/1706.html?&L=0
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