4/07
April 2007
TU intern
4/2007 als
pdf-Datei
(1,2 MB)
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Von der Schule ...
... in die Uni
Innenansichten
Forschung
Alumni
Internationales
Menschen
Neu berufen
an die TU Berlin
Tipps & Termine
Vermischtes
Impressum
TU-Homepage

"Wir stehen vor großen Herausforderungen"

TU Berlin plant ein "Innovationszentrum Energie" für die Hauptstadtregion

 
  Frank Behrendt leitet das Fachgebiet Energie- verfahrenstechnik und Umwandlungstechniken regenerativer Energien (EVUR). Er ist Sprecher des TU-Schwerpunkts Energie
© TU-Pressestelle

Herr Professor Behrendt, eines der sieben Schwerpunktthemen, die im Strukturplan der TU Berlin von 2004 festgelegt wurden, ist das Thema Energie. Was hat sich inzwischen getan, um den Schwerpunkt mit Leben zu erfüllen?

Zunächst müssen wir verstehen, dass die Energieforschung heute nicht mehr nur technische Lösungen bereitstellen darf. Die Versorgung mit nutzbarer Energie steht in einem Spannungsfeld zwischen der Versorgungssicherheit, der Umweltverträglichkeit und der Wirtschaftlichkeit. Die Energiesysteme werden immer komplexer und die Technik muss in ein Gesamtsystem von Mensch, Energie und Umwelt eingebettet werden. Wir haben uns unter diesem Aspekt in der Universität umgeschaut und festgestellt, dass man das Thema in sechs von sieben Fakultäten wieder findet. Die jeweils Verantwortlichen haben wir in einem ersten Workshop an einen Tisch gebracht und leistungsstarke Kerne identifiziert.

Welche sind das?

Die TU-Kompetenz im Bereich der Energieforschung gruppiert sich um drei Schwerpunkte, für die jeweils verantwortliche Ansprechpartner festgelegt wurden:

Erstens: "Kraftstoffe - Motoren und Turbinen - Abgase". Der Bereich umfasst die klassische thermo-chemische Energiewandlung, den eigentlichen Verbrennungsprozess, die Abgasnachbehandlung, aber auch die chemisch-elektrische Wandlung durch Brennstoffzellen und die physikalisch-elektrische Wandlung, die Fotovoltaik.

Zweitens: "Elektrische Energietechnik". Hierzu gehören unter anderem alle Prozesse der mechanisch-elektrischen Wandlung im Generator und der Energieübertragung über die Netze, einschließlich der Herausforderung der Integration schwer vorhersagbarer Einspeiser wie Windkraftanlagen.

Drittens: "Integrierte Systeme: Strom - Wärme - Kälte". Der Bereich bezieht sich auf die Nutzung von Strom, Wärme und Kälte durch den Verbraucher. Hierzu gehören auch Themen wie das energieeffiziente Bauen und das weite Feld der energetischen Aspekte der Stadtentwicklung sowie die Mobilität in Städten.

Ist daran gedacht, diese Aktivitäten nach außen zu vernetzen?

Selbstverständlich. Das ist nicht nur das Ziel, sondern diese Vernetzung ist von vornherein angelegt. Seit 2006 begleitet ein Beirat mit zurzeit zwölf Vertretern aus der Industrie das Vorhaben, aus diesen Teilbereichen innovative Forschungsfelder zu entwickeln und daraus wieder Leuchtturmprojekte wie Sonderforschungsbereiche und andere Verbundforschung im Raum Berlin zu generieren. Schließlich sollen sämtliche Aktivitäten in einem "Innovationszentrum Energie" gebündelt werden, das die Weiterentwicklung der Energieforschung in der Hauptstadtregion vorantreiben wird - unter Federführung der TU Berlin.

Bis 2020 soll, so der EU-Klimagipfel von Anfang des Jahres, die Emission klimarelevanter Gase um 20 Prozent gesenkt und gleichzeitig der Anteil regenerativer Energien auf 20 Prozent erhöht werden. Gleichzeitig soll in Deutschland die Kernenergie weiter abgebaut werden. Ist das bei der Forschungsplanung bereits berücksichtigt?

Bei aller Begeisterung für diese ehrgeizigen Ziele übersehen viele zunächst mal eines: Wenn sich unser Energiebedarf zu 20 Prozent aus regenerativen Energien speist, benötigen wir immer noch 80 Prozent aus anderen Quellen. Forschung und Entwicklung stehen also notwendigerweise vor großen Herausforderungen, um diese 80 Prozent möglichst umweltverträglich und wirtschaftlich zu beschaffen. Weiter: Wenn wir gleichzeitig Kernenergie abbauen wollen, muss der bisher aus der Kernenergie gespeiste Betrag ersetzt werden. Wodurch? Durch fossile Brennstoffe, insbesondere Erdgas. Alle Modellrechnungen bis zum Jahr 2020 zeigen deutlich: Der Anteil der CO2 freisetzenden Technologien wird noch wachsen, um den Abbau der Kernenergie bei der Strombereitstellung zu kompensieren. Hier haben wir es letztendlich mit einem Zielkonflikt zu tun. Den Anlagen für erneuerbare Energien sind in Deutschland Grenzen gesetzt. Alles Wasser, das gestaut werden kann, ist bereits gestaut. Alle Plätze für größere Windparks sind bereits besetzt. Sonnenenergie: Es fehlen uns die Speichermöglichkeiten für die Zeit, in der die Sonne nicht scheint - und das ist häufig. Was die regenerativen Energien betrifft, so werden wir uns vor allem als Wissensgesellschaft etablieren müssen, nicht so sehr als Erbauer der technischen Anlagen. Das können die Schwellenländer über kurz oder lang billiger als wir.

Was bedeutet das für die Forschung konkret?

Wir können bereits große Kompetenzen in Forschungsclustern zu den Themen Ökoeffiziente Gas- und Dampfturbinen im Rahmen CO2-emissionsfreier Kraftwerke, zur Dünnschicht- und Nanotechnologie für Fotovoltaik und zur Nutzungsoptimierung in Netzen an der TU Berlin vorweisen. Drei Bereiche zu großen technischen Herausforderungen wie der Speicherung von Strom im Netzverbund, der biochemischen Ganzpflanzennutzung im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Kraftstoffen oder der Nutzung von Niedertemperaturwärme befinden sich in der Frühphase der forscherischen Zusammenarbeit. Weitere Bereiche durchlaufen derzeit eine erste Konzeptionsphase. Dazu gehört die Energiegewinnung aus Wasserstoff und Brennstoffzellen sowie der große Bereich "Energieeffiziente Städte" und Energieaspekte des Bauens.

Da wir Systemlösungen anbieten wollen, können derartige Forschungsthemen nicht nur aus dem Kerngebiet der Energieforschung, sondern nur im Verbund und in Wechselwirkung mit zahlreichen weiteren Forschungsaktivitäten der TU erfolgreich verfolgt werden. Hierzu gehören zum Beispiel die Biotechnologie, die Verfahrenstechnik, die Werkstoffwissenschaften, aber auch die Systemtechnik, die IT-Lösungen und Agententechnologien implementiert. Für die Umsetzung von Ideen stellt die Produktionstechnik ein weiteres unverzichtbares Element dar. Ein unverzichtbarer Partner ist auch das DFG-Forschungszentrum MATHEON für themenübergreifende Aspekte der Modellierung und Simulation sowie der gesamte Teilbereich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemforschung, der die Integration der Projekte in Wirtschaft und Gesellschaft begleitet.

Kann die Energiebranche die Automobilindustrie als Wirtschaftsmotor in Deutschland ablösen, wie jetzt vielfach zu lesen war?

Das glaube ich nicht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Deutschland hat zwar zum Beispiel im Bereich Windkraft eine interessante Position im Export erreicht, weil wir früh in diesen Bereich investiert haben. Aber insgesamt stehen wir noch vor großen Herausforderungen, was die Forschung betrifft. Für viele Probleme, wie das der Energiespeicherung, gibt es einfach noch keine Lösung. Die Autoindustrie punktet weltweit mit Hochtechnologieautos und hat hier eine Alleinstellung. Die müssen wir auf dem Energiesektor erst mal erreichen. Nur eines sehe ich klar: Die TU Berlin möchte hier in Forschung und Lehre ganz vorne mitspielen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Patricia Pätzold

www.t3presse.tu-berlin.de/1706.html?&L=0

 

© TU-Pressestelle 4/2007 | TU intern | Impressum | Leserbriefe