Auf der anderen Seite des Schreibtisches
Der Sprung vom Studium in den Job - durch drei Zeitzonen
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Ines Lehmann berät Germanistik-Interessierte
im Institut für German Studies in Neu-Delhi
© privat |
So schnell kann's gehen. Gerade steckte ich noch mitten in der
Abschlussphase meines Studiums. Jetzt finde ich mich in Neu-Delhi
wieder als Sprachassistentin des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes.
Und zwischen diesem Wechsel der Schreibtischseite lag nur ein Wimpernschlag.
Ich genoss die letzten Züge meines Studentinnendaseins. Immerhin
ist die Prüfungsphase, wenn auch anstrengend, etwas ganz Besonderes.
Zwar wachte ich jeden Morgen nicht gerade motiviert auf: wieder
ein Tag, dessen Sinn und Ziel nur darin bestanden, sich ein paar
Seiten weiterzukämpfen. Doch beim Anblick der fleißigen
Drittsemester in der Bibliothek schwang auch ein leichtes, sogar
etwas erhabenes Gefühl von "Bald-hast-du-es-geschafft"
mit: Noch mal zwei Monate richtig hart arbeiten, und ich habe mein
Magisterzeugnis. Und dann bin ich hier weg. Und wieder blieb man
bis um acht, obwohl ich heute mal zum Sport gehen wollte. Allen,
die gerade in der Prüfungsphase stecken und stöhnen, soll
gesagt sein: Tragt es mit Würde! Und bewusst! Es ist so schnell
vorbei. Und dann liegt auf einmal das ganze Studium hinter einem.
Nach diesem Rausch finde ich mich jetzt in Neu-Delhi wieder. Mir
blieb noch nicht mal genug Zeit, mein Magisterzeugnis selbst abzuholen,
denn in Indien beginnt das Semester schon im August. Und nun, einmal
durch drei Zeitzonen geflogen, bin ich auf einmal Lehrerin, Dozentin,
Beraterin, höchste Instanz als Muttersprachlerin hier am Institut
für German Studies an der Jawaharlal Nehru
University. Manchmal
sitze ich in meinem Büro und mache mir für einen Moment
bewusst, was eigentlich geschehen ist. Jetzt bin ich nicht mehr
diejenige, die Fragen stellt, ehrfurchtsvoll in das Zimmer des Professors
tritt und ihm gegenüber am Schreibtisch um eine gewählte
Ausdrucksweise ringt. Nun muss ich die Antworten haben, Studierende
zu einem Referat beraten oder sie beruhigen, wenn auch ich ihnen
keine Regel zum semantischen Inhalt von Präfixen liefern kann.
Nebenbei stehe ich gestandenen Professoren als kritische Zuhörerin
und Gesprächspartnerin beim Probedurchlauf eines Vortrags für
eine Konferenz zur Verfügung. Natürlich fühle ich
mich manchmal überfordert. Dass ich jetzt Linguistik unterrichte,
obwohl ich sie vor ein paar Monaten noch selbst studiert habe, fühlt
sich nicht minder komisch an. Dennoch fühle ich mich fähig
und sehe Früchte meiner Arbeit. Schließlich habe ich
im Studium gelernt, mich in neue fachliche Bereiche schnell einzuarbeiten,
sie aufzuarbeiten und darzustellen.
Während eines geisteswissenschaftlichen Studiums fragt sich
sicher jeder einmal: "Was kann ich mit meinem Studium anfangen?
Habe ich in den vergangenen acht Semestern überhaupt was gelernt?"
Wenn man dann trotzdem weitermacht, sich während des Studiums
schon ein bisschen umsieht und gezielt studiert, findet man auch
den Job, wo man das Gelernte anwenden kann. Zum Beispiel auf der
anderen Seite des Schreibtisches.
Ines Lehmann,
TU-Alumna
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