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Mai 2007
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Deutscher Sonderweg in Europa

Halbtagsmodell in der Kinderbetreuung führt nicht zu besseren Leistungen

Nur einen halben Tag lernen die Kinder in der deutschen Grundschule. Dann endet im Regelfall die Betreuung
© TU-Pressestelle

Ganztägige Betreuung und Bildung in Grund- und Vorschulen sind in fast allen europäischen Wohlfahrtsstaaten der Normalfall. In der Bundesrepublik ist dagegen das ganztägige Angebot für Vor- und Grundschulkinder nach wie vor außerordentlich gering. Eine Besonderheit in Europa.

"Kindergarten- und Vorschulpolitik muss Müttern und Vätern die volle Berufstätigkeit erlauben."
Lediglich fünf Prozent aller Grundschulkinder besuchen derzeit eine Ganztagsschule, und nicht mehr als 14 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen werden im Bundesdurchschnitt nach dem Unterricht in einem Hort betreut. Vor allem Frauen haben deshalb nach wie vor erhebliche Probleme, berufliche Karriere und Familie zu vereinbaren. Der dramatische Geburtenrückgang ist daher in der Bundesrepublik stärker ausgeprägt als in den meisten anderen Ländern Europas - mit weit reichenden Konsequenzen für die Zukunft des Sozialstaats. Zunehmend wird das bundesdeutsche Halbtagssystem in sozial- und bildungspolitischen Debatten inzwischen infrage gestellt.

Mittlerweile sprechen sich alle Parteien für einen Ausbau des Ganztagsangebots aus, zumal deutsche Schulkinder in den internationalen Vergleichsstudien des Program for International Student Assessment (PISA) im Durchschnitt deutlich schlechter abschnitten als Kinder vergleichbarer Industriestaaten. Insbesondere könnte das die Leistungen von Kindern aus benachteiligten sozialen Schichten und ausländischer Herkunft verbessern. Doch nicht nur die Finanzen, auch die ausgeprägte Tradition der (west-)deutschen Halbtagsschule selbst stehen dem entgegen. Die erheblichen kulturellen und politischen Blockaden haben eine lange Geschichte.

Wie und warum sich das deutsche Halbtagsmodell im Vor- und Grundschulbereich zu einem Sonderweg in Europa entwickeln konnte und welche Chancen vor diesem Hintergrund die aktuellen Reformversuche haben, war eine der zentralen Fragen einer internationalen und interdisziplinären Konferenz zu diesem Thema Anfang März 2007 in Köln. Die Konferenz fand statt im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts "Das deutsche Halbtagsmodell: Ein Sonderweg in Europa? Eine Analyse der Zeitpolitiken öffentlicher Bildung im Ost-West-Vergleich (1945-2000)".

Veranstalter waren die Erziehungswissenschaftlerin Christina Allemann-Ghionda (Universität Köln), die Historikerin Karen Hagemann (Projektleitung, Technische Universität Berlin und University of North Carolina at Chapel Hill) sowie der Historiker Konrad Jarausch (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und University of North Carolina at Chapel Hill).

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Soziologie, Politik- und Erziehungswissenschaft sowie Geschichte aus zwölf Ländern verglichen und diskutierten nationale Entwicklungspfade von Zeitpolitiken in der institutionellen Kinderbetreuung in Ost- und Westeuropa. Vor allem müsse die jeweilige Zeitpolitik von Kindergärten, Vor- und Grundschulen in Ost- und Westeuropa so gestaltet sein, dass eine Vollerwerbstätigkeit von Vätern und Müttern möglich ist. Das ergab die vergleichende Analyse der historischen Entwicklung der Zeitpolitik seit 1945. Nur unter dieser Voraussetzung hat sie in anderen europäischen Ländern die Entwicklung der Geburtenrate positiv beeinflusst. Der internationale Vergleich verdeutlicht, dass die deutsche Familienpolitik, die auf individuelle Förderung setzte, jahrelang in die falschen Maßnahmen investiert hat. Nur umfangreiche Investitionen in eine qualitativ hochwertige Ganztagsstruktur der Betreuung in Kindergarten, Vor- und Grundschule wirkt sich langfristig positiv auf die Geburtenrate aus. Das zeigt die deutlich höhere Rate in allen europäischen Ländern mit einer entsprechenden Politik. Dies sind zugleich die Länder mit der höchsten Frauenerwerbstätigkeit. Eine bloße zeitliche Ausdehnung des Betreuungsangebots reicht nicht aus, um insbesondere untere soziale Schichten und Migrantenfamilien zu erreichen. Hierzu sind ein geschlossenes Ganztagsangebot, eine andere Zeitmischung von Unterricht und Betreuung sowie ein qualitativ hochwertiges Angebot durch gut ausgebildete Fachkräfte notwendig.

Prof. Dr. Karen Hagemann,
Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung

www.time-politics.com

Der "Ganztagsschule" widmet sich an der TU Berlin das BMBF-Projekt von Prof. Dr. Sabine Reh: "Lernkultur- und Unterrichtsentwicklung in Ganztagsschulen"

www.lernkultur-ganztagsschule.de/

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