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Mai 2007
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"Ich warne! Ich bin ein Preuße"

Eine Erinnerung an Wichard von Moellendorff

 
  Das Foto stammt aus: J. Evers, U. v. Möllendorff, U. Marsch: Wichard von Moellendorff (1881-1937), in: Technikgeschichte (2004)
Er vertrat das andere, das aufgeklärte Preußen, das Land der Denker, der Reformer und des Gemeinsinns. Der Absolvent der TH Berlin-Charlottenburg des Jahres 1906 scheint heute weitgehend vergessen - zu Unrecht . Vor 70 Jahren, am 4. Mai 1937 nahm er sich - bereits gesellschaftlich isoliert - das Leben. Obwohl von sozialkonservativer Gesinnung erkannte er frühzeitig den schreienden Widerspruch zwischen Hitlers Propaganda und dem politischen Programm. Er trat 1933 von seinen akademischen Ämtern zurück, um nicht den Nazis "dienen" zu müssen. Für sein Credo: "Ich warne! Ich bin ein Preuße!", zahlte er einen hohen Preis: gesellschaftliche Ignoranz, Vereinsamung und der Freitod seiner zweiten Ehefrau, Erika Dienstag, einer Jüdin. Wer war dieser preußische Aristokrat? Geboren 1881 in Hongkong, stammte er aus einer Wissenschaftler- und Diplomatenfamilie. Seine Ausbildung erwarb er auf Internatsschulen. Nach dem Abitur und kurzem Praktikum begann er 1901 ein Maschinenbaustudium an der TH in Berlin. Sein besonderes Interesse galt der wissenschaftlichen Werkstoffprüfung. 1902, noch während des Studiums, heiratete er Lisbeth Erdmann und gründete eine Familie, 1905 wurde Tochter Hedda geboren.

Nach dem Diplom wurde er Ingenieur bei AEG im Kabelwerk Oberspree und leitete ein Metalllaboratorium. Mit wissenschaftlichen Methoden verbesserte er Materialprüfung und qualität.

Aber Moellendorff interessierte stets auch das soziale Ganze. 1912 lernte er Maximilian Harden, den prominentesten Kritiker der wilhelminischen Gesellschaft, kennen und schrieb kleine Essays für dessen Zeitschrift "Die Zukunft". Im August 1914 schlug er für die Zeit des Krieges eine Rohstoffbewirtschaftung vor. Damit begann eine intensive technische und organisatorische Zusammenarbeit mit Walther Rathenau im Rahmen der kriegswirtschaftlichen Materialbeschaffung. So lernte er auch Rathenaus Idee einer Gemeinwirtschaft kennen, an der er lebenslang festhielt und die er kenntnisreich modifizierte. Als 1918 die Revolution ausbrach, hatte er sich gerade als Professor für Volkswirtschaft an der TH Hannover eingearbeitet. Jetzt wurde er Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt der neuen Revolutionsregierung. Zusammen mit Rudolf Wissell setzte er sich für einen wirtschaftlichen Neuanfang auf gemeinwirtschaftlicher Grundlage ein. Das hieß für ihn nicht Enteignung, sondern gesellschaftliche Kontrolle der Wirtschaft und Nutzung der Unternehmerinitiative für eine am Gemeinwohl orientierte Wirtschaft. Sein Konzept galt der SPD als zu "kapitalistisch" und den bürgerlichen Parteien als zu "sozialistisch"; so schied er 1919 aus der Politik. Im gleichen Jahr wurde Sohn Wichard geboren. 1923 - mitten in der Inflationszeit - wurde er Direktor des staatlichen Materialprüfungsamtes und - in Personalunion, also ohne Extravergütung - Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Materialforschung. Moellendorff wurde in den Zwanzigerjahren bei Technikern, Technikphilosophen und -journalisten bekannt und berühmt durch den Begriff des Wirkungsgrades, den er auch auf die Ökonomie anwenden wollte. Noch heute fasziniert Wichard von Moellendorff wegen seines Problembewusstseins, seines Mutes, neu und anders zu denken, und seiner eigenwilligen Persönlichkeit. Nach seinem Freitod wurde er auf dem Friedhof Zehlendorf, Onkel-Tom-Straße, beerdigt. Sein Grab ist nicht mehr vorhanden.

Hans Christian Förster

www.tu-berlin.de/uebertu/erinnerung.htm

 

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