Von der Gegenwart auf die Zukunft schließen
Mit Wirtschaft lässt sich zwar nicht experimentieren, doch die Aussichten für weiteres Wachstum sind gut
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Nicht nur das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute sagt eine glänzende Wirtschaftsentwicklung voraus. Auch die Bundesregierung hat sich diesem Optimismus inzwischen angeschlossen. Das Auftragsvolumen in der Industrie steigt, und die Arbeitslosenquote sinkt spektakulär. Und wenn es nicht zu Steuersenkungen kommt, muss der Staat demnächst keine Schulden mehr machen. Aber viele fragen sich: Geht es wirklich aufwärts? Oder wird der Traum demnächst wieder zerplatzen wie eine Seifenblase? Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht lautet die Antwort: Niemand kann in die Zukunft schauen. Aber wir erleben gegenwärtig keineswegs eine Traumwelt, sondern die empirische Evidenz, die wir international haben, zeigt, dass die hohe Arbeitslosigkeit, die wir in Deutschland seit der Wiedervereinigung haben, keineswegs ein Naturgesetz ist. Mit etwas Glück wird es uns in den nächsten Jahren nachhaltig besser gehen als in den letzten 15 Jahren.
Prognosen der volkswirtschaftlichen Entwicklung sind deswegen so schwierig, weil man eine nationale Wirtschaft nicht kontrollierten Experimenten unterwerfen kann, wie dies in den Naturwissenschaften möglich ist. Es geht zum Beispiel nicht, dass man der einen Hälfte der Bevölkerung - zufällig ausgewählt - mehr Geld gibt, indem man für diese die Steuern senkt, als der "Kontrollgruppe", die weiterhin hohe Steuern zahlen muss. Das wäre aber notwendig, um naturwissenschaftliche Messverfahren einsetzen zu können.
Dort, wo die Naturwissenschaften nur begrenzt oder gar nicht experimentieren können - etwa in der Meteorologie oder der Astronomie -, sind ihre Prognosen auch nicht besonders gut. Ob das Universum sich unendlich lang ausdehnt oder kollabiert, wissen wir nach wie vor nicht. Und Wettervorhersagen sind sprichwörtlich falsch.
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Die Wettervorhersagen werden allerdings immer besser, da immer mehr und kleinräumiger Daten erhoben werden. Auf diesem Weg der systematischen und von wissenschaftlichen Hypothesen - und nicht staatlichen Interessen - geleiteten statistischen Erhebungen befindet sich die Volkswirtschaftslehre auch. Aber es ist noch ein weiter Weg zu gehen, bis wir besser abschätzen können, wie groß zum Beispiel das "Wachstumspotenzial" einer Volkswirtschaft wirklich ist. Dazu müsste man wissen, wie die Pläne der Unternehmen im Detail aussehen, welche technischen Möglichkeiten sie haben, ihre Maschinen besser auszulasten, und wie viel qualifiziertes Personal ihnen kurzfristig wirklich zur Verfügung steht. Solange man das aber nicht weiß, muss man von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der jüngsten Vergangenheit auf die Zukunft schließen. Und wenn die Wirtschaft schlecht lief, unterschätzt man so das Wachstumspotenzial dramatisch.
Während weltweit nahezu alle Fachleute glaubten, die deutsche Volkswirtschaft könne bestenfalls noch mit einem Prozent pro Jahr wachsen und dadurch könne die hohe Arbeitslosigkeit nie abgebaut werden, beobachten wir jetzt ein Wachstum von nahezu drei Prozent. Entsprechend sinkt die Arbeitslosenquote rapide. Das kann durchaus auch noch eine Zeit lang so weitergehen, denn in vielen Ländern ist die Arbeitslosenquote niedriger und die Erwerbsbeteiligung höher als in Deutschland. Und dies ist in ganz unterschiedlichen Gesellschaften der Fall wie in den USA und Großbritannien, aber auch in den skandinavischen Ländern. Diese Vorbilder sind keine Garantie für einen lang anhaltenden Aufschwung. Sie zeigen aber, dass wir gegenwärtig keineswegs in einer Seifenblase leben.
Prof. Dr. Gert G. Wagner, Fachgebiet Empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik der TU Berlin, Forschungsdirektor für "Soziales Risikomanagement" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Gert G.Wagner ist außerdem Vorsitzender des BMBF-Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten und ab September 2007 zum Mitglied im Resources Board des Economic & Social Research Council, UK (ESRC) berufen. |
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