TU intern · Nr. 6/Dezember 2020 Keine Klingel, zugezogene Vorhänge, keine Namensschilder, auch kein Fir- menschild. Emily Kelling jedoch kann diese „Codes“ mittlerweile entschlüs- seln. „Sich nicht zu erkennen zu geben, ist ein typisches Merkmal für privatwirt- schaftliche Beherbergungsbetriebe, in denen wohnungslose Menschen, dar- unter viele mit einer Aufenthaltsgeneh- migung, untergebracht sind“, sagt die Soziologin. Zusammen mit ihrer Kolle- gin, der Architektin Dagmar Pelger, und Masterstudierenden des Urban Design der TU Berlin hat sie die Publikation „Wohnhaft im Verborgenen“ vorgelegt. In der Publikation beschreiben sie auch mithilfe einer großformatigen Karte, wie die Beherbergungswirt- schaft mit wohnungslosen Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung in Berlin funktioniert. In der Hauptstadt waren im Untersuchungszeitraum 2018 circa 30 000 Menschen betrof- fen – die meisten davon Flüchtlinge. Bloß keine Konflikte Die prekären Wohnsituationen sind unter anderem dadurch charakteri- siert, dass die wohnungslosen Men- schen überwiegend nicht in einer ei- genen Wohnung untergebracht sind, sondern in privatwirtschaftlichen Be- herbergungsbetrieben. Einer Familie steht dort meist nur ein Zimmer zur Verfügung, Alleinstehende sind mit anderen ebenfalls in einem Zimmer untergebracht. Sanitäranlagen und Kü- che müssen sich alle teilen. Die Enge, eine kaum vorhandene Privatsphäre und Einschränkungen führen zu Kon- flikten. In manchen Unterkünften gibt es am Tag nur für eine Stunde warmes Wasser. Anweisungen der Beherber- gungsbetreiber untersagen es, sich vor dem Gebäude in Gruppen aufzuhalten. „Die Konflikte offen auszutragen, ver- suchen die Bewohner jedoch zu ver- meiden, indem sie Ausweichstrategien entwickeln“, erzählt Emily Kelling. So wird beim Onkel geduscht, der Park wird zum Rückzugsort für das Lernen und Entspannen und der Imbiss um die Ecke zur Küche. Fast alle Handlungen FORSCHUNG Wohnhaft im Verborgenen Lehrforschungsprojekt über die Unterbringung von Geflüchteten l h s a p s n U / y r r u C s i r h C © Tausende Menschen mit Aufenthaltsgenehmigung waren 2018 in Berlin wohnungslos also, die das Wohnen betreffen, wer- den ausgelagert. Das heißt, dass die Unterkünfte ihre Aufgabe, Wohnort für die Menschen zu sein, nicht erfüllen. Und dadurch, dass die Wohntätigkei- ten ausgelagert werden, um Konflikte zu vermeiden, bleiben die Konflikte im Verborgenen. So wird das Verbor- gensein ein konstitutives Element der Beherbergungswirtschaft. „Das Ver- borgensein erzeugt Handlungsdruck weder auf die Beherbergungsbetreiber noch auf Politik und Verwaltung. Die nur als Übergangslösung gedachte Un- terbringung in diesen privatwirtschaft- lichen Herbergen wird dauerhaft“, sagt Emily Kelling, „und sie ist der Tatsache geschuldet, dass es in Berlin generell an bezahlbaren Wohnungen fehlt.“ Kaum Kontrolle Sobald Asylsuchende eine Aufent- haltsgenehmigung erhalten, wechselt die Verantwortung für ihre Unterbrin- gung vom Landesamt für Flüchtlings- angelegenheiten zu den Berliner Be- zirksämtern. Sie haben die Pflicht, die Menschen vor Straßenobdachlosigkeit zu bewahren. Da aber die Bezirke für solche Fälle nicht über „Wohnre- serven“ verfügen und Wohnraum in Berlin knapp ist, mieten die Bezirke privatwirtschaftlich betriebene Unter- künfte an. Wie die Menschen dann dort untergebracht werden, das können die Bezirksämter kaum kontrollieren, weil es private Räume sind, zu denen Woh- nungsaufsicht oder Gesundheitsamt nicht ohne Weiteres Zutritt haben, so- lange keine Anzeige vorliegt. Die Unterbringung der Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung in Beherbergungsbetrieben schützt sie zwar vor Obdachlosigkeit, bietet ih- nen aber keinen geschützten Ort zum Wohnen. Vielmehr werden Räume prekären Wohnens erschaffen, so das Fazit der Forschungsarbeit. Die Pu- blikation entstand im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes. Sie wurde gefördert mit Mitteln des DFG-Son- derforschungsbereichs „Re-Figuration von Räumen“. Sybille Nitsche Wohnhaft im Verborgenen. Die Hostelwirt- schaft mit Wohnungslosen in Berlin, Hrsg. Emily Kelling, Dagmar Pelger, Martina Löw, Jörg Stollmann, Universitätsverlag der TU Ber- lin 2020, 273 Seiten, ISBN 978-3-7983-3151- 8 (print), ISBN 978-3-7983-3152-5 (online) Abhörsichere Satelliten Gerüche aus dem Untergrund Quantenspeicher-Idee siegt beim „INNOspace Masters“ Online-Konferenz über städtische Abwassersysteme tui Die Satellitentechnik birgt heu- te ein enormes Risiko für kritische Infrastrukturen wie die von Energie, Telekommunikation und Verkehr. Nach wie vor sind die Methoden zur Verschlüsselung der übertragenen Daten angreifbar. Vertrauenswürdig sind eigentlich nur selbst gebaute und betriebene Satelliten, die sich aller- dings nur Großunternehmen leisten können. Mit einem zukunftsweisen- den Vorhaben zur Entwicklung eines Quantenspeichers, der sogenannte nicht vertrauenswürdige Satelliten sicher machen soll, konnte sich jetzt ein Berliner Wissenschaftler*innen- Team im Innovationswettbewerb „IN- NOspace Masters“ vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchsetzen. Das Projekt wird nun mit 400 000 Euro gefördert. Maß- geblich beteiligt ist auch ein Team der TU Berlin um Prof. Dr. Janik Wolters, Fachgebiet „Physikalische Grundlagen der IT-Sicherheit“ an der TU Berlin so- wie am Einstein Center Digital Future (ECDF). Gemeinsam mit Kollegen vom Ferdinand-Braun-Institut, Leib- niz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH), und von der Humboldt-Univer- sität zu Berlin forscht er im Bereich der abhörsicheren Quantenkommu- nikation. Die im Projekt „QuMSeC“ zu entwickelnden Quantenspeicher können Quanteninformationen an Bord des Satelliten verarbeiten. So kann vom Boden aus überprüft wer- den, ob an Hard- oder Software ma- nipuliert wurde. Zum Gewinnerteam gehören auch Wissenschaftler*innen vom „Joint Lab Integrated Quantum Sensors“, das gemeinsam vom Ferdi- nand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik, und von der Humboldt-Universität zu Berlin betrieben wird. www.tu.berlin/go13541 Impressum Herausgeber: Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni der TU Berlin, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin T 030 314-2 29 19/-2 39 22 F 030 314-2 39 09 pressestelle@tu-berlin.de www.tu.berlin www.pressestelle.tu-berlin.de Chefredaktion: Stefanie Terp (stt) Chefin vom Dienst: Patricia Pätzold-Alg ner (pp) Redaktion: Romina Becker (rb), Susanne Cholod- nicki (sc), Ramona Ehret (ehr), Anna Groh (ag), Katharina Jung (kj), Bettina Klotz (bk), Sybille Nitsche (sn) Layout: Patricia Pätzold-Algner WWW-Präsentation: Silvia Dinaro, Imke Scholz Gestaltung, Satz & Repro: omnisatz | Motiv Offset NSK GmbH Erscheinungsweise 2020: 5-mal im Jahr, 35. Jahrgang Redaktionsschluss: 30. November 2020 Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Unverlangt eingesandte Ma- nuskripte und Leserbriefe können nicht zurück- geschickt werden. Die Redaktion behält sich vor, diese zu veröffentlichen und zu kürzen. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, so- wie Vervielfältigung u. Ä. nur mit ausdrück licher Genehmigung des Herausgebers. „Preis für das beste deutsche Hochschulmagazin“, 2005 verliehen von „Die Zeit“ und der Hoch- schulrektorenkonferenz (HRK) für das Publika- tionskonzept der TU-Presse stelle pp Etwas anrüchig wirkt das The- ma von Abhinav Dixit zunächst. Er beschäftigt sich mit Abwasserka- nälen und Kläranlagen – genauer mit deren Korrosion und Geruchs- entwicklung. Weltweit entsteht aus diesem Problem ein ökonomischer Verlust von Milliarden Dollar, und die Forschung dazu steckt ver- gleichsweise in den Kinderschuhen. Mit seinem Vortrag erregte der jun- ge Wissenschaftler, der im DFG- Graduiertenkolleg „Urban Water Interfaces“ (UWI) an der TU Berlin forscht, daher viel Aufmerksamkeit auf der ersten internationalen Kon- ferenz des UWI zu Schnittstellen in städtischen Wasser- und Abwasser- systemen. So wurde er auch für die Präsentation seiner Ideen zu neuen Modellen in diesem Bereich mit ei- nem „Best Talk Award“ ausgezeich- net. Mehr als 200 Teilnehmer*innen von fünf Kontinenten hatten sich virtuell zu der Konferenz eingefun- den. Sie befasste sich inhaltlich mit der Bedeutung von Grenzflächen n e t k e t i h c r A S R Z © im urbanen Wasserkreislauf und de- ren Auswirkungen auf die aktuelle und zukünftige urbane Wasserwirt- schaft. Mehr als 50 Vorträge, Diskus- sionen und sogar virtuelle Exkursi- onen zu ausgewählten Labor- und Feldexperimenten gaben Einblicke in die urbane Abwasserwirtschaft, die Frischwasserökosyste me und in die Prozesse an den Grenzflächen zwischen Grund- und Oberflä- chenwasser. Das Graduiertenkolleg UWI, eine enge Kooperation zwi- schen Ingenieur*innen und Natur- wissenschaftler*innen der TU Berlin und des Leibniz-Instituts für Ge- wässerökologie und Binnenfische- rei (IGB) seit 2015, wurde 2019 um fünf weitere Jahre verlängert. „Zwar konnten wir unseren jun- gen Forschungskolleg*innen nicht das Flair und die Diskussions- und Networking-Möglichkeiten einer solchen internationalen Konferenz zeigen“, sagt rückblickend Prof. Dr.-Ing. Reinhard Hinkelmann vom für Bauingenieurwesen, Institut der das Organisationskomi- tee mitleitete. „Doch auch im digitalen Raum sind vie- le bereichernde inhaltliche und technische Möglichkei- ten vorhanden.“ Und er ist überzeugt: „Auch zukünftig werden Konferenzen und andere Meetings ganz sicher vermehrt in einer Mischform aus Vor-Ort-Präsens und digi- taler Teilnahme stattfinden.“ I W U © Abhinav Dixit (unten) erhielt für seinen Vortrag den Best Talk Award Mehr Informationen auf der Konferenzseite: www.tu-berlin.de/?211012 Seite 7 NEU BEWILLIGT Bühne frei für die Architektur pp Architekturforschung wird an Universitäten betrieben, in der for- schungsorientierten Lehre, in Archi- tektur- und Ingenieurbüros sowie in der Industrie. Sowohl Ex per t*in- nen, Studierende, Architekt*innen und Ingenieur*innen als auch die Öffentlichkeit sind dabei jeweils die Zielgruppe. „Das Potenzial dieser Forschung liegt jedoch – wie in der Praxis auch – gerade in der Synthese, die das Wissen aus diesen unterschiedlichen Bereichen zu- sammenführt und vereint. Hierfür fehlen jedoch bis heute ein verbin- dendes Konzept und die notwen- dige digitale Infrastruktur“, sagt Prof. Dr. Jörg Gleiter, der an der TU Berlin das Fachgebiet Architek- turtheorie leitet. Um diese Lücke zu schließen, hat er nun zusammen mit Prof. Dr. Norbert Palz von der Universität der Künste, Fachgebiet Digitales und Experimentelles Ent- werfen, ein DFG-Verbundprojekt zur Kollaborativen Architekturfor- schung eingeworben, das soeben bewilligt wurde. Im Rahmen des dreijährigen experimentellen Pi- lotprojekts, das mit rund 800 000 Euro gefördert wird, entwickelt und erprobt ein interdisziplinäres Team aus Architektur, Informatik und Design eine Open-Access-Pu- blikationsplattform. Die „Architec- tural Research Stage“ (ARS), an der auch weitere akademische und außerakademische Partner betei- ligt sind, wird so ein erstes Berlin- Brandenburger Pilotnetzwerk der Architekturforschung bilden. DIGITALER HOLZBAUATLAS Klimagerechtes Bauen pp Ob als mehrgeschossiger Woh- nungs-, als modularer Schulbau oder als 20 Meter überspannendes Hallentragwerk: Das Bauen mit Holz erlebt eine neue Ära. Einen Überblick über Bauten mit dem klimaschonenden Baustoff Holz in Berlin gibt nun der „Holzbau Atlas Berlin-Brandenburg“. Das Natural Building Lab des Instituts für Architektur der TU Berlin hat ihn gemeinsam mit der Senatsver- waltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz ins Leben gerufen. Die digitale Plattform porträtiert rund 70 innovative Holzbaupro- jekte der Metropolregion Berlin- Werkstattgebäude der Konrad-Zuse- Schule in Berlin Brandenburg und verortet sie auf einer interaktiven Karte. Die Grundlagen legten Studierende im Natural Building Lab, das Prof. Eike Roswag-Klinge an der TU Berlin leitet. Sie recherchierten, kartografierten Projekte und leg- ten Steckbriefe an. Zu entdecken sind zum Beispiel die Infozent- rale auf dem „Vollgut-Areal“ in Neukölln, die unter anderem mit dem Berliner Holzbaupreis ausge- zeichnet wurde, sowie das Design- Build-Projekt „Plug-In“, das im TU-Fachgebiet CODE von Prof. Ralf Pasel entstand. Architektoni- sche Forschungsthemen aus dem Natural Building Lab setzte Eike Roswag-Klinge mit dem Werkstatt- gebäude der Konrad-Zuse-Schule in Pankow um (Foto oben). www.holzbauatlas.berlin