TU intern | Nr. 1/April 2021 FORSCHUNG UND WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION | 7 Drei Säulen für Wissenschafts- kommunikation Zertifikats- und Master- kurse laufen erfolgreich pp Dieses Dreigestirn zur Aus- und Weiterbildung in der Wissenschafts- kommunikation ist einmalig: Im Juni 2020 startete die TU Ber- lin das neue Zertifikatsprogramm „Wissenschaftskommunikation für (Nachwuchs-)Wissenschaftler*in- nen“. Die Kurse richten sich an Forscher*innen der Universität und werden von der TU-Zentralein- richtung Wissenschaftliche Weiter- bildung und Kooperation (ZEWK) angeboten in Zusammenarbeit mit der Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni. Den Teilneh- menden wird vermittelt, wie sie komplexe Forschungsinhalte auch für fachfremde Zielgruppen auf- bereiten und in unterschiedlichen Medien umsetzen können. Eine zweite Säule ist das „Wissen- schaftsmarketing“, ebenfalls als Zertifikatskurs angelegt. Die TU- eigene Dienstleistungsgesellschaft tubs GmbH startet den mehrmo- natigen Kurs im Juni 2021 bereits zum dritten Mal. Er konzentriert sich insbesondere auf die Modu- le Kommunikationsmanagement, Marketing und Public Affairs. Management, Marketing und Journalismus Mit einem Master of Science schließt der viersemestrige weiter- bildende Masterstudiengang „Wis- senschaftsmanagement/Wissen- schaftsmarketing“ ab, der ebenfalls von der tubs GmbH koordiniert wird. Hier werden Spezialist*innen für Markenbildung, Wissenschafts- journalismus und auch Fundraising ausgebildet. Ob Einwerbung großer EU-Projekte oder deren anschlie- ßendes Management – das Studien- programm bietet das Rüstzeug für dieses neue und vielfältige Arbeits- feld: Strategie, Hochschulrecht, Forschungs- und Innovationsma- nagement und anderes wird hier in Online- und Präsenzphasen studiert. Der Masterstudiengang ist kostenpflichtig und läuft bereits seit einigen Jahren erfolgreich. Nun macht die TU Berlin ihren Mitglie- dern ein besonderes Angebot: Da sich das Wissenschaftssystem zu- nehmend wettbewerbsorientiert ausrichtet, ermöglicht die Uni- versität ihnen eine qualifizierte Weiterbildung in diesem Bereich. Bis zu zehn Beschäftigte können Stipendien für diesen Master er- halten, die aus zentralen Mitteln der TU Berlin bestritten werden. Das Studium startet jährlich zum Wintersemester. www.zewk.tu-berlin.de www.tubs.de Weiterbildung für Wissenschaftler*innen Die ZEWK der TU Berlin bietet ein vielseitiges Programm für For- schende an. Alle Kurse sind für Homeoffice geeignet. Wissenschaftskommunikation: Konzepte, akademischer Pitch Digitale Lehre: Videokonferen- zen, Urheberrecht, E-Prüfungen Lehre und Lernen: Nachhaltig- keit, Teachers Games, Lernen und Lehren vor historischem Hinter- grund Forschungsmanagement: Ethik, Offene Daten, transdisziplinäre Forschung Arbeits- und Managementtech- niken: Schreiben, Inhalte bereit- stellen, Motivation Präsentieren: Weiteres im Ge- samtprogramm: www.tu-berlin.de/?190705 Der Politik und der Gesellschaft entgegenkommen Verkehrsforscher Kai Nagel zur Aufgabe der Wissenschaft in der Krise n n a m m o r F a r a b r a B © Professor Kai Nagel ist Leiter des Fachgebiets für Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der TU Berlin Prof. Nagel, Sie sind Verkehrsforscher – wie kommt es, dass Sie jetzt zu einem Experten in der Vorhersage von Entwicklungen in der Corona-Pande- mie geworden sind? In meinem Fachgebiet entwickeln wir Simulationsmodelle für den Verkehr. Ein Ansatz, diese aufzubauen, beruht auf Bewegungsprofilen, die sich aus Mobilfunkdaten ergeben. Allerdings können wir die Bewegungsprofile aus Datenschutzgründen nicht direkt ver- wenden. Es ist dagegen erlaubt, aggre- gierte statistische Informationen zu entnehmen. Für die Covid-Simulationen koppeln wir diese Bewegungsprofile mit einem mathematischen Modell für die Anste- ckungswahrscheinlichkeit des Virus. Im Ergebnis entstehen Vorhersagen, wie viele Menschen sich potenziell in bestimmten Situationen, zum Bei- spiel im Restaurant, im ÖPNV oder im Büro, anstecken. Das ist übrigens keine neue Idee. Als ich vor 20 Jahren in den USA gearbeitet habe, wurden solche Modelle genutzt, um die da- mals wahrscheinlichere Gefahr der Verbreitung von Anthrax oder Pluto- nium nach terroristischen Attacken zu berechnen. Ihre regelmäßigen Forschungsberichte haben schnell viel Echo in den Medien und in der Politik gefunden. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Berater der Politik? Ich sehe meine Aufgabe darin, wissen- schaftliche Erkenntnisse zu produzieren und zu vermitteln. In unserem Fall heißt das: Wenn Kontaktbeschränkungen A oder B gestaltet werden, erwarten wir einen Wert des Infektionsgeschehens von X oder Y. Wir versuchen es zu ver- meiden Empfehlungen abzugeben, die sich nicht wissenschaftlich begründen lassen. Ist es nicht systemimmanent in der Wissenschaft, dass unterschiedliche Ergebnisse und Interpretationen vor- liegen? Kann es da überhaupt konsis- tente Aussagen geben? Meiner Meinung nach gibt es zwei Ebenen: Zum einen halte ich es für essenziell, dass die Politik in den Ver- waltungsapparaten eine gewisse Ex- pertise vorhalten muss. Das bedeutet, im Gesundheitsministerium muss es ausreichend Fachreferenten geben, die über eine fundierte wissenschaftliche Expertise verfügen, damit sie wissen- schaftliche Erkenntnisse beurteilen und einordnen können. Das ist leider nicht immer der Fall. Kommen wir zur zweiten Ebene: Ich habe sehr selten erlebt, dass eine di- rekte Auseinandersetzung von seriösen Wissenschaftler*innen zu vollkommen unterschiedlichen Erkenntnissen führt. Natürlich – Blickwinkel oder die Si- cherheit, mit der Interpretationen oder Schlussfolgerungen getroffen werden, können variieren. Wenn zahlen- und datenorientiert gearbeitet wird, ist das in der direkten Auseinandersetzung von seriösen Wissenschaftler*innen aber in der Regel kein Problem. Wie gehen Sie als Wissenschaftler da- mit um, wenn Sie den Eindruck gewin- nen, dass die Politik wissenschaftliche Ergebnisse ignoriert? Obwohl ich das auch aus der Verkehrs- planung kenne, hat mich das lange be- lastet. Die Bevölkerung ist gegenüber den Vorhersagen aus der Wissenschaft skeptisch, solange sie die Konsequen- zen noch nicht spürt. Denkt man diese Haltung weiter – zum Beispiel in Rich- tung Klimawandel –, ist das besorg- niserregend. Da fragt man sich, muss ich mehr tun, um die Konsequenzen zu verdeutlichen oder überschätze ich vielleicht auch meine eigene Rolle als Wissenschaftler? Tritt die Gesellschaft der Wissenschaft heute anders gegenüber als noch vor der Pandemie? Die Wissenschaft muss eine gewisse Übertragungsleistung erbringen. Das war schon immer so und ist jetzt auch so: Es reicht nicht, dass wir wissen- schaftlich exzellente Publikationen produzieren. Wir müssen der Politik und der Gesellschaft immer wieder ein Stück entgegenkommen. Das Gespräch führte Katharina Jung Ideen aus dem Experimentallabor Berlin University Alliance fördert neue Formate der Wissensvermittlung Wissenschaftskommunikation zum Mitmachen – zum Beispiel als Gesell- schaftsspiel. Das ist der spielerische Ansatz des Projekts „Trash Games – Playing with the Circular Economy Transition“. Es ist eines der sechs von der Berlin University Alliance (BUA) ausgewählten und mit insgesamt rund 2,4 Millionen Euro über drei Jahre ge- förderten Experimentallabore. Damit unterstützt die BUA Ideen für innova- tive Formen und Formate der Wissen- schaftskommunikation zum Wissens- austausch zwischen Forschung und Gesellschaft. „Trash Games“, dessen Hauptantragstellerin Prof. Dr. Vera Rotter vom TU-Institut für Techni- schen Umweltschutz ist, untersucht zum Beispiel zusammen mit dem Stadtlabor of Multimodal Anthropo- logy der HU Berlin, mit Akteuren aus Kunst, Bildung und Sozialleben die Wirksamkeit von ökologischen und klimafreundlichen Alternativen zum Überkonsum wie Gebrauchtmaterial- Märkte, öffentliche Werkstätten, Re- k a o N x i l e F © Arbeiten im BLiX-Labor von TU Berlin und Max-Born-Insitut pair-Cafés oder Leihläden für Werk- zeug und Geräte, um die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft praktisch er- fahrbar zu machen. Ein weiteres Beispiel ist das „Projekt- labor Wissenschaftskommunikation“, Hauptantragstellerin Prof. Dr. Birgit Kanngießer, TU-Institut für Optik und Atomare Physik. Hier entwickeln Wissenschaftler*innen aus Physik, Chemie, Didaktik und Arbeitslehre ein Lehrmodul für Studierende. In interdisziplinären Gruppen mit Natur- wissenschaftler*innen von TU, FU und HU Berlin werden hier neue Ideen ent- wickelt, um wissenschaftliche Daten zielgruppengerecht zu präsentieren. Eingebunden sind auch große Labore und Einrichtungen wie der Elektronen- speicherring BESSY II oder das Labor für Röntgentechnologien BLIX. Mit Künstler*innen sollen Wissens-Darstel- lungsformate wie Performances, multi- mediales Arbeiten oder Installationen entstehen. Patricia Pätzold www.berlin-university-alliance.de CITIZEN SCIENCE Bürger schaffen Wissen Neun Millionen Euro vom Bundes- ministerium für Bildung und For- schung (BMBF) fließen in den kom- menden rund vier Jahren in zwei neue Verbundprojekte, die von der TU Berlin koordiniert werden. Sie gehören zu einer Auswahl von ins- gesamt 15 Projekten, die von einer Jury aus Wissenschaft und Zivilge- sellschaft getroffen wurde. Damit festigt die Bürgerforschung, die soge- nannte Citizen Science, ihren Platz in der Wissenschaft. Das TU-Projekt „Mein Ding – Ich bin, was ich (nicht) habe“ untersucht, welche Besitztü- mer notwendig sind und wovon man sich – mehr oder weniger schweren Herzens – trennen könnte. Das zwei- te Projekt der TU Berlin „Wohnqua- lität – Forschen mit Kindern und Ju- gendlichen zur Wohnqualität in der Großwohnsiedlung“ erkundet mit Kindern und Jugendlichen in der Berliner Großwohnsiedlung Neu- Hohenschönhausen die Schönheiten und Widrigkeiten ihrer Umgebung. Um den Dialog über die gesell- schaftliche Wirkung von Bürger- wissenschaft weiter zu unterstüt- zen, veranstaltet die TU Berlin vom 6. bis 8. Mai 2021 das (digitale) Fo- rum Citizen Science. Gemeinsam mit der Plattform „Bürger schaffen Wissen“ von Wissenschaft im Dialog und dem Museum für Naturkunde Berlin wird der Frage nachgegan- gen: „Vertrauen, Wirkung, Wandel: Citizen Science als Antrieb von Ver- änderung?“ Projektinitiator*innen, Wissenschaftskommunikator*innen, gesellschaftliche und politische Ak- teur*innen sowie interessierte Bür- gerforscher*innen sind eingeladen zum Austausch und Vernetzen. www.buergerschaffenwissen.de www.tu.berlin/go22448/ r e l l ü M s u a C / i b p l © Projekt Wohnqualität in Großsied- lungen Neubewilligt: Debatte im Museum pp „Museen als Räume der so- zialen Kohäsion“ ist der Titel eines neuen Projekts, in das der Exzel- lenzverbund „Berlin University Alliance“ (BUA) 1,2 Millionen Euro investiert. Damit will die BUA Spitzenforschung in diesem Feld langfristig etablieren. Die soziale Kohäsion, der gesellschaftliche Zusammenhalt, gehört zu den „Grand Challenges“, den über- greifenden Themen, mit denen Berlin in der Exzellenzstrategie erfolgreich war. Beteiligt an dem interdisziplinären Projekt sind TU Berlin und HU Berlin sowie das Museum für Naturkunde und die Stiftung Preußischer Kulturbe- sitz. Neue Formate der Wissens- vermittlung und der Lehre – wie zum Beispiel ein Bürger*innenrat, Podcasts, Science Slams, öffent- liche Workshops, Debatten und Formen des forschenden Lernens – sollen entwickelt und etabliert werden, ebenso wie ein inter- aktives Online-Portal und Tools für frei zugängliche Forschungs- daten. Geplant ist außerdem, damit Grundlagen für ein Ein- stein-Zentrum zu Museen und Gesellschaft in Berlin zu legen, so Prof. Dr. Bénédicte Savoy vom TU-Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne, die das Großpro- jekt mitleitet. www.kuk.tu-berlin.de