TU intern | Nr. 4/Dezember 2021 QUEEN'S LECTURE Lösungen für den weltweiten Frieden Rund 300 Menschen verfolgten am 1. November 2021, wie Sanam Naraghi Anderlini ihre „Blaupause für den Frieden im 21. Jahrhundert“ vorstellte, in der besonders Frauen weltweit eine wesentliche Rolle zu- kommt. Bis heute wurde die You- Tube-Übertragung der diesjährigen Queen’s Lecture aus der TU Berlin rund 1700 Mal aufgerufen. Sanam Anderlini, die Direktorin des Centre for Women, Peace and Security der London School of Economics and Political Science, war pande- miebedingt live aus Washington zugeschaltet, als sich im Lichthof der TU Berlin eine hochkarätige Diskussionsrunde versammelt hat- te, um sie zu begrüßen und nach ihrem Vortrag eigene Fragen und Nachfragen aus dem Chat-Pub- likum mit ihr zu erörtern. Neben dem Gastgeber und TU-Präsiden- ten Prof. Dr. Christian Thomsen war die britische Botschafterin Jill Gallard anwesend, der Chef der Senatskanzlei Christian Gaebler sowie Olaf Kranz und Paul Smith, Direktoren der Britischen Botschaft in Berlin und des British Council, die beide Mit-Gastgeber waren. Chris- tian Gaebler überbrachte Grüße des Regierenden Berliner Bürger- meisters Michael Müller und – Tradi- tion bei den seit mehr als 50 Jahren stattfindenden Queen’s Lectures – Jill Gallard verlas eine persönliche Grußbotschaft Ihrer Majestät, der Königin von England, Elizabeth II., die die hohe Wertschätzung dieser Veranstaltung von britischer Seite ausdrückte. n i l r e B U T © Kämpferin für den Frieden: Sanam Anderlini © „Sanam Naraghi Anderlini wird nicht nur über den Frieden im 21. Jahrhundert sprechen, sondern auch über die Rolle von Frauen in Konfliktregionen und in friedens- bildenden Prozessen sowie dar- über, wie der Klimawandel Kon- fliktsituationen weiter anheizt“, kündigte die englische Queen dem Publikum in ihrer Grußbotschaft an. „Ich gratuliere der Technischen Universität Berlin zu ihrer Queen’s Lecture 2021 und wünsche Ihnen allen einen interessanten Abend.“ Die geborene Iranerin, Rechtsan- wältin und aktive Unterstützerin so- wie Organisatorin vieler politischer Frauenorganisationen weltweit, bat das Publikum, einen Moment zu reflektieren, was eigentlich Frie- den ist, den wir in Mitteleuropa und den USA für so selbstverständlich halten, wie er entsteht und politisch gebildet oder aufrechterhalten wer- den kann. Sie zitierte den General- sekretär der Vereinten Nationen An- tonio Guterres mit den Worten: „Wir schauen in den Abgrund und gehen in die falsche Richtung, insbeson- dere, wenn wir nach Syrien oder Afghanistan schauen.“ In welche Richtung man gehen könnte, prä- sentierte sie mit ihrem Programm P.R.E.P. (Peace Resilience Equality Pluralism) und stellte Zahlen vor, die zeigten, dass Verhandlungen, an denen Frauen beteiligt sind, be- sonders erfolgreich sind und mehr Lösungen finden. Das Veranstal- tungsvideo sowie ein ausführliches Interview sind auf den Webseiten der TU Berlin verfügbar. Patricia Pätzold www.tu.berlin/go33856/ MENSCHEN 9 NOTIZEN Kann die Maschine Literatur übersetzen? k a o N x i l e F © Internationale Unterstützung für das Climate Change Center: Elke Weber von der Princeton University © Die Psychologie der Klimakrise Viele betrachten den Klimawandel nicht als reale Bedrohung D ass neue Modelle für unseren Lebensstil und dafür auch neue „role models“ gebraucht werden wie Künstler*innen, Drama- turg*innen, Musiker*innen und ande- re öffentliche Personen, darüber war man sich einig beim Climate Talk des Climate Change Center Berlin Bran- denburg „Give the future a Chance“ am 5. November 2021. Und dass Psychologie einen wesent- lichen Beitrag leisten kann, Menschen zu neuem Lebensstil zu ermuntern und soziale Normen zu verändern, berichtete Prof. Dr. Elke Weber dem Publikum im Museum für Naturkunde. Sie präsentierte aktuelle Ergebnisse ihrer Forschungen in Princeton, wo sie derzeit untersucht, warum viele Men- schen den Klimawandel noch nicht als reale Bedrohung betrachten. Diese könnten dazu beitragen, Vorurteile zu reduzieren, die für umweltverträgliche Entscheidungen schädlich sind. „Psy- chologie, Ökonomie und andere so- ziale Wissenschaften spielen eine be- deutende Rolle bei der Untersuchung von Entscheidungen, die mit dem Ver- halten der Umwelt gegenüber zusam- menhängen. Das gilt für breitere, kol- lektive Haltungen, für individuelle und für politische Entscheidungen“, sagt die Psychologin, die an der renom- mierten US-Universität Energie und Umwelt, Psychologie und Öffentliche Angelegenheiten am Center for Policy Research on Energy and the Environ- ment (C-PREE) erforscht. Das C-PREE ist einer der internationalen Partner aus Großbritannien, Frankreich, Ke- nia, Indien, Israel und eben den USA, die der Climate Change Center ihre Unterstützung zugesichert haben. Abbau von Barrieren für Verhaltensänderungen Elke Weber ist eine anerkannte wissen- schaftliche Beraterin der politischen Riege und wurde Anfang 2021 in die amerikanische National Academy of Science gewählt. Dieser Auszeichnung liegt insbesondere ihr einzigartiger Ansatz zugrunde, psychologische Prinzipien mit Verhaltensänderungen zu verbinden und deren Auswirkungen auf Umwelt- und Wirtschaftspolitik, Kommunikations-, Management- und Führungsmodelle aufzudecken. Unter anderem untersucht sie dabei die so- zialen und psychologischen Barrieren, die der Dekarbonisierung, also der Reduzierung der CO2-Emissionen be- ziehungsweise des CO2-Gehalts der At- mosphäre, entgegenstehen. Eines ihrer jüngsten Forschungsprojekte zur CO2- Abscheidung und Speicherung, der so- genannten CCS-Technologie (Carbon capture and sequestration), hat in einer demografisch repräsentativen Stichpro- be gezeigt, wie wenig bekannt CCS in der Bevölkerung ist. „Die Ergebnisse dieser beispielhaften Studie sind ein Signal“, so Elke Weber, „dass die viel- versprechende Technologie stärker in die Bevölkerung hinein kommuniziert werden muss.“ Die Technologie, die einen wesentlichen Beitrag zum Null- Emissionsziel der USA bei den Treib- hausgasen bis 2050 leiste, betrete jetzt den politischen Raum, aber in weiten Kreisen der amerikanischen Öffentlich- keit habe sie noch nicht annähernd die Anerkennung als Umwelttechnologie erfahren wie Sonnen- oder Windener- gie. „Ein Verbot, neue Kohle- und Gas- kraftwerke zu bauen, würde danach mehr Unterstützung finden als Subven- tionen der CCS-Technologie und damit einhergehender Steuererhöhungen, die eine unverminderte Stromerzeugung ermöglichen würde.“ Die öffentliche Unterstützung nehme mit steigenden Kosten für den CCS-Einsatz und sin- kenden Anforderungen der Mindest- entfernungen von Wohngebieten ab. „Die Verhaltensforschung kann uns helfen, die vielversprechendsten Stra- tegien für einen gesellschaftlichen Ver- haltenswandel zu identifizieren“, sagt Elke Weber, „zum Beispiel die Nut- zung des sozialen Einflusses oder das standardmäßige Treffen nachhaltiger Entscheidungen.“ Patricia Pätzold https://cpree.princeton.edu/ Geflüchtet, weiblich, chancenlos? Wege zur Integration von Frauen mit Fluchthintergrund in den Arbeitsmarkt Fremde Sprache, Kultur und Menschen – Flucht stellt Betroffene vor große so- ziale und berufliche Herausforderun- gen. Geflüchtete Frauen sind anfangs, oft gebunden durch familiäre Pflichten, kaum in der Lage, sich mit der Wieder- aufnahme eines Berufs zu befassen. Doch wie kann ehemaligen Schneide- rinnen oder Ingenieurinnen aus dem Irak oder Syrien die berufliche und damit gesellschaftliche Integration ge- lingen? In Berlin sind zwei innovative Pilotvorhaben im Rahmen des EU-Pro- jekts „Integrating Refugees in Society and the Labour Market through Social Innovation“ (SIforREF) dieser Frage nachgegangen: Die Projekte „Selbst- ständigkeit und ich“ der Initiative Selbstständiger Immigrantinnen e.V. (ISI e.V.) und „Work for Refugees“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes e.V. untersuchten und begleiteten seit 2019 die Beschäftigung von geflüchteten Frauen. Koordiniert wurden sie durch das wissenschaftliche Team von Prof. Dr. Hans-Liudger Dienel am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitsleh- re der TU Berlin. In Deutschland waren 2019 nur rund drei Prozent der selbstständig Beschäf- tigten mit Fluchterfahrung Frauen. . V . e I S I / y s s e n n e H n a s u S © © Teilnehmerinnen des Pilotvorhabens „Selbstständigkeit und ich“ der Initiative Selbst- ständiger Immigrantinnen e.V. Im Heimatland hatte noch jede vier- te Frau selbstständig gearbeitet. In Berlin waren nur 17 Prozent über- haupt erwerbstätig. „Die langjährige Ausgrenzung aus Gesellschaft und Arbeitsmarkt führte bei vielen zu De- pressionen und Hoffnungslosigkeit”, erklärt Susan Hennessy von ISI e.V. Hilfreich war unter anderem ein nied- rigschwelliges (Beratungs-)Angebot, der Zugang zu Kinderbetreuung, Wei- terbildungen sowie die Anerkennung von Berufserfahrungen. „Die Berliner Erfahrungen können auch zur schnel- len Integration geflüchteter Frauen aus Afghanistan dienen“, so Hans-Liudger Dienel. So sollen die Projektergebnisse auch in Empfehlungen für die lokale und transeuropäische Integrationspoli- tik und Flüchtlingsarbeit fließen. Romina Becker www.tu.berlin/go33966 t a v i r p © Der Autor und Übersetzer Olaf Kühl lehrt im Wintersemester 2021/22 an der TU Berlin Stammt die Übersetzung des Ro- mans, den man gerade liest, aus einem menschlichen Hirn ? Oder aus den neuronalen Netzen der Künst- lichen Intelligenz ? „KI-Systeme wie Deep Learning liefern heute Über- setzungen auch komplexer Texte, bei denen man das nicht mehr auf Anhieb sagen kann“, sagt Dr. Olaf Kühl, vielfach ausgezeichneter Über- setzer und Autor, der sich in diesem Wintersemester als Gastdozent mit „KI und literarischer Übersetzung“ befasst. „Die interdisziplinäre Suche nach dem Subjekt der Übersetzung und den uneinnehmbaren Festun- gen menschlicher Kreativität“ ist der Untertitel des von ihm angebote- nen freien Wahlmoduls am Institut für Philosophie, Literatur-, Wissen- schafts- und Technikgeschichte der Fakultät I Geistes- und Bildungswis- senschaften. „Dass eine KI-generier- te literarische Übersetzung mitunter nicht sofort erkannt werden kann, hat natürlich Konsequenzen für die kreativen und emanzipatorischen Möglichkeiten, die dem Menschen bisher beim Übersetzen offenstan- den. Wird er abgelöst von Systemen, deren Entscheidungen intransparent sind, dann droht Entmündigung“, so Olaf Kühl. „Wir untersuchen diese Entwicklung an zahlreichen konkreten Beispielen, etwa an Elfriede Jelineks Überset- zungen der Romane des geheimnis- vollen amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon oder an altchinesi- schen Gedichten – denn auch damit trainiert Microsoft inzwischen seine Systeme.“ Stipendium des deut- schen Übersetzerfonds Ermöglicht wurde dieses zusätzli- che Lehrangebot durch den Deut- schen Übersetzerfonds, der am Lite- rarischen Kolloquium Berlin e. V. in Wannsee beheimatet ist und der im Rahmen des Zukunftsprogramms „Neustart Kultur“ der Bundesregie- rung 46 Gastdozenturen für litera- rische Übersetzer*innen vergeben konnte. Seit den 1980er-Jahren hat Olaf Kühl rund 50 Romane und Thea- terstücke aus dem Russischen, Polnischen und Serbokroatischen übersetzt, unter anderem die Auto- biographie „Ein Weg der Hoffnung“ des Solidarnosc-Gründers und spä- teren polnischen Staatspräsidenten Lech Walesa. 1988 bis 1996 war er Dolmetscher und Übersetzer des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und von 1996 bis 2021 dessen Russlandreferent. Mit „Tote Tiere“ legte Olaf Kühl 2011 seinen Debütroman vor. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er 2005 zu- sammen mit Dorota Masłowska den Deutschen Jugendliteraturpreis für „Schneeweiß und Russenrot“, war 2013 mit seinem eigenen Roman „Der wahre Sohn“ für den Deut- schen Buchpreis nominiert. Die Arbeit mit den Studierenden ist für ihn sehr inspirierend : „Sie zwingt mich dazu, vorher wolkige Gedan- ken zu präzisieren und im Dialog zu klären. Wie immer lerne ich selbst dabei mindestens ebenso viel wie die Teilnehmer*innen.“ Patricia Pätzold