12 FORSCHUNG – WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION TU intern | Nr. 2/Juni 2021 HÖLLERER-VORLESUNG Macht und Grenzen der Künstlichen Intelligenz pp Ein Highlight im akademischen Jahr der TU Berlin ist sicherlich die jährliche Höllerer-Vorlesung der Ge- sellschaft von Freunden der TU Berlin e. V. Nachdem sie im vergangenen Jahr coronabedingt ausfallen muss- te, ist es in diesem Jahr gelungen, einen exzellenten Redner zu gewin- nen und einen Vortrag zu organi- sieren, der online stattfinden wird. Und die „Freunde“ können sich mit ihren Gästen auf einen besonderen Besucher im virtuellen Raum freuen: Prof. Dr. Hans Uszkoreit, wissen- schaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und ehemaliger Honorarprofessor der TU Berlin, wird das Thema „Menschliche Sprache und Künstliche Intelligenz“ ausloten. n o r t e h c A l © Professor Hans Uszkoreit Die neuesten Sprachmodelle – sie sind gigantisch groß – können sich bei der Erzeugung von Texten bereits besser ausdrücken als der durch- schnittliche menschliche Sprachbe- nutzer. Millionen von Nutzern set- zen die Softwareanwendungen Siri, Google Translate und Grammarly täglich mit Erfolg ein. Noch machen sie viele Fehler – denn ihre allgemei- ne Sprachbeherrschung reicht noch nicht einmal an die eines Drittkläss- lers heran. Computer können schrei- ben wie Journalist*innen – ohne die Menschen und die Welt zu verstehen. Journalist*innen könnten das nicht. Das verwirrt. Hans Uszkoreit, der 25 Jahre lang den Forschungsbereich Sprachtechnologie am DFKI leitete, in Peking ein KI-Technologiezent- rum aufbaute sowie das KI-Start- up GIANCE gründete und mehr als 200 internationale Publikationen zu Sprach- und Wissenstechnologien veröffentlichte, wird diese scheinba- ren Widersprüche in seinem Vortrag erklären. Er wird dabei die Essenz menschlicher Intelligenz den Grund- prinzipien der heutigen KI gegen- überstellen, über deren Macht und Grenzen sprechen und sich der Frage widmen: Wenn die Künstliche Intelli- genz den Menschen bereits heute in Schach, Go oder Poker schlägt und auch beim Autofahren sowie bei der Erkennung von Gesichtern weniger Fehler macht, wird die Technologie dann auch bald die menschliche Sprache besser beherrschen als es die Schöpfer dieser Algorithmen selbst vermögen? 8. Juli 2021, 18.15 bis 20.00 Uhr. Weitere Informationen zu Anmel- dung und Teilnahme am virtuellen Vortrag finden Sie demnächst auf der Homepage der Gesellschaft von Freunden e. V: www.tu.berlin/go929 sekretariat@freunde.tu-berlin.de Der Pergamonaltar im Berliner Pergamonmuseum ist ein Kulturgut mit komplexer Verlagerungsgeschichte: 1886 aus Bergama (heute Türkei) nach Berlin abtransportiert, 1945 in die Sowjetunion verlagert und 1958 in die DDR zurückgebracht. Der Kampf um die Restitution Beutekunst und Verlagerung von Kulturgütern in 2000 Jahren Menschheitsgeschichte © i i a d e p k W / h c i i l h e M n a J E ine Blamage, die sich Deutsch- land hätte ersparen können: Kurz vor der – virtuellen – Er- öffnung des Humboldt-Forums im Ber- liner Schloss, dem geplanten Museum der Weltkulturen, im Dezember 2020 lag die Rückgabeforderung des nige- rianischen Botschafters Yusuf Tuggar für die wertvollen Benin-Bronzen auf dem Tisch. Die afrikanischen Kunst- werke, gewaltsam angeeignet und nach Europa verbracht am Ende des 19. Jahrhunderts, sollten eigentlich das Herzstück des neuen Weltmuseums werden. Dabei war die Rückforderung nicht neu – sie war ignoriert worden. Nun erst, nachdem die öffentliche Em- pörung immer lauter wird, nehmen die bundesdeutschen Aktivitäten zur Rückgabe geraubter Kunstwerke an ihre Ursprungsländer, deren Identität sie verkörpern, an Fahrt auf. Erstmalig wurden die seit Jahren in den musea- len und behördlichen Schubladen lie- genden Rückgabeforderungen ernst ge- „Beute”: Der Bildatlas und die Anthologie sind im Verlag Matt- hes & Seitz erschienen. Kunst- und Kulturschätze als Siegestrophäen pp Wie sehr das Thema „Beute- kunst“ mittlerweile die Gemüter bewegt, zeigt ein weiteres Buch aus der Feder der TU-Kunsthistorikerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy, die auch eine internationale Professur am Pariser Collège de France hält. Das kürzlich im C. H. Beck-Verlag er- schienene Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst – Geschichte einer post- kolonialen Niederlage“ fand sich im April und Mai 2021 auf Platz 1 der Bestenlisten von ZEIT, ZDF, Deutsch- landfunk Kultur und anderen. Am Beginn ihrer Recherche stand das Erstaunen darüber, dass das Nachdenken über die Rückgabe von Kunst- und Kulturwerken, die aus Afrika in der Kolonialzeit als Siegestrophäen oder als Signum der Überlegenheit entführt oder verlagert wurden, keineswegs nommen. Ende April 2021 gab die Be- nin Dialogue Group unter Vorsitz von Kulturstaatsministerin Monika Grütters eine gemeinsame Erklärung heraus, um zusammen mit Museen und dem Aus- wärtigen Amt einen realistischen Fahr- plan für die Rückgaben zumindest der Benin-Bronzen zu entwickeln. Doch das Motiv des triumphalen Prä- sentierens geraubter Kunstwerke zieht sich schon seit der Antike durch die Geschichte. Davon erzählen der opu- lente Bildatlas und die Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe „Beute“, die die Forschungsgruppe „transloca- tions“ der TU Berlin jetzt im Berliner Verlag Matthes & Seitz herausgegeben hat – ein Beitrag zur mittlerweile hit- zigen Debatte über die Aufarbeitung der kolonial-imperialen Vergangenheit Europas. Zehntausende wurden getötet – die Kunst gestohlen Als Weckruf an die deutsche Museums- landschaft gilt heute der Austritt der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, Professorin für die Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin, aus dem Beratergremium für den Aufbau des Humboldt-Forums im Sommer 2017. Ihr fehlte die Transparenz der Herkunft der Objekte, die Provenienzforschung. „Ich will wissen, wie viel Blut an den Objekten klebt“, war eine ihrer plaka- tiven Forderungen, die seither immer wieder zitiert wird. Und viel Blut klebt auch an den Benin-Bronzen: 1897 wur- de Benin City von britischen Truppen niedergebrannt, wurden Zehntausende einheimischer Edo von 1200 Soldaten bei einer „Strafexpedition“ getötet, Tausende von Elfenbeinschnitzereien und Bronzen aus dem zerstörten Kö- nigspalast nach Europa abtransportiert, gehandelt und verkauft. Weltweit gibt es 3000 bis 5000 Objekte, darunter 900 Reliefplatten. Die meisten davon befin- den sich im British Museum in London. Berlin besitzt etwa 500 dieser Ob- jekte und insgesamt aber etwa 75.000 Objekte aus Afrika, die als koloniale Raubkunst seit 1884 hierherkamen. Die Kunsthistorikerin, deren Lebensthema die geraubte Kunst ist, seit sie über die Beutezüge Napoleons promovierte und später die aufsehenerregende Ausstel- lung in der Bundeskunsthalle in Bonn kuratiert hatte („Napoleon und Euro- pa. Traum und Trauma“, 2010/11) fand Gehör. Bereits 2016 hatte sie für ihre Arbeiten den Gottfried Wilhelm Leib- niz-Preis der Deutschen Forschungsge- meinschaft erhalten und richtete damit an der TU Berlin die Forschungsgruppe „translocations“ ein. Diese widmet sich dem – auch staatlich organisierten – Kunstraub und der Ver- lagerung von Kulturgütern durch Ko- lonialismus, wissenschaftliche Expedi- tionen, Verstaatlichung, den weltweiten Kunsthandel in Kriegs- oder Friedens- zeiten. „Es war schon immer eine Frage des Aushandelns, wer eigentlich Dinge nehmen darf, wer interpretieren darf“, sagt Dr. Philippa Sissis, eine der He- rausgeberinnen. „Wir haben versucht, hinter die Bilder zu schauen, auf denen sich Kunsthändler und Sieger stolz in Heroenposen darstellen.“ Dieses triumphale Präsentieren werde heu- te ähnlich inszeniert: in triumphalen Rückgaben. „Dabei haben wir Puz- zlestücke zusammengesetzt“, ergänzt Professor Isabelle Dolezalek. „Wir haben Unmengen an Dokumenten klar wurde, wie intensiv die Debatte um Restitutionsforderungen in den 1960er- und 1970er-Jahren gewesen war – und dass die Argu- mente der europäischen Gegner von damals und heute immer noch dieselben sind. Bénédicte Savoy hat in ihrer Studie zusammengetragen, welche Anstrengungen viele afrika- nische Länder bereits vor mehr als 50 Jahren um die Rückgabe ihrer Schätze unternommen haben, die zu Zehntausenden in europäischen Museen lagern. Sie betrachtet insbesondere die 18 ehemaligen Kolonien, die 1960 ihre Unabhän- gigkeit erlangten. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Akteure, Strukturen und Ideologien damals dafür sorgten, dass das Projekt einer geordneten, fairen Rückgabe von Kulturgütern scheiterte – und wie ähnlich sich die heutige Situa- tion darstellt. g a l r e V k c e B . H . C © neu war. Das Erstaunen der Autorin steigerte sich sogar zum Entsetzen, als anhand der vielen gefundenen Belege, der Gesprächsprotokolle und Briefe gesammelt, Streitschriften, auch ju- ristische Texte, haben versucht, uns in Gattungen hineinzudenken.“ Und ihr Kollege Robert Skwirblies weist auch auf die Bedeutung der vielen Seminare hin, die „translocations“ angeboten hat – und aus denen auch einige Beiträge von Studierenden in die Bücher Ein- gang gefunden haben. s m u e s u M f o y o J / m u e s u M h s i t i r B © Die wertvollen Benin-Bronzen stehen heute im Mittelpunkt der Restitu- tionsdebatte. Kunstwerke wurden immer „gerettet“, nie „geraubt“ Die 86 illustrierten und kurzen Kapitel im Bildatlas, die sich zum Teil wie ein Krimi lesen, und die Essays der Antho- logie, die mit einem Tatenbericht von etwa 600 vor Christus beginnen, span- nen einen gewaltigen Bogen über das Thema „Geraubte Kunst, verlorenes Erbe, Protest und Wiedergeben“, von der Antike über das Osmanische Reich bis hin zu modernsten Entwicklungen wie die „Rückgabe“ des monumen- talen kleinasiatischen Pergamonaltars von Russland an die DDR. Sie ordnen sich in die sechs Abschnitte „nehmen, transportieren“, „ankommen, aneig- nen“, „tauschen, handeln“, „fehlen, gedenken“ und schließlich „protes- tieren, fordern“ und „zurückgeben, wiederankommen“. Wie ein roter Fa- den zieht sich nicht nur die Thematik „Vermissen“ und „Verlust“ durch das Werk, sondern auch das Narrativ des „Rettens“, das bis heute in der Ar- gumentation der Restitutionsgegner auftaucht. „Reliquien beispielsweise wurden schon im Mittelalter nicht ge- klaut, sondern vor ihren Eigentümern gerettet. Marmorskulpturen, zum Beispiel die Friese des griechischen Parthenon, wurden zu ihrem Schutz vor ‚Barbaren‘ ausgeschnitten und verlagert“, so Merten Lagatz, der das Forschungscluster „translocations“ ko- ordiniert. Kunstraub gab es also schon immer? Bénédicte Savoy sieht das so: „Es macht unsere Verantwortung nicht geringer, wenn das eine anth- ropologische Konstante sein sollte.“ Patricia Pätzold Impressum Herausgeber: Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni der TU Berlin, Straße des 17. 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