4 | BLICK ZURÜCK UND IN DIE ZUKUNFT Herr Thomsen, zwei Amtszeiten, acht Jahre Präsident der TU Berlin. Was bleibt? Nach zwei vollen Amtsperioden muss man sich fragen lassen, ob man ei- nen Unterschied gemacht hat oder ob es der Uni gleich gegangen wäre, wenn jemand anders Präsident*in gewesen wäre. Ich bin überzeugt, dass die TU insgesamt eine positive Entwicklung nahm. Wir können auf vieles verweisen, was es vorher nicht gegeben hat: Innovationsprofessuren, die Wiederherstellung der religiösen Neutralität auf dem Campus, das Ein- steinzentrum zur Digitalisierung und ein weiteres, das beantragt ist, zum Klimawandel, einige hervorragende Berufungen und erfolgreiche Bleibe- verhandlungen, ein mit erheblichen Mitteln dauerhaft bundesgefördertes Institut für Künstliche Intelligenz, er- folgreich abgeschlossene Tarifverhand- lungen für studentische Beschäftigte, die Gestaltung des Campus, neue Ge- bäude, viele in der breiten Gesellschaft wahrgenommene Besuche von Persön- lichkeiten des öffentlichen Lebens und schließlich, als krönenden Abschluss, das Erreichen des Exzellenzstatus für die TU Berlin im Verbund mit FU, HU und Charité. Alles Dinge, bei denen der Präsident natürlich nie allein un- terwegs war, wo er aber einen Unter- schied gemacht hat, wo er etwas be- wegt hat. Nach der gescheiterten Olympia-Idee für Berlin 2015 kam die Forderung, mit dem reservierten Geld 100 IT-Professu- ren zu schaffen. Sie griffen gleich zum Hörer und riefen den Regierenden Bür- germeister an. Was entstand daraus? Im Endeffekt haben der damalige Re- gierende Bürgermeister Michael Mül- ler und ich 50 zusätzliche Professuren geschaffen. Entstanden ist das Einstein- zentrum Digitale Zukunft (ECDF), das national und international bekannt ist und nachgeahmt wird. Ich halte es für einen guten und zukunftsweisen- den Ansatz, über solche Zentren nicht nur innovative Themen zu bearbeiten, sondern auch die Erneuerung univer- sitärer Strukturen voranzutreiben. Das Zentrum wird wissenschaftlich begut- achtet und entwickelt sich thematisch kontinuierlich weiter. Damit verfolgen wir einen anderen und in meinen Augen erfolgversprechenderen Weg als ein an- deres Bundesland, welches ministerial festsetzt, was die Themen der Zukunft sein werden. In der thematischen Diver- sität liegt eine große Kraft für eine au- tonome Universität wie die unsere und die anderen in Berlin. Entsprechend sind am ECDF auch die UdK, die Cha- rité, die HU und die FU beteiligt. Das Thema Digitalisierung ist übrigens als die „nullte Grand Challenge Initiative“ in die Gestaltung der Berlin University Alliance eingegangen. Damit konnten wir den Gutachter*innen des Exzel- lenzstrategieantrags zeigen, was wir uns unter Grand Challenge Initiatives vor- stellen und belegen, dass wir es können. Ihr Einsatz für den Klimaschutz führ- te Sie gemeinsam mit Greta Thunberg und mit Peter Fox auf die Bühne vor dem Brandenburger Tor. Was war, was ist Ihre Motivation und welche Ent- wicklungslinie entstand daraus? Primär habe ich Peter Fox kennenge- lernt. Aber ernsthaft, was mich beein- druckt hat, ist die Ernsthaftigkeit und Konsequenz, mit der so viele junge Menschen das Thema Klima bewegt haben. Meiner Generation hätte es auch einfallen können, dass Klima ein wichtiges, nein, das wichtigste Thema unserer Zeit ist. Alle Daten und Fakten lagen vor, wir hätten alle den Wissenschaftler*innen, die sich seit Jahren damit beschäftigt haben, zuhören und Taten folgen lassen kön- nen. Das gilt gleichermaßen für die Politiker*innen, die auch erst nach den großen Demonstrationen aufgewacht sind. Nun ist Wissenschaft, insbeson- dere die Universitäten, gefordert, ihre fachliche Kompetenz dort einzusetzen, wo sie gesellschaftlich wirksam wer- den kann. Deshalb habe ich mich für ein Berlin-Brandenburger Klimawan- delzentrum eingesetzt (CCC), das im Der Gesellschaft verpflichtet Christian Thomsen blickt auf acht Jahre TU-Präsidentschaft zurück l i n n a m e K n a i t s Umweltschutz und Klima waren wichtige Themen seiner Amtszeit: Deshalb pflanz- te der scheidende Präsident Christian Thomsen auf dem Campus einen Baum. Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig, die ihn lange als Vizepräsidentin begleitete, hatte im Lichthof die Laudatio gehalten. i r h C © Entstehen ist. Das neue Präsidium der TU hat mich gebeten, das CCC wei- terzuverfolgen, was ich gerne mache. Außerdem wird die TU das geplante und als Vormodul bereits bewillig- te Einsteinzentrum für Klimawandel und Public Policy beantragen und hof- fentlich auch erhalten. Die Vorarbei- ten dazu sind geleistet. So kann die TU Berlin mit ihren Partner*innen die Region Berlin-Brandenburg zu einem international führenden Zentrum für Fragen des Klimawandels machen. Welche Erkenntnisse haben Sie als Präsident aus der Pandemie gezogen? Vor allem zwei Dinge: Erstens, dass wir im Leben immer mit unerwarteten Situationen rechnen und darauf einge- stellt sein müssen, damit unaufgeregt und intelligent umzugehen. Und zwei- tens, konkreter, dass wir die entwickel- ten digitalen Formate an vielen Stellen in die Nach-Pandemiezeit, in das „New Normal“, mitnehmen sollten. Dazu gehört zum Beispiel die Homeoffice- Arbeit, die an der T U regelmäßig an zwei Tagen in der Woche möglich ge- worden ist. Mitarbeiter*innen können sich den Weg zum regulären Arbeitsort sparen und, wenn gewünscht, zu Hause arbeiten, so wie Wissenschaftler*innen das häufig schon für sich in Anspruch genommen haben. Dieses für alle Statusgruppen freiwillige Homeoffice kann die Work-Life-Balance erheblich verbessern, und das haben wir der Pandemie zu verdanken. Auch für wissenschaftliche Tagungen, Evaluationen und Gremiensitzungen ergeben sich neue Möglichkeiten und eine größere Flexibilität, da die letzten zwei Jahre gezeigt haben, was digital möglich ist. Natürlich sollen diese Ver- anstaltungen auch wieder in Präsenz stattfinden, denn Präsenz hat natürlich auch Vorteile, aber eben vermutlich nicht so oft, wie es vor der Pandemie der Fall war. Welches das richtige Ver- hältnis von Präsenz und digital ist, wird sich herauskristallisieren und kann sich auch für die verschiedenen Veranstaltungen unterscheiden. Was denken Sie: Worin liegen die Ur- sachen dafür, dass es in der Verwal- tung der TU Berlin dringenden Hand- lungsbedarf gibt? Es gibt sicher mehrere Gründe da- für. Zum einen sind die Aufgaben der Verwaltung über die Jahre zuneh- mend komplexer geworden und die Wissenschaftler*innen, da nehme ich mich nicht aus, haben die Verwaltung für selbstverständlich funktionierend betrachtet und sich gegen Personal- aufstockungen lange verwehrt. Zum zweiten ist die Organisation in Teilen der Verwaltung aus meiner Sicht zu hierarchisiert gestaltet gewesen, hat moderne Formen der Zusammenarbeit nicht hinreichend früh angedacht und eingeführt. Ich denke da zum Beispiel an mehrere Kreise mobiler Teams im Personalbereich, die sich flexibel neu- en Anforderungen widmen. Das immer dann, wenn das im Umfang der Arbei- ten oder in einem neu auftretenden Komplexitätsgrad erforderlich gewesen wäre. Aber das kann man nur langsam und vertrauensbildend und nicht in Zeiten der Not einführen. Zwei kanz- lerlose Jahre in meiner Amtszeit haben da nicht geholfen. Lüften Sie das Geheimnis: Wie kam es zur BUA, der Berlin University Al- liance der drei Universitäten mit der Charité? Ganz genau weiß ich es auch nicht mehr. Sicher aber hat unser damali- ger Staatssekretär Steffen Krach uns ermuntert, einen Verbund anzustre- ben. Zusammen mit unserer Senatorin Sandra Scheeres hat er die Möglichkeit eines Verbunds in der Exzellenzstrate- gie durchgesetzt, die es vorher in der Exzellenzinitiative so nicht gab. Die Berliner Unileitungen waren zunächst skeptisch bis misstrauisch, denn in der Vergangenheit war eher gegeneinander als miteinander gearbeitet worden. Und gegenüber der TU waren die beiden an- deren großen Unis auch zurückhaltend, da wir den Exzellenzstatus bis dahin noch nicht erlangt hatten. Das hat sich im Laufe der Antragstellung dann sehr geändert. Wir haben uns kooperativ auf den Antrag und die Begutachtung vor- bereitet, und, das freut mich besonders, eine Reihe guter und wichtiger Ideen der TU sind in den Antrag eingeflossen. Sie bestimmen auch jetzt die grund- sätzliche Vorgehensweise der BUA: Im Zentrum stehen Themen von so großer Bedeutung, dass sie nicht von einer Einrichtung allein bearbeitet werden können, das sind die Grand Challenge Initiatives. Sie werden einige Jahre aus der BUA finanziert und streben in die- ser Zeit eine verstetigte Finanzierung aus anderen Quellen an, so dass sich die BUA dann neuen Grand Challenges widmen kann. Also keine Dauerförde- rung eines Projekts aus BUA-Mitteln, sondern kontinuierlich wichtige The- men mit der geballten Kompetenz des Berliner Forschungsraums bearbeiten, aber eben über die Jahre wechselnde Themen. Jetzt können Sie von außen schauen: Was würden Sie anders gestalten? Die BUA hat sich meines Erachtens recht lange vorwiegend mit strukturel- len Fragen und Governance-Aspekten beschäftigt, die wichtig sind, die aber nach außen das Bild abgeben, dass zu wenig Inhaltliches passiert. Wichtig sind die Governance-Fragen, weil wir in Ber- lin Vorbild sein wollen, wie eine solche universitäre Allianz zu gestalten ist. Das wird sicher auch in der nächsten Be- gutachtung gefragt werden. Sicher gibt es auch andere Modelle, aber die von uns schließlich gewählte Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, davon bin ich überzeugt, der beste Weg in eine dauerhafte wissenschaftli- che Kooperation großer Einrichtungen mit vielen assoziierten Partnern. Wir sind dem Land Berlin dankbar, dass es dafür ein entsprechendes Gesetzesvor- haben durchgeführt hat. Jetzt muss un- ser Fokus auf einer effizienten Durch- führung inhaltlicher Aufgaben liegen, wobei ich große Hoffnungen auf die neue Geschäftsführung der BUA setze. Was ich rückblickend anders gestaltet hätte und auch jetzt noch empfehle zu ändern, wäre ein stärkeres Durchsetzen des Subsidiaritätsprinzips und damit einhergehend eine schlankere Entschei- dungsstruktur. Ein noch größeres gegen- seitiges Vertrauen der Institutionen wäre dabei hilfreich. Wir kommen nicht umhin, den Queen- Besuch an der TU Berlin anzuspre- chen. Was war ihr schönster Moment? Der Queen-Besuch war natürlich ein großes Highlight für die Universität, für Berlin und auch für mich persön- lich. Das Staatsoberhaupt Großbritan- niens persönlich in unserer Universität zu haben, war außergewöhnlich in der Geschichte der T U. Es waren auch unser damaliges Staatsoberhaupt, Bundesprä- sident Gauck, und die Bundeskanzlerin Angela Merkel da. Aber es gab während meiner Amtszeit auch viele andere Momente, die ich in guter Erinnerung habe und mit denen die TU nach au- ßen wirken konnte, zum Beispiel den Auftritt des Bundesministers Gabriel zum Bericht des Weltklimarats oder den Besuch der CEOs von Google und Microsoft, Eric Schmidt und Satya Nadella, ebenso wie den Besuch von Bill Gates als Vertreter der Bill-und- Melinda-Gates-Stiftung, der zusammen mit dem damaligen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, kam. Span- nend und mir wichtig waren oft auch kleinere Events wie die Veranstaltung des AStA zu Kurdistan, die sehr kon- trovers war. Für mich persönlich war am beeindruckendsten die Vorlesung von Judith Butler im Januar 2020 im überfüllten Audimax über die Frage, woher die Angst vor Gender Studies käme. Auf meine kurzen Begrüßungs- worte hat sie freundlich mit „Welcome to our queer world!“ reagiert. Wo wird Ihr Weg Sie hinführen? Wel- che Ziele haben Sie? Mein Hauptziel ist es, weiterhin nütz- lich für die Gesellschaft im Rahmen der Möglichkeiten von Hochschulen und deren Tätigkeitsfeldern zu sein – dazu verpflichtet uns meiner Meinung nach die große Gestaltungsfreiheit, die uns als Hochschullehrer*innen zuge- billigt wird. Wir sind aus öffentlichen Geldern finanziert, daher muss das, was wir machen, auch für die Öffent- lichkeit erkennbar, am besten auch verständlich sein. Das gilt gleicher- maßen für grundlagenorientierte, wie angewandte Forschung. Ich freue mich darauf, in den kommen- den Jahren Themen, die mir sehr am Herzen liegen, zu gestalten. Diese Frei- heit, Neues zu denken und zu schaffen, die mich vor mehr als dreißig Jahren motiviert hat, eine universitäre Karri- ere anzustreben, weiß ich auch heute noch sehr zu schätzen. Die Fragen stellte Stefanie Terp TU intern | Nr. 2/April 2022 SCHAU AN, SCHAU AN! Science Slam, Kinderuni und Nachhaltigkeitsmarkt ehr Warum haben Giraffen so lange Wimpern, und was hat Mathematik mit Fußball zu tun? Zwei Kinder-Unis, ein Nachhaltigkeitsmarkt, der große Science Slam im Audimax, ein Kin- der- und ein Teeniecampus – die TU Berlin zeigt zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ am Samstag, den 2. Juli 2022, rund 240 Projekte aus Forschung und Technik. Zwischen 17.00 und 0.00 Uhr stehen auf dem Campus Charlottenburg, in Mitte und am Berliner Westhafen 24 Wissen- schaftshäuser und Veranstaltungsorte offen. Forscher*innen berichten beim „Rendezvous mit der Zukunft“ über neue Entwicklungen zum Nutzen der Gesellschaft. Man erfährt, ob Robo- ter auch Kolleg*innen, Freund*innen und Helfer*innen sein können, kann einen Schnupperkurs Polnisch absol- vieren, an einem Escape-Room-Spiel teilnehmen, einen Bergbaustollen mitten in Berlin besuchen, die Fahrrad- App SimRa ausprobieren, schauen, ob man in Pilzen wohnen kann, und Vieles mehr. Ab 20. Mai 2022 sind alle Infos für Berlin und Potsdam auf der Website zu finden. Ermäßigte Mitarbeiter*innentickets werden zeit- nah per Mail angeboten. www.langenachtderwissenschaf- ten.de Ausstellung: Architektur inspiriert Faserkunst pp Zurück zum vielfältigen Cam- pusleben und zu liebgewonnenen Traditionen kehrt auch die Mathema- tische Fachbibliothek der TU Berlin. Seit Jahren zeigt sie Ausstellungen für Studierende, Beschäftigte und für die kunstinteressierte Öffentlichkeit. Am 26. April 2022 eröffnete Biblio- theksleiter Jan Erdnüß feierlich eine neue Ausstellung: Embroidery - Den- sity and Transparency. Sie zeigt Ar- beiten der chilenischen Fiber-Künst- lerin Javiera González Zarzar. t a v i r p © Javiera Zarzar promoviert derzeit an der TU Berlin. Die gezielte Auseinandersetzung mit Formen, Flächen und Figuren be- gann für Javiera González Zarzar, die heute am Institut für Architektur der TU Berlin promoviert, während ihres Architekturstudiums. Sie erlernte die Rahmenstickerei und entwickelte ne- ben ihrem Studium darin eine eigene künstlerische Ausdrucksweise: Ihre Kunst ist stark von ihrer Erfahrung als Architektin beeinflusst, sowohl in Technik als auch in Material. Das Hauptwerk der Ausstellung wur- de speziell für den Ort entworfen, den die Künstlerin als Lernort wäh- rend ihres Studiums kennengelernt hat: das Mathematikgebäude der TU Berlin der Architekten Georg Kohl- maier und Barna von Sartory. Zwei Netze in einem Holzrahmen in den Grundfarben des Mathematikge- bäudes repräsentieren die zwei Ebe- nen der Fassade. Daneben werden drei Werkserien zu sehen sein. Die Ausstellung ist bis zum 30. Juli 2022 zu sehen. www.math.tu-berlin.de/mfb https://javierazarzar.com t a v i r p Gewebe – vom Mathematikgebäude inspiriert. ©