Wie im richtigen Leben: eine glatte Landung

TU-Wissenschaftler koppeln Simulatoren für Piloten und Fluglotsen


Ein Montagmorgen auf dem Flughafen München: Planmäßíg gegen neun Uhr setzt der Flug AI340 zur Landung an. Von Osten kommend läßt sich die Maschine von ihrem Fluglotsen herunterleiten und setzt wenige Minuten später auf der Piste auf. Der Lotse entläßt das Flugzeug aus seiner Verantwortung, die Piloten des Airbus klettern aus ihren Sitzen. Eine ganz gewöhnliche Landung, könnte man meinen. Aber: auf dem Münchner Flughafen hat kein Mensch etwas von der Landung gemerkt, niemand hat den gelandeten Airbus auch nur gesehen! Des Rätsels Lösung: die Piloten verliessen ihr Cockpit in Berlin, im Flugsimulator des Instituts für Luft- und Raumfahrt. Und der Lotse lehnte sich in Frankfurt in seinem Sitz zurück, in einem Flugsicherungssimulator am Test- und Erprobungszentrum der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS).

Grund zur Freude gab es an diesem 28. November 1994 an beiden Orten. Zum ersten Mal war es gelungen, eine Flugsimulation mit realen Radardaten und zwei örtlich getrennten Simulatoren durchzuführen. Ein Flugsimulator und ein Lotsensimulator waren miteinander verbunden worden und übten gemeinsam einen Flug im "echten" Münchner Luftraum.

Möglich gemacht hatten es Mitarbeiter des Lehrstuhls für Flugführung und Luftverkehr von Professor Gerhard Hüttig an der TU Berlin. Sie entwickeln unter anderem Systeme für die Flugsicherung und Flugführung, etwa Kollisionswarnsysteme, mit denen man den immer dichter werdenden Verkehr am Himmel überwachen kann. Der Airbus-A340-Flugsimulator, der im Institut für Luft- und Raumfahrt an der Marchstraße untergebracht ist, dient ihnen dabei als Versuchsumgebung, in der sie ihre Neuentwicklungen testen können. Für die TU-Wissenschaftler gilt dabei: je realistischer die Versuchsumgebung, desto besser.

"Um die Test- und Entwicklungsmöglichkeiten zu verbessern, wollten wir auch Systeme nutzen, die an anderen Forschungseinrichtungen oder in der Industrie vorhanden sind," erklärt der wissenschaftlicher Mitarbeiter Alexander Schmid die Entstehung des Simulatorprojekts. Dazu nahmen sich die TU-Wissenschaftler vor, einen "Simulationsverbund" zu entwickeln: ein Flugsimulator und ein Flugsicherungssimulator sollten miteinander gekoppelt werden.

Wissenschaftler und Flieger profitieren

Nicht nur die Testmöglichkeiten der Ingenieure werden durch diesen Simulationsverbund verfeinert. Auch die Fluglotsen und Piloten, die normalerweise für sich alleine trainieren, profitieren davon. Ein Trainingspilot bekommt einen "echten" Lotsen als Trainingspartner. Umgekehrt arbeitet der Lotse mit einem Piloten zusammen, der dem üblichen Stress eines Flugzeugbetriebs ausgesetzt ist. "Dadurch können realitätsnähere Ausbildungsmethoden entwickelt werden," sagt Alexander Schmid.

Das technische Prinzip, das die Wissenschaftler verwirklichten, ist einfach: Sie extrahieren die Bewegungs- und Positionsdaten aus ihrem Flugsimulator und speisen sie per ISDN-Leitung in einen Simulator für Fluglotsen ein. Der Lotsensimulator, der im Test- und Erprobungszentrum der DFS in Frankfurt am Main steht, rechnet die Daten für sich um und präsentiert den Flugsimulator wie ein richtiges Flugzeug auf dem Radarschirm.

Das technische Prinzip ist einfach

Zusätzlich wird das Radarnetz des Münchner Luftraums angezapft. Dessen Daten werden dann ebenfalls auf dem Frankfurter Lotsenbildschirm dargestellt. Damit hat der DFS-Lotse den gesamten aktuellen Luftverkehr in München vor Augen, und sein Arbeitsplatz unterscheidet sich so gut wie gar nicht mehr von dem eines Münchener Kollegen - bis auf den Berliner Airbus.

Bei den gemeinsamen Versuchsflügen mußte der Lotse nun darauf achten, daß der simulierte Airbus den anderen, echten Flugzeugen auswich, seine vorgeschriebenen Höhen einhielt und seinen Rundkurs sicher auf dem Flughafen beendete. Per Sprechfunk - der über eine gewöhnliche Telefonleitung realisiert war - gab er seine Anweisungen an den Piloten im TU-Simulator. Der folgte den Anweisungen des Lotsen und bestätigt ebenfalls über die Sprechfunkverbindung.

Rush-hour in Frankfurt

Die Ausbildung am Simulator rückt damit näher an die Wirklichkeit - sowohl für Piloten als auch für Lotsen. Das zeigte sich während des zweiten von insgesamt vier Versuchen. Geprobt wurde ein Airbus-Flug mit Start und Landung auf dem belebten Frankfurter Flughafen. "Da ging es ganz schön heiß her", erinnert sich Diplom-Ingenieur Schmid. Mitten in der ersten Hauptverkehrszeit - den morgendlichen Geschäftsreisen zwischen sieben und acht Uhr - mußte ein DFS-Lotse die Berliner Besatzung durch die Rush-hour leiten. "Für die Beteiligten war das keine einfache Sache," berichtet der TU-Wissenschaftler, denn im Gegensatz zum Münchner Premierenflug war der Himmel voll von anderen Flugzeugen, und der Pilot mußte immer wieder seinen Kurs ändern.

"Im Vergleich zum bisher üblichen Training ist das eine echte Verbesserung," sagt Alexander Schmid. Bei den üblichen Lotsensimulatoren verzichtet man nämlich ganz auf den aktuellen Flugverkehr eines echten Radarnetzes. Die Leuchtpunkte, die der Lotsenschüler auf seinem Radarschirm als Flugzeuge sieht, sind statt dessen sogenannte "Pseudo-Piloten"; das sind Kollegen, die an Terminals des Simulationssystems sitzen und je fünf bis zehn solcher "Radarziele" auf dem Lotsen-Bildschirm steuern. Das Verhalten der Leuchtpunkte, ihre Kursänderungen und das Auf- und Absteigen wird jedoch sehr einfach berechnet und entspricht nicht immer dem wirklichen Verhalten.

Der Check-Pilot wird entlastet

Ähnlich ergeht es den Piloten in ihrem Simulator. Ihr Trainingspartner ist ein sogennanter "Checkpilot", der direkt hinter der Crew im Simulator-Cockpit sitzt und aufpaßt. Eher nebenbei mimt er den zuständigen Lotsen und schlüpft auch mal in die Rolle von Kabinenpersonal, etwa wenn ihnen der Pilot in Notsituationen Anweisungen erteilt. "Der Ausbilder kann mit einem Simulationsverbund entlastet werden," erklärt Alexander Schmid, "und hat dadurch mehr Aufmerksamkeit für den Piloten." Der Flugzeugführer seinerseits bekommt Anweisungen von einem Lotsen, der mit dem echten Luftverkehr zu kämpfen hat, und seine Piloten deshalb auch mehr fordert.

Lufthansa zeigt Interesse

Die Lufthansa hat bereits Interesse an dem Verbundtraining angemeldet, denn die Simulation hilft viel Geld bei der Ausbildung sparen. Eine wirkliche Flugstunde eines Airbus A340 mit Starts und Landungen schlägt beispielsweise mit rund 30.000 DM zu Buche; die Simulatorstunde kostet lediglich 1.200 DM. Ein großes Einsparpotential liegt bei den Lufthansa-Flugschülern, die ihre gesamte Flugausbildung in Arizona absolvieren. In die Heimat zurückgekehrt müssen sie eine sogenannte "Europäisierung" absolvieren, um sich an den dichten europäischen Flugverkehr zu gewöhnen. Diese Flugstunden könnten zum großen Teil in den Simulator verlegt werden, wenn die simulierte Flugsicherung realistischen europäischen Verhältnissen entspricht. Vorteile ergeben sich ebenfalls für erfahrene Piloten, die einen Flugzeugtyp schon gut und lange kennen. Denn zweimal im Jahr müssen sie ein Pflichttraining auf dem Simulator absolvieren, das jetzt sehr viel anspruchsvoller gestaltet werden kann.

Ein Simulator und zwei Diplomarbeiten

So einfach das Prinzip des Simulationsverbunds erscheint, die TU-Wissenschaftler mußten doch einige Arbeit in seine technische Verwirklichung stecken. Ihr wichtigstes Arbeitsmittel war der Airbus-Simulator an der TU Berlin, der neben seinen normalen Systemen auch die sogenannte "Forschungserweiterung" besitzt und in dieser Kombination weltweit einmalig ist. Im Gegensatz zu einem Simulator, wie ihn die Luftverkehrsgesellschaften zur Ausbildung einsetzen, können die TU-Ingenieure nämlich in das Simulator-Innenleben eingreifen. Sie können Programme ändern oder die Positions- und Bewegungsdaten herauslesen.

Das dazu notwendige Programm entwickelte der Informatik-Student Jens-Christian Henke in seiner Diplom-Arbeit an der TU Berlin. Es filtert die Datensätze heraus, die die Bewegungen des Airbus-Simulators beschreiben. Dann leitet es sie über eine ISDN-Leitung und zwei Verbindungsrechner in Berlin und Frankfurt zu einem PC im Test- und Erprobungszentrum der DFS. Auf diesem PC ist ein weiteres Programm installiert, das im Rahmen einer zweiten Diplomarbeit von Berliner Arndt Sündermann angefertigt wurde. Sein Programm sorgt dafür, daß die Originaldaten des aktuellen Münchener Radarsystems, die ebenfalls auf diesem PC ankommen, mit dem Berliner Datenstrom zusammengefügt werden.

Ergebnis: Doppelte Simulation ist machbar

Vier Versuche haben die Wissenschaftler bisher durchgeführt. Ihr Ergebnis: ein Simulationsverbund, der Lotsen und Piloten zusammenführt, ist technisch durchaus machbar. Mit ihrer Weltneuheit sind die TU-Wissenschaftler sehr zufrieden. Nicht zu Unrecht, denn die Ausbildung von Piloten und Lotsen wird eindeutig verbessert. Für die Wissenschaftler am Institut für Luft- und Raumfahrt steht jedoch im Vordergrund, daß der Verbund auch "ein Meilenstein für die Entwicklung zukünftiger Werkzeuge und Verfahren in der Flugsicherung ist," so Alexander Schmid.

"Zukünftige Anwendungsmöglichkeiten in der Flugsicherung sind beispielsweise die Erprobung von neuen Verfahren zur Kollisionsvermeidung," erläutert TU-Forscher Schmid. Sogenannte "Short Term Conflict Alert"-Systeme (STCA) etwa sind bereits in zahlreichen Flugsicherungssystemen im Einsatz. Sie verfolgen die Flugzeugbahnen, rechnen aus, wohin sie bei gleichbleibendem Flug gelangen und warnen die Lotsen, wenn sich zwei Flugzeuge zu nahe kommen. Ähnlich arbeitet das "Traffic Collision Avoidance System" (TCAS), das an Bord von Flugzeugen untergebracht ist und in den USA bereits zur Pflichtausrüstung gehört.

Frühzeitig Fehler erkennen

Systeme wie STCA oder TCAS werden ständig weiterentwickelt, denn perfekt sind auch sie nicht. Piloten bemängeln beispielsweise, daß die Systeme auch unnötige Warnungen ausgeben, die dann mehr verwirren als helfen. Mit Hilfe des Simulationsverbundes können die Entwickler solche Schwachstellen schon bei der Neugestaltung vermeiden. "Man kann jetzt frühzeitig Fehler beheben, die bisher erst während des Flugbetriebes erkannt wurden", betont Alexander Schmid.

Die nächsten Etappen für die Berliner Simulations-Spezialisten und ihre Forschungen stehen bereits fest. Sie wollen die Sprechfunkverbindung, die derzeit per Telefon simuliert wird, durch einen zweiten ISDN-Kanal ersetzen. Außerdem soll auch der Flugsimulator Daten empfangen und den Piloten einen Eindruck von dem realen Luftverkehr geben. So sollen die Radardaten ebenfalls nach Berlin geleitet werden, wo man sie in das bordeigene TCAS-System einspeisen könnte. "Vielleicht wird es in Zukunft auch möglich", hofft Alexander Schmid, "daß wir sie als Bilder von echten Flugzeugen im Sichtbereich des Cockpits darstellen. Das hängt von der Leistungsfähigkeit der Sichtsimulationssysteme ab."

In Zukunft mehr Verantwortung für die Piloten?

Auf lange Sicht betrachtet kann das Verbundtraining zu neuen Flugsicherungsverfahren führen. "Mit der gemeinsamen Simulationen kann man jetzt auch Flugsicherungskontrollkonzepte ausprobieren," so Schmid, "die mehr Verantwortung auf den Piloten übertragen."

René Schönfeldt


Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Zurück zum Inhaltsverzeichnis