Müde schleppte sich Student K. die Treppen hoch. Es war mal wieder soweit: unendlich lange Stunden lagen vor ihm. Unendlich lange Kolonnen von schwarzen Buchstaben auf weißem Papier warteten darauf, durchgelesen zu werden. Es schauderte ihn. Wenn diese Fachbuchautoren doch bloß gelernt hätten, wie ein guter Romanautor zu schreiben. Vielleicht hätte er doch lieber im Bett bleiben sollen oder noch besser Tennisprofi werden sollen. Aber er mußte ja unbedingt studieren. Aber was tut der Mensch nicht alles für ein gutes Examen. Wohlan, machte er sich Mut, von nichts kommt nichts.
Schwungvoll öffnete K. die Glastür zum Vorraum. Die Februarsonne spiegelte sich im Rot der Schließflächer. Sein Blick wanderte durch die erste Reihe der Schließfächer- geschlossen, alle abgeschlossen. Auch die nächste Reihe und die übernächste und die überübernächste. Offenbar hatten sich mal wieder alle Studierenden der TU Berlin zur gleichen Zeit entschlossen, in die Bibliothek zu gehen. K. seufzte.
Da war es wieder das alte, ledige Problem, mit dem jeder lernwillige Studierende zu kämpfen hat. 35.000 Kommilitonen und Kommilitoninnen, aber nicht mal 100 Schließfächer. Also wieder runter in das Erdgeschoß. Schließlich gibt es da ja noch diverse Schließfächer. Außerdem sind die blau und blau hat K. schon immer besser gefallen als rot. Doch zu früh gefreut, diese Idee hatten auch schon andere. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - Gorbatschow läßt grüßen, sinnierte K.
Mißmutig und etwas ratlos stand K. zwischen verschlossenen Kästen und den umherschwirrenden Studenten. Da fiel sein Blick auf die Gaderobe. Stimmt, die gibt es da auch noch, freute sich K. angesichts der unerwarteten Alternative. Schnurstracks bahnte er sich ein Weg durch die Massen. "Halt!" schallte es ihm entgegen, als er Mantel und Tasche auf den Tresen fallenließ. "Taschen dürfen wir leider nicht annehmen", beschied ihm eine freundliche Stimme. K.`s Vorstellung einer studentenfreundlichen Universität war sichtlich erschüttert. "Aber warum, wieso?" stammelte er. Man dürfe es nicht, lautete die stereotype Antwort. Grummelnd verzog sich K.
Ist das eine von oben angeordnete Methode, Studierwillige vom Lernen abzuhalten und so mehr Studienabbrecher zu provozieren? Soll so etwa die angestrebte Reduzierung der Studierendenzahlen erreicht werden? Wut stieg in K. auf. Er versetzte den Schließfächern einen Tritt und noch einen. Jetzt gab es keinen Halten mehr. Wild schlug K. auf die Reihe der Metallschränke ein. Immer und immer wieder. Bis er schluchzend zusammenbrach...
Heute arbeitet K. auf einem Schrottplatz. Seine Arbeit macht ihm Spaß, besonders, wenn er Schränke aus Metall in die Schrottpresse läd. Sein Studium mußte er allerdings abbrechen.
Ja, der Alltag eines Studierenden ist hart. Nicht alle besitzen die Kraft, es durchzustehen. Helfen wir den Studierenden und gründen eine Initiative für mehr Schließfächer. Denn bedenke, liebe Leserin, lieber Leser, schon morgen könnte es Dir ebenso gehen.
Christian Hohlfeld
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