Wie verändert Technik das Rollenverhalten?

Das Seminar "Feministische Umweltforschung" am Studiengang Technischer Umweltschutz


(rs) Seit dem Wintersemester 1988/89 gibt es im Studiengang Technischer Umweltschutz ein Seminar, das aus den üblichen Studienangeboten etwas herausragt. "Feministische Umweltforschung" ist der Titel der Veranstaltung, in der sich Studentinnen in zwei Semesterwochenstunden Theoretisches und Praktisches zum Thema Frauen und Umwelttechnik erarbeiten. Wer macht "Feministische Umweltforschung"? Worum geht es dabei? René Schönfeldt fragte die Tutorin Heidi Kreibich und ihre Vorgängerin Judith Buchen - ein Gespräch über Themen, Teilnehmerinnen und Ziele der Veranstaltung.

Wer betreut das Seminar und wer nimmt daran teil?

Heidi Kreibich

Heidi Kreibich: Betreut wird das Seminar von mir als Tutorin und von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Energieseminars der TU. In unserem Seminar sind durchschnittlich ungefähr 15 Frauen dabei, bunt gemischt aus dem Grund- und Hauptstudium. Es sind nicht nur Umwelttechnikerinnen, sondern auch andere, in diesem Semester beispielsweise auch Landschaftsplanerinnen, eine Chemikerin und eine Biologin.

Welche Inhalte behandelt Ihr in Eurem Seminar?

Judith Buchen

Judith Buchen: Es gab bisher immer zwei Hauptschwerpunkte: Zum einen eher theoretische Themen, das heißt, Texte zu feministischer Naturwissenschafts- und Technikkritik und zur Geschichte der Naturwissenschaften.

Zum anderen eher praxisorientierte Fragen zu Frauen im Ingenieurberufen: Welche Hürden bestehen in diesen traditionellen Männerberufsfeldern?, Welche Karrieremöglichkeiten gibt es dort für Frauen? Wichtig ist uns auch der Kontakt zu Umwelttechnikerinnen und Ingenieurinnen, die schon im Beruf stehen. Teilweise haben wir sie an ihren Arbeitsplätzen besucht, teilweise waren sie bei uns im Seminar.

Eine Frage zu Eurem theoretischen Schwerpunkt: Worum geht es bei der Literaturarbeit?

J.B.: Dahinter steckt die Beschäftigung mit dem, was sonst in den Ingenieurwissenschaften überhaupt nicht passiert, nämlich die Reflektion des eigenen Entstehungshintergrundes, der eigenen Ideologie und des eigenen Selbstverständnisses. Und das ganze aus einer feministischen Perspektive.

Was ist die spezifisch feministische Perspektive dabei?

J.B.: Das spezifisch Feministische ist, diese Gesellschaft als patriarchal strukturiert zu begreifen. Das heißt, daß alles, was sich in Wissenschaft und Gesellschaft entwickelt hat, zum einen unter Ausschluß von Frauen geschah. Zum anderen nützte und nützt es einer bestimmten Art von Menschen, nämlich weißen, westlichen Männern. Auch wenn die Anfänge dieser historischen Entwicklung weit zurückliegen, ist es wichtig, die Auswirkungen heute aufzuspüren und nach den Mechanismen zu fragen, die bestimmten Gruppen nutzen und andere Gruppen ausgrenzen. Diese Art, Fragen zu stellen, ist für uns Grundlage der Arbeit. Unter diesen Fragestellungen betrachten wir spezielle Themen - zum Beispiel Umwelt oder Entwicklung von Naturverhältnis.

Was für Erkenntnisse kommen dabei heraus?

J.B.: Es kommt etwa heraus, daß die Unterscheidung in Natur- und Geisteswissenschaften nicht sinnvoll ist. Naturwissenschaften gelten allgemein als objektive, universell gültige Methoden, Prinzipien, Naturgesetze. Aus diesem Blickwinkel scheint ja gar nichts irgendwie Geschlechtsspezifisches dran zu sein. Aber genau das ist eine Fiktion, wenn man sich klar macht, daß alles, was entstanden ist, mit Ausgrenzung entstanden ist. Die Theorien, die sich gebildet haben, dienten vor allen Dingen dazu, ein bestehendes Machtgefüge zu stabilisieren. Aber das hat nichts mit Wirklichkeit oder Wahrheit, Objektivität oder Naturbeschreibung zu tun. Das herauszuarbeiten und sichtbar zu machen ist ein Teil unserer Arbeit.

Könnt Ihr ein Beispiel dafür geben?

J.B.: Ein vielzitiertes Beispiel ist Francis Bacon, einer der Erfinder des modernen Experiments. Für seine Beschreibung von Natur und Experiment greift er auf Bilder der Hexenverfolgung zurück: "man muß die Natur auf die Streckbank legen", oder "man muß die Ergebnisse aus ihr herausquetschen" "man muß sie mit allen Mittel zwingen, damit sie ihre Geheimisse preisgibt". Er selbst war Inquisitor und in der Hexenverfolgung aktiv.

Was nimmt frau aus dem Seminar mit?

H. K.: Zum einen ist es für die Teilnehmerinnen sehr wichtig, den Austausch unter Frauen und Raum zu haben, um spezielle Themen nur mit Frauen zu diskutieren. Auf der anderen Seite sind es die Inhalte, die frau mitnimmt. Dadurch, daß wir uns auf einer theoretischen Ebene mit Kritik an Naturwissenschaften und an unserem Studium beschäftigen, betrachten wir die Dinge auch anders, die wir tagtäglich im Studium hören und im Labor machen.

Bei mir war es beispielsweise so, daß ich mir früher nie Gedanken gemacht habe, wenn ich mit dem Gaschromatographen versucht habe, Spuren von schädlichen Substanzen nachzuweisen und zu sehen, ob sie über oder unter einem Grenzwert liegen. Heute frage ich auch: Ist diese Grenzwertdiskussion überhaupt sinnvoll? Vorher war das für mich gar nicht selbstverständlich.

Ein Großteil Eurer Arbeit bezieht sich auf das Verhältnis von Frauen zu Naturwissenschaften/Technik oder zur Umweltforschung allgemein. Die Schnittmenge von Feministischer Forschung und dem Studiengang Technischer Umweltschutz scheint eher klein zu sein. Gibt es eine Feministische Umwelttechnik?

J.B.: Wir stellen uns diese Frage auch immer noch. Wir können nicht sagen, ob es eine feministische Bodensanierung gibt. Wir denken nicht, daß es sie gibt. Aber trotzdem gibt es viele spannende Fragen und Kritikpunkte in diesem Bereich. Eine wichtige Kritik ist, daß Umwelttechnik selbst eine Verkürzung ist. Mit dieser Umwelttechnik ist ein Umweltschutz nicht möglich bzw. nicht ausreichend. Vernachlässigt wird, daß Technik mehr bedeutet als nur eine Maschine, ein Apparat oder ein System. Technik steht immer in einem sozioökonomischen, gesellschaftspolitischen Zusammenhang. Es geht um Machtverflechtungen, und es spielt immer auch Gesellschaft mit rein. Es geht nie nur darum, ein isoliertes Filtersystem zu entwicklen.

Diese Wissenschafts- und Technikkritik wird auch in anderen Seminaren geübt. Wie unterscheidet sich Euer Seminar denn von solchen Veranstaltungen?

J.B.: Die hauptsächliche Unterscheidung ist, ob geschlechtsspezifische Aspekte mit gesehen werden oder nicht. Ob ich sage Auswirkungen für "den Menschen", oder ob ich sage, es gibt "den Menschen" nicht. Menschen sind immer kategorisiert worden, nach Alter, Rasse, ethnischer Herkunft - und nach Geschlecht.

H. K.: Wir betrachten nicht nur, wie Technik wirkt oder wie Technik die Gesellschaft an sich verändert. Sondern wir fragen, wie Technik das Rollenverhältnis zwischen Männern und Frauen verändert oder wo Technik negativ auf Frauen wirkt .

Habt Ihr dafür ein Beispiel?

H. K.: Ein Beispiel dafür ist der Müll und das System des Grünen Punkts. Die erste Stufe - das Sortieren und Auswaschen - wurde in die Haushalte, in den Privatbereich gedrängt. Da in der heutigen Gesellschaft immer noch hauptsächlich Frauen die Hausarbeit erledigen, werden vor allem Frauen belastet.

J.B.: Theoretisch analysiert heißt das, daß die Entwickler des Konzepts auf Hausarbeit der Frauen als "natürliche Ressourcn" selbverständlich zurückgreifen. Der Aufwand an Werbung für dieses System, das faktisch nur minimale Wirkung hat, ist völlig unverhältnismäßig: Der Hausmüll macht nur fünf bis zehn Prozent des Gesamtabfallaufkommen aus. Da stimmt irgendetwas nicht.

Wie geht es in Zukunft mit der "Feministischen Umweltforschung" weiter?

J.B.: Im September wird die Tutorinnenstelle für das Seminar auslaufen. Damit es inhaltlich aber weitergeht, beantragen wir ein Studienreformprojekt, das mit zwei Tutorinnen und einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin ausgestattet sein soll. Da wird es um ein konkretes Projekt für den Studiengang Technischer Umweltschutz gehen. Gedacht ist auch an eine Vernetzung mit anderen Studienreformprojekten am Fachbereich 6. Andere Punkte sind mögliche Formen der Zusammenarbeit mit feministischen Arbeitsgruppen und Zusammenhängen innerhalb der TU, z.B. dem interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung. Unser Wunsch ist es, daß sich feministische Wissenschafts- und Technikkritik an der TU Berlin etabliert.


Schreiben Sie uns Ihre Meinung

[TU intern - Übersicht] [Juli '95]