Eine Umfrage vor dem 50. Jahrestag der Neugründung der TU Berlin
(rs) Im kommenden Jahr feiert die TU Berlin den 50. Jahrestag ihrer Gründung im April 1946. Um den Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu dokumentieren, wurde damals bewußt keine Wiedereröffnung, sondern eine Neueröffnung begangen. Anstelle der Technischen Hochschule Berlin wurde unter der Regie der britischen Besatzungsmacht die "Technische Universität Berlin" gegründet. Heute, ein halbes Jahrhundert danach, ist dieser Neuanfang Geschichte. Im Jahre 1995 bewegen andere Wünsche und Schwierigkeiten die Mitglieder der TU Berlin. Die Idee der "Universität" hat sich gewandelt, aber in welche Richtung? Was bedeutet für TU-Angehörige heute der Begriff "Universität"? Wie soll sie sich zukünftig weiterentwickeln? Und wie sollte man den 50. Jahrestag begehen? TU intern fragte einige TU-Mitglieder nach ihren Ansichten und Wünschen.
Barbara Schaeffer-Hegel, Professorin am Institut für
Sozialwissenschaften in Erziehung und Ausbildung: In meiner Vorstellung
sollte Universität ein Ort sein, an dem Wissen nicht nur
vermehrt und gelehrt wird, sondern an dem in ganzheitlicher Weise
die Wirkung des Wissens auf das Leben und den Alltag der Menschen
immer mitberücksichtig wird. Eine Technische Universität
müßte der Ort sein, an dem geklärt wird, wie die
Lebensqualität, die Menschlichkeit und auch das Private durch
unseren Wissensfortschritt in technischen und wissenschaftlichen
Bereichen beeinträchtigt wird.
Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer solchen
Universität sollte es nicht mehr erstrebenswert sein, lediglich
mit Perfektion in Teilgebieten Karriere zu machen. Die Vorstellung,
daß ein Wissenschaftler nur dann wirklich gut sein kann,
wenn er sich hundertfünfzigprozentig für seine Wissenschaft
aufopfert, sollte nicht mehr das berufliche Leitbild sein. Die
Einsicht sollte sich durchsetzen, daß ausgewogene und für
den Menschen dienliche Wissenschaft nur von solchen Menschen gemacht
werden kann, die auch Zeit und Energie in andere Lebensbereiche
einbringen. Das bedeutet insbesondere, daß endlich mehr
Frauen Eingang auch in technische und naturwissenschaftliche Forschungsbereiche
finden und daß Teilzeitprofessuren für Männer
und Frauen gefördert werden. Für das Jubiläum könnte
ich mir Ausstellungen vorstellen, auf denen sich Forscher- und
Projektgruppen vorstellen und zu Gesprächen bereitstehen.
Wichtig erscheint mir ein kritischer historischer Rückblick,
der insbesondere auch die Aktivitäten der TU Berlin in der
Zeit des Nationalsozialismus umfaßt. In kleinen Gesprächskreisen
sollte man außerdem gemeinsam über die zukünftigen
Aufgaben und das zukünftige Selbstverständnis der Universität
nachdenken.
Mathias Funk, Bauingenieurwesen, 2. Semester: Das ist der Ort, wo ich etwas lerne, wo ich meine Ausbildung bekomme. Es ist auch ein Platz, an dem ich Leute treffe und mit denen ich gemeinsam ein Ziel verfolge. Universität muß etwas mehr sein als nur das Vermitteln von Stoff, denn Lernen kann ich ja auch zuhause. Die Universität ist für mich ganz eindeutig Lebensmittelpunkt, schon von der Zeit, die ich hier verbringe, in Vorlesungen, in der Mensa, beim Hochspulsport. Als Massenuniversität empfinde ich es nicht so sehr, aber in Zukunft wäre es schön, wenn die Uni persönlicher werden könnte. Zum Jubiläum sollten sich die Fachbereiche einzeln vorstellen. Von einer Veranstaltung, die von oben herab organisiert wird, halte ich nicht so viel. Es sollte insgesamt eine eher lockere Veranstaltung sein. "50 Jahre Kriegsende" hat mir schon gereicht.
Andrea Battigge, Stadt- und Regionalplanung, 12. Semester: Für mich ist die Universität der ideelle Gedanke der Selbstverwirklichung! Ich kann mir meine Tage selber einteilen. Ich kann das lernen, was ich will. Ich kann mir genau das heraussuchen, was ich als Grundstein für mein weiteres Leben brauche. Ich studiere zwar ein Fach, aber ich informiere mich auch weiter als nur in dem Bereich. Das heißt Selbstverwirklichung für mich. Das ist für mich mehr als nur Ausbildung, denn dann könnte ich ja auch zur Bank gehen. Die Universität von heute sollte sich dahingehend verändern, daß ich mich nicht schon im ersten Semester festlegen muß, was ich für den Rest meines Lebens oder meiner Studienlaufbahn mache, sondern daß das eigentliche Studium freier gestaltet werden sollte. Die Jubiläumsfeiern sollten so eine Art Tag der offenen Tür sein. Da kann gezeigt werden, was die TU heute bietet, und es kann auch etwas Rückblick sein. Es sollte aber hauptsächlich auf die Zukunft gerichtet sein. Mich interessiert mehr, in welche Richtung die TU geht, als das, was in der Vergangenheit war.
Jürgen Sahm, Professor am Institut für Fachdidaktik Physik und Lehrerbildung: Die Institution Universität ist für mich ein Raum, in dem Wissenschaftler - Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter - gemeinsam mit Studenten zusammenarbeiten. Aufgabe der Universität ist, daß sie neue Ideen, neue Methoden und neue Sichtweisen entwickelt, die sich dann fruchtbar für die Gesellschaft auswirken. Dazu sind die jungen Menschen wichtig, denn sie sind noch aufnahmefähig und in ihren Denkstrukturen nicht festgelegt. Ich denke, man sollte in Zukunft vermeiden, daß Leute zu lange an derselben Stelle sitzen. Es muß immer neues geistiges Blut hereinkommen, sonst gibt es eine Vergreisung. Die TU sollte sich außerdem breiter nach außen öffnen, zum einen in Richtung Industrie und Wirtschaft, zum anderen in Richtung Gesellschaft. Wir müssen noch mehr darauf schauen, was denn gut für unsere Zukunft und für die Gesellschaft ist. Technikfolgenabschätzung und ähnliches sollten noch mehr in die Ausbildung hineingreifen. Zu dem Jubiläum gehört meiner Ansicht nach erstens ein Rückblick, der auch weiter zurückreicht als nur bis 1946. Zweitens sollte man fragen: Was hat denn die Technische Universität aus der Chance des Neuanfangs gemacht? Wichtiger ist aber noch der Blick nach vorne: Was soll die Universität in der Gesellschaft in Zukunft sein? Man könnte den Rückblick dokumentarisch machen - vielleicht als Veröffentlichung -, man könnte auch eine Konferenz machen. Man sollte aber auch die Gelegenheit nutzen, ein Hochschulfest zu machen, denn man muß diese Situation auch in einen erinnerungsfähigen Rahmen packen.
Roger Bussenius, Energie- und Verfahrenstechnik, 9. Semester: Für mich ist die Universität erstmal eine Ausbildungsstätte. Aber ich finde auch, daß man hier geschult wird, an der Politik teilzunehmen, zum Beispiel in Vollversammlungen. Zu der Hochschulpolitik hat man einen Bezug, während man an die allgemeine Politik - beispielsweise in Berlin - eher schwierig rankommt. Es ist viel leichter in eine Informationsveranstaltung an der Uni zu gehen, als ins Abgeordnetenhaus. Was ich an der Uni nicht gut finde, ist das ziemlich gestörte Verhältnis von Professoren zu Studenten. Es wäre schön, wenn sich das zu einem innigeren Verhältnis entwickeln würde. Wenn die TU ihr Jubiläum feiert, sollte gezeigt werden, wie sie entstanden ist und wie sie sich entwickelt hat. Auf der anderen Seite sollte sich die TU der Öffentlichkeit vorstellen. Viele Leute in der Öffentlichkeit wissen ja gar nicht, was Studenten den ganzen Tag machen. Die Rolle der Studierenden dabei? Von denen sollte es eigentlich ausgehen.
Helmuth Gürtler, Leiter der Zentraleinrichtung Rechenzentrum (ZRZ): Massenuniversität ist einer der Aspekte, an die ich denke. Außerdem ist die Universität ein ganz besonderer Arbeitgeber, denn die Freizügigkeiten, die an der Uni bestehen, hat man sicher nicht in der Wirtschaft und wahrscheinlich auch in vielen Behörden nicht. Sehr bedauerlich ist, daß die politische Diskussion in den letzten zwanzig, dreißig Jahren so eingeschlafen ist. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, daß die Studentenzahl geringer ist, daß das Ganze überschaubarer wird und daß die Engpässe nicht mehr so drückend sind. Wie man das Jubiläum im nächsten Jahr feiern sollte? Ich bin eigentlich der Meinung, es gibt keinen Grund zu feiern. 50 Jahre sind für eine Universität kein Alter, und so rosig geht es uns nicht, daß man da eine feierliche Veranstaltung machen sollte. Ein Rückbesinnen darauf wie man damals angefangen hat, das fände ich sinnvoll.
Tanja Beuchler, Betriebswirtschaftslehre, 8. Semester: Mit dem Begriff Universität verbinde ich die Ausbildung für den späteren Beruf. Gerade an der TU verbinde ich außerdem noch Bürokratie damit, umständliche formale Wege, die man gehen muß. Und ich verbinde viel Arbeit, besonders für Prüfungsvorbereitungen, damit. Lebensmittelpunkt ist die Uni für mich nur kurz vor den Prüfungen. Es gibt ja auch noch andere wichtige Dinge im Leben. Weiterentwickeln sollte sich die Universität hin zu mehr Praxisbezug. In meinem Fach gibt es beispielsweise kein Pflichtpraktikum, das sollte schon eingeführt werden. Es sollte mehr Wahlmöglichkeiten geben, damit man sich sein Studium besser zusammenstellen kann. Das Jubiläum im nächsten Jahr? Da habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Spontan würde ich sagen, daß eine Ausstellung über die Geschichte dazugehört. Organisiert sollte es so sein, daß jeder Interessierte daran mitwirken kann. Auf jeden Fall sollten Studenteninitiativen dabei sein.
Evelyn Schröder, Leiterin der Abteilung Finanzen und Forschungsangelegenheiten: Als erstes fällt mir Arbeit dazu ein. Universität ist aber auch ein Teil Mittelpunkt des Lebens. Und es ist das Zusammentreffen von verschiedenen Menschen, die hier arbeiten und studieren. Dadurch ist es sicherlich lebendiger als an anderen Arbeitsplätzen. Wenn ich hier hereinkomme, fühle ich mich nicht, als ob ich in eine Behörde gehe. Universität ist für mich nicht nur ein Arbeitsplatz, wo ich abends nach hause gehe, und dann denke ich nicht mehr daran. Das beschäftigt mich auch schon über die Arbeitszeit hinaus. Die Jubiläumsfeiern: Ich persönlich bin nicht so dafür, daß man eine große bombastische Feier veranstaltet. Sinnvoll finde ich etwa eine Dokumentation, die es jungen Leuten vermittelt, wie es in den vergangenen Jahrzehnten an dieser Universität war.
Hartmut Zadek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich 14 Wirtschaft und Management: Beim Begriff Universität denke ich an qualifizierte Ausbildung für einen Nachwuchs, der zu einer verantwortungsbewußten Rolle in der Gesellschaft herangezogen wird. Die Verbindung mit der Praxis - Wirtschaft, Politik oder Bildungswesen - gehört auf jeden Fall zur Universität. Ansonsten gehört auch Leistungsbereitschaft dazu, von Lehrenden und Lernenden. Die Struktur der Universität sollte effizienter werden, im Sinne einer schlanken Verwaltung. In der Lehre und Ausbildung müssen Gedanken, die für die Gesellschaft wichtig sind, mehr zum Tragen kommen. Der Umweltschutz ist ein Aspekt, aber auch die Frage, wie weit wir zu effizienterem Arbeiten kommen können. Ich denke, bei dem Jubiläum sollte man nicht nur eine bombastische Feier machen, sondern das ganze Jahr nutzen. Aus den Fachbereichen heraus sollte man die Arbeiten vorstellen, die die Universität vorantragen, etwa in Form von Fachbereichstagen.
Philipp Lösche, Medienberatung, 11. Semester: Für mich heißt Universität Zeitverlust, sehr ineffektives Arbeiten und sehr viel Ungewißheit, was danach kommen wird. Mein Idealbild der Universität ist trotzdem sehr positiv. Ich würde nach wie vor jedem empfehlen, zur Universität zu gehen, auch wenn noch verdammt viel verändert werden muß. Erstens muß die Zusammenarbeit zwischen den Professoren und den Studierenden intensiviert werden. Das gilt auch für die Betreuung durch andere Studierende, in Form von Tutorien. Das zweite ist der Kontakt zur Berufswelt, etwa mehr Praktika, wie sie bei den Ingenieurswissenschaften Pflicht sind, aber nicht bei den Sozialwissenschaften. Was die Jubiläumsfeiern angeht, kommen wir wahrscheinlich nicht umhin, uns alle möglichen Lobhudeleien anzuhören. Meiner Meinung nach sollte man darauf eingehen, wie sich die Universität in den letzten 50 Jahren bis heute verändert hat. Aber das darf nicht alles sein. Ich wünsche mir für das Jubiläum eher einen Blick in die Zukunft.
Helmut Schwarz, Professor am Institut für Organische
Chemie: Der Begriff Universität löst bei mir zunächst
Beklemmung aus, wenn ich an die an der TU Berlin herrschende Gremienwirtschaft
und die von ihr ausgelöste Selbstfesselung denke. Glücklicherweise
gibt es Aspekte, die diesen desolaten Zustand rasch vergessen
lassen. Beispielsweise, wenn ich an die kritsche Mitarbeit von
Studierenden in Vorlesungen und Seminaren denke oder an die Begeisterung
und das Enagement, mit der Diplomanden und Doktoranden Forschungsprojekte
gestalten - hier erfährt man, daß die Universität
immer noch ein aufregender Ort sein kann. Ein großes Problem
stellt die intellektuelle Heterogenität der Studierenden
dar. Ohne einen Mechanismus, mit dem die Universität ihre
Studierenden auswählen kann, wird dieses Problem nicht zu
lösen sein.
In Zukunft sollte sich die Universität auf wenige wesentliche
Gebiete konzentrieren, statt einer Breite zu huldigen, die zu
einem Qualitätsverlust führt. Ob wir mehr Geisteswissenschaften
oder mehr Ingenieurwissenschaften haben werden, ist hierbei ganz
gleichgültig. Entscheidend ist die Frage, ob wir den Mut
haben - durch eine Fremdevaluierung - herauszufinden, welche Fachbereiche,
welche Fächer, welche Gebiete unsere Leistungsträger
sind und diese dann mit dem erforderlichen Personal und Sachmitteln
auszustatten. Was man zum 50jährigen Jubiläum machen
sollte? Da sollten wir die Universität zwei, drei Tage öffnen
und uns kritische Köpfe einladen, die uns die Leviten lesen.
Sabine Konopka, Akademische Rätin am Fachbereich 8 Architektur: Die Universität ist für mich und besonders auch für mein Fach, die Architektur, eine Stelle, wo man ganz nah an den zeitgemäßen Entwicklungen dran ist. Man hat hier die größten Chancen, sich in aktuelle Diskussionen einzuklinken und mitzumischen. Zwänge und Bindungen hat die Universität zwar auch, aber man hat mehr Möglichkeiten, sich einzumischen als in einem normalen Architekturbüro. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, daß man den Gesellschafts- und Planungswissenschaften mehr Anerkennung entgegenbringt und daß sie ähnlich hoch angesiedelt werden, wie die klassischen Ingenieurwissenschaften. Fachbereiche und Studiengänge, die stark nachgefragt werden, sollten auch stark unterstützt werden. Die inneruniversitäre Bürokratie sollte auf ein notwendiges Maß reduziert werden und eher an dem orientiert werden, wie es in der Wirtschaft gehandhabt wird. Beim TU-Jubiläum sollte es neben einem historischen Rückblick auch eine kritische Perspektive geben, und man sollte einige Fragen stellen: Was sind denn die wesentlichen Aufgaben der Universität heute? Wie haben sich in den letzen 50 Jahren Berufsfelder verändert? Wie stellen sich die Fachbereiche eine Entwicklung in ihren Bereichen vor? Die Fachbereiche sollten auch dabei mitmachen, denn sie haben ja auch ein Stück eigene Geschichte und Perspektive, die sie mit einbringen können. Es sollte auf keinen Fall eine von oben aufgesetzte Jubelfeier sein.
Gerit Ziegler, Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA): Den Begriff "Universität" verbinde ich heute mit verschultem Massenstudium und sehr starker Disziplinarität innerhalb der Studiengänge. Wünschen würde ich mir natürlich, daß das überwunden wird, daß man sich mehr der Interdisziplinarität öffnet, etwa im Sinne eines modularen Studiums. Das sollte mehr Wahlfreiheit enthalten, nicht nur universitätsintern, sondern auch über die Universität hinaus. Die Anerkennungspraxis, die ja in Berlin ein Graus ist, sollte gelockert werden. Zum anderen fällt mir bei "Universität" die Finanzsituation ein: Die Bundesrepublik gibt gemessen an ihrem Reichtum viel zu wenig für den Bildungshaushalt aus. Deshalb hat man halt ein Massenstudium, an dem die Studienplätze nicht ausfinanziert sind, und in dem man die Leute noch schneller durch die Studiengänge powert und dann junge Schmalspurstudenten auf dem Markt hat. Ein Thema für das Jubiläum ist die Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Aber es gehört auf solch eine Veranstaltung natürlich auch die studentische Kultur, ähnlich wie im Rahmen der TU-Sommerfeste. Darüber hinaus sollte es aber auch Foren geben, auf denen kritisch nachgedacht wird, über die Vergangenheit und den Gründungsauftrag der TU und über den heutigen Stand der Geisteswissenschaften.