TU-Wissenschaftler unterstützen Verhüllungskünstler Christo und Jeanne-Claude bei der internationalen PR-Arbeit
Wenn Christo und Jeanne-Claude den Reichstag verhüllen, sind nicht nur die Stoffe und Stützkonstruktionen High-Tech-Produkte - auch bei der Außendarstellung seines Spektakels bedient sich der Künstler modernster Technologien. Dafür wird er bei zwei PR-Projekten tatkräftig von Wissenschaftlern der TU Berlin unterstützt. Sie schaffen die technischen Voraussetzungen, damit rund um die Uhr aktuelle Informationen über das Verhüllungsprojekt auf dem Internet-Dienst World Wide Web (WWW) abzurufen sind. Außerdem werden sie während der Christo-Pressekonferenz am 23. Juni Live-Videobilder ins Internet einspeisen und weltweit verbreiten.
Noch ist der Reichstag unverhüllt. Wer sich die Aktion von Christo und Jeanne-Claude nicht vor Ort anschauen kann, hat die Möglichkeit, per Internet auf dem laufenden zu bleiben
"Inhaltlich kümmert sich das Berliner Projekt ,Kulturbox' um die Darstellung auf dem Internet", erklärt Robert Tolksdorf, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe KIT/ FLP (Prof. Bernd Mahr) am Fachbereich Informatik. "Wir steuern die technische Unterstützung bei, um über den laufenden Stand des Projekts im World Wide Web zu berichten. Parallel dazu wird das Projekt von uns wissenschaftlich untersucht, hinsichtlich der Nutzerzahl und des Nutzerverhaltens."
200 Megabyte Texte, Grafiken und Bilder
Die TU-Wissenschaftler stellen dafür einen speziellen Rechner am Fachbereich Informatik bereit, der Teil des weltweiten Rechnerverbundes Internet ist. Die von der Firma SUN gesponserte Sparc-Workstation dient als sogenannter "Server" und hält auf seiner Festplatte alle Informationen bereit, die die Kulturbox zur Reichstagsverhüllung anbietet. Bis zu 200 Megabyte an Texten, Bildern und Grafiken sollen es nach Angaben der TU-Informatiker insgesamt werden.
Ein besonderes Angebot des Christo-Servers ist das "Virtuelle Parlament". Dort kann man Texte von der Bundestagsdebatte über das Verhüllungsprojekt lesen und seine eigene Meinung dazu als Notiz auf dem Rechner ablegen.
Ein Daumenkino
Bemerkenswert ist außerdem das sogenannte "Daumenkino" . Dabei handelt es sich um eine Reihe von Bildern, die eine Videokamera vom Reichstagsgebäude aufnehmen soll. Die Kamera, die auf dem Carillion-Turm neben dem Haus der Kulturen der Welt aufgestellt ist, nimmt während der Verhüllungsarbeiten halbstündlich ein Bild auf, das dann per Rechner und Datenleitung an den Server in der TU Berlin geschickt wird. Dort wird es so präsentiert, daß man sich den Fortgang der Arbeiten im Zeitraffer - wie mit einem "Daumenkino" - ansehen kann.
Technisch anspruchsvoller und nur für ein zahlenmäßig kleineres Publikum gedacht ist das zweite Projekt. Hier wollen die TU-Informatiker per Video die Pressekonferenz übertragen, die Christo am 23. Juni anläßlich der Verhüllung im Haus der Kulturen der Welt gibt.
Erste Live-Pressekonferenz
Diese Bilder sollen in den Internet-Dienst namens "MulticastBackbone" - kurz MBone - eingespeist werden und so weltweit übertragen werden. Genauso wie elektronische Post oder das World Wide Web ist MBone ein Dienst, der auf dem weltweiten Rechnerverbund Internet läuft. MBone ist jedoch auf die Übertragung von Bewegtbildern spezialisiert und in Europa noch nicht weit verbreitet. "Ähnliche Sendungen - etwa von Fachkonferenzen - gab es bereits auf dem MBone-Dienst", erläutert der Informatiker Tolksdorf, "aber es ist bisher kaum vorgekommen, daß eine Veranstaltung von öffentlichem Interesse live übertragen wurde."
Um die Pressekonferenz ins Netz zu bekommen, werden die Videobilder direkt im Haus der Kulturen der Welt digitalisiert und über eine Antennenverbindung an die TU Berlin weitergeleitet. Um diesen Teil des Weges kümmert sich der Elektrotechniker Jean-Pierre Ebert vom Fachgebiet Telekommunikationsnetze (Prof. Adam Wolisz) vom Institut für Fernmeldetechnik. Er wird die Nachrichtenstrecke zur TU Berlin aufbauen sowie den Datenfluß messen und untersuchen. Außerdem stellt er die Einspeisung der Daten über einen Rechner in das Internet sicher, die damit theoretisch live in aller Welt verfügbar sind.
Videobilder nur für einige Universitäten
In den Genuß der Bilder werden in Deutschland aber nur einige wenige Hochschulinstitute kommen, die an das sogenannte ATM-Hochleistungsnetz angeschlossen sind. Hierzulande ist der Internet-Dienst MBone derzeit nur an rund 20 Universitäten verfügbar. In Amerika, so Informatiker Tolksdorf, ist MBone aus der experimentellen Phase heraus und wird bereits im normalen Betrieb von Universitäten genutzt. Daß es in Deutschland noch nicht so weit ist erklärt der TU-Wissenschaftler mit den geringen Leitungskapazitäten: Für die Übertragung der Live-Videodaten benötigt man eine Bandbreite von insgesamt 192 Kilobit/sec - und das ist bereits ein Zehntel des größten Anschlusses der TU Berlin in die Außenwelt.
René Schönfeldt
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