Die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau gehört seit Anfang des Jahres zur TU Berlin
Jeder, der schon einmal durch den Tiergarten spaziert ist, wird es kennen - das blaue Gebäude mit den riesigen rosaroten Röhren. Dahinter verbirgt sich die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (VWS). Seit Kriegsende ist sie eine Forschungseinrichtung des Landes Berlin gewesen. Auf Beschluß des Berliner Abgeordnetenhauses gehört die VWS nun seit Dezember 1994 als Zentraleinrichtung VWS Hydrozentrum zur Technischen Universität Berlin. Grund genug, diese Einrichtung einmal näher vorzustellen.
Der balue Kasten mit den rosaroten Röhren: Die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau ist wohl das markanteste Gebäude im Tiergarten
Die VWS ist das einzige Institut in Deutschland, das die verwandten Bereiche Schiffstechnik, Meerestechnik, Umwelttechnik, Verkehrswasserbau und Angewandte Hydromechanik unter einem Dach vereint. Ein wichtiger Bereich der Forschung und Entwicklung ist hier die Strömungsmessung. Im Mittelpunkt stehen an der VWS die strömungstechnischen Untersuchungen mit Schiffen oder anderen hydromechanischen Systemen. In der Regel handelt es sich bei den Versuchsobjekten um bis zu acht Meter lange Modelle von Schiffen, die unter realitätsnahen Bedingungen getestet werden. Die Modelle selbst werden in der anstaltseigenen Modellwerkstatt angefertigt. Normalerweise werden sie aus Holz oder Paraffin, seltener aber aus Metall hergestellt. Jedoch sind nicht nur Schiffe oder Schiffsmodelle an der VWS Gegenstand der Versuche: auch das Schwimmverhalten von Pinguinen und Kleinwalen wurde schon untersucht.
Die Schiffsmodelle werden in einer hauseigenen Modellwerkstatt angefertigt
Über 3000 Tonnen Wasser
Für die Tests mit den Modellen stehen den Mitarbeitern in der VWS mehrere Versuchsfelder zur Verfügung. Zum einen ist da der von außen sichtbare rosarote Umlauf- und Kavitationstank. Dieser Tank ist der größte seiner Art auf der Welt. Nicht weniger als 3000 Tonnen Wasser fließen im Kreislauf dieses mittlerweile 20 Jahre alten Tanks. Gegenüber den herkömmlichen Schlepprinnen hat er den Vorteil, daß die Forscher hier über einen deutlich längeren Zeitraum messen und beobachten können. Die äußeren Bedingungen im Tank, wie etwa der Atmosphärendruck, lassen sich außerdem bei Bedarf durch feste Abdeckung der Meßstrecke verändern. Wenn die VWS-Mitarbeiter verhindern wollen, daß sich bei den Versuchen Wellen bilden, können sie die freie Oberfläche neben und hinter dem Versuchsmodell ebenfalls abdecken. Oberflächeneffekte, die die Messung stören, werden so vermieden.
Herkömmliche Schlepprinnen gibt es in der VWS auch. In der "Tiefwasserrinne" und der "Flachwasserrinne" werden sowohl Widerstandsversuche als auch Strömungsmessungen und Propellerfreifahrtversuche durchgeführt. Die Modelle werden hier durch ruhendes Wasser geschleppt oder fahren teilweise mit eigenem Antrieb. Durch eine Wellenmaschine lassen sich sogar sehr bestimmte Seegänge erzeugen, beispielsweise "Windstärke 8 im Pazifik". Sie bilden die Szenerien für Umweltversuche, etwa beim Einfangen oder Absaugen von Öl auf bewegter See. Wichtig ist die Wellenerzeugung außerdem für die Untersuchung des Seeschlages, das heißt für das Aufschlagen der Wellen auf Schiffsdeck bzw. Schiffskörper. So kann die VWS auch Lastentests bei Seegang simulieren.
In den Schlepprinnen der Versuchsanstalt werden die Modelle durch ruhendes Wasser geschleppt oder fahren mit eigenem Antrieb
Schleppwagen und Modellautos
Ein Deck weiter in dem Gebäude findet man eine weitere Schlepprinne. Die Besonderheit an dieser Rinne ist der Schleppwagen, mit dem die Forscher Widerstandsmessungen durchführen können. Der Wagen rollt auf Schienen über die Rinne hinweg und kann maximal eine Geschwindigkeit von 12,5 Metern pro Sekunde erreichen, das sind etwa 35 km/h. Bei den Versuchen wird das Modell mit dem Schleppwagen verbunden und der gesamte Versuchsvorgang mittels Fotoaufnahmen, Videoaufzeichnungen und Computer festgehalten.
In der VWS lassen sich aber nicht nur Strömungsversuche für Wasserfahrzeuge durchführen. Auch Modellautos eines namhaften Autoherstellers wurden bereits unter Wasser auf ihr Strömungsverhalten hin getestet. Im Gegensatz zu üblichen Tests in Windkanälen können hier nicht nur die Räder, sondern das gesamte Fahrzeug bewegt werden. Und sogar Flugzeugkonstrukteure haben schon auf das Know-how und die technische Ausstattung der VWS zurückgegriffen.
Schadstoffversuche in der Umwelttechnik-Halle
Die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der VWS beschränkt sich jedoch nicht auf Strömungsmessungen. Nur wenige Meter neben dem Gebäude, das Umlauftank und Schlepprinnen beherbergt, liegt die Wasserbau-Umwelttechnik-Halle. Hier werden unter anderem Schadstoffversuche in speziellen Umweltrinnen durchgeführt, etwa Versuche mit Geräten für die Öl- oder Chemikalienbekämpfung oder zur Gewässersanierung.
Bei aller VWS-Forschung spielen die Finanzen eine wichtige Rolle. "Für uns", so Professor Michael Schmiechen vom Institut für Schiffs- und Meerestechnik der TU Berlin und langjähriger stellvertretender Direktor der VWS, "ist das vorrangige Ziel die Akquirierung von Aufträgen". Der Gesamtetat des Hauses liegt zur Zeit bei neun bis zehn Millionen DM im Jahr. Da 45% des Haushalts aus Drittmitteln kommt, kann die VWS auf die Einnahmen aus Forschungsgeldern der EU, des Landes bzw. des Bundes oder der Industrie nicht verzichten - wenn der jetzige Standard gehalten werden soll.
Da der Markt für solche Forschungs- und Entwicklungsaufgaben jedoch klein ist, ist die Arbeit an der VWS stark von dem Aufkommen aktueller Fragestellungen beeinflußt. Bei einem unlängst vom Bundesforschungsministerium genehmigten Forschungsprojekt geht es zum Beispiel um die Entwicklung und Erprobung einer neuen Regelungstechnik auf Schiffen, der sogenannten Fuzzy-Kontrolle. Außerdem plant die VWS ein Projekt zur ökologischen Flutkontrolle von Flüssen und Kanälen.
Ein anderes aktuelles Projekt ist das sogenannte "Wassertaxi", ein Luftkissenfahrzeug mit 60 Sitzplätzen, das als Ergänzung zur Berliner S-Bahn gedacht ist. Hier arbeiten die VWS-Wissenschaftler mit den Städten Paris und Bremen zusammen, die ebenfalls Interesse an schnellen Wasserfahrzeugen für die Personenbeförderung haben.
Christian Hohlfeld
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