Erklärung des Fachbereichsrates 10 Verkehrswesen und Angewandte Mechanik zum 8. Mai
Am 8. Mai 1945 wurde mit der Kapitulation der Wehrmacht und eines verbrecherischen deutschen Staates, der großen Teilen der Welt unvorstellbares Leid brachte, der 2. Weltkrieg in Europa beendet. Auch für die Ingenieurwissenschaften an der TU Berlin ist dieses Datum mit Schuld und Neubeginn verbunden. Die TH Charlottenburg hatte sich schon früh in weiten Teilen zu einer Trägerin der faschistischen Ideologie gemacht und entwickelte Wissenschaft und Technik zum Schaden der Menschheit.
Auf ihren Trümmern gründete die britische Besatzungsmacht die Technische Universitat Berlin. Die Mitglieder der neuen Hochschule erhielten die Aufgabe, Technikerinnen und Techniker sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu bilden, die aus der Achtung vor dem Menschen und der Gesellschaft ihr Verständnis der Wissenschaft entwickeln sollten. Freiheit und Demokratie waren 1945 mehr von außen verordnet als von innen errungen worden Sie etablierten sich nur langsam. Es bleibt unsere Aufgabe, sie für die Gemeischaft und den Einzelnen immner wieder erfahrbar zu machen, als eigene Lebensform anzunehmen und in Verantwoltung und Menschlichkeit weiterzuentwickeln.
Verwicklung in die technologische Barbarei
Der Fachbereich 10 Verkehrswesen und Angewandte Mechanik der Technischen Universität Berlin ist sich seiner Verantwortung für die Entwicklung von Technik und Gesellschaft gleichermaßen bewußt. Auch wenn seine Kernfachgebiete erst im Zuge der Hochschulreform 1970 zu den Fachbereichen Physikalische Ingenieurwissenschaft und Verkehrswesen zusarnmengeführt worden sind, so übersieht er nicht die Verwicklung seiner Vorgänger in die technologische Barbarei des Dritten Reichs. Technik ist in ihrer Anwendung niemals neutral. Erst der Glaube an die reine Rationalität der Technik machte die Greueltaten Hitlerdeutschlands möglich.
Eingedenk dieser Tatsachen erinnert der Fachbereich 10 der TU Berlin an einige beispielhaft ausgewählte Persönlichkeiten, die mehr oder weniger eng mit den Vorgängem des Fachbereichs in Verbindung standen und die zumindest ambivalent zu betrachten sind. Sie waren alle ausgezeichnete Techniker und Ingenieure. In den meisten Fällen waren es keine aktiven Nationalsozialisten, sondern in erster Linie Fachleute, die in dem faschistischen deutschen Staat einen Verbündeten sahen, um ihre fachlichen Ziele zu verfolgen:
Prof. Heinrich Nordhoff (1899-1963)
Er ist Absolvent der Schiffstechnik an der TH Charlottenburg und war in den vierziger Jahren als VorstandsmitgLied der Adam Opel AG und Leiter des Opel- Werks in Brandenburg maßgeblich für die Rüstungsproduktion von Lkws verantwortlich. Nachdem er wegen seiner Tätigkeit für die Machthaber des Dritten Reichs von den Eigentümern der Adam Opel AG 1945 entlassen worden war, machte er als ausgewiesener Fachmann der Automobilproduktion bald wieder Karriere. 1948 wurde er zum Generaldirektor der Volkswagen-Werke gemacht. 1951 verlieh ihm die TU Berlin die Würde eines Ehrensenators.
Prof. Dr.-lng.Heinrich Hertel (1901-1982)
Er war in den dreißiger und vierziger Jahren Vorstandsmitglied und Chefkonstrukteur der Junkers-Werke in Dessau, dem nach der Enteignung von Hugo Junkers größten Luftrüstungsbetrieb Deutschlands, und erhielt für seine Verdienste um die deutsche Luftrüstung den Titel eines Wehrwirtschaftsführes. Nach dem Wegfall des alliierten Verbots der deutschen Luftfahrtforschung wurde er 1955 der erste Inhaber des Lehrstuhls für Luftfahrzeugbau an der TU Berlin nach dem 2. Weltkrieg. Dort setzte er sich dafür ein, daß keine Rüstungsforschung am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik betrieben wurde, aber eine Diskussion über seine Vergangenheit ließ er nicht zu. Er erhielt in den sechziger Jahren die Ehrendoktorwürde der RWTH Aachen.
Prof. Dr.-lng. Herbert Wagner (1900-1982)
Wagner absolvierte ein Studium der Schiffstechnik an der TH Charlottenburg. Ab 1930 hatte er den Lehrstuhl für Flugzeugbau in der Fakultät für Allgemeine Technologie, der späteren Wehrtechnischen Fakultät, inne. Er verfaßte ein außergewöhnlich anschauliches Lehrbuch über die Elemente des Flugzeugs und galt als ausgezeichneter Lehrer. Ab 1935 war er zu den Junkers-Werken nach Dessau beurlaubt, wo er als stellvertretendes Vorstandsmitglied und Chefkonstrukteur des Flugzeugbaus maßgeblich an der Rüstungsproduktion und der Entwicklung von Strahltriebwerken beteiligt war. Nach Kriegsbeginn arbeitete er bei den Henschel-Flugzeugwerken in BerLin-Schönefeld an der Entwicklung ferngelenkter Waffen. ln dieser Zeit entstand u. a. die Henschel Flugbombe HS 293. Er beschäftigte sich dabei auch mit der Nutzung der Kern-und Computertechnik (Zusammenarbeit mit Konrad Zuse) für Fernlenkwaffen. Dieses Thema verfolgte er nach dem Krieg in den USA weiter, wo er für die Marine arbeitete. Ab 1957 war er Professor für Technische Mechanik an der RWTH Aachen und erhielt 1960 die Ehrendoktorwürde der TU Berlin.
Prof. Hermann Föttinger (1877-1945)
Föttinger war ab 1924 Professor für Strömungslehre und Turbomaschinen an der TH Charlottenburg. Er galt als ein außerordentlich schöpferischer Mensch, der über 100 Patente u. a. auch für das nach ihm benannte Strömungsgetriebe erwarb. Im Zweiten Weltkrieg hielt er mindestens in einem historisch verbürgten Fall eine flammende Rede mit Durchhalteappellen für den faschistischen deutschen Staat. In den letzten Kriegstagen kam er durch einen Bombensplitter ums Leben.
Prof. Dr. Wernher von Braun (1912-1977)
Von Braun gehörte zu den leitenden Wissenschaftlern der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, der größten und modernsten Rüstungsforschungseinrichtung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Maßgeblich war er dort an der Entwicklung von Hitlers Vergeltungswaffe V2 beteiligt. Die Fertigung dieser Raketen erfolgte hauptsächlich durch KZ-Häftlinge in einem unterirdischen Werk im Harz unter grausamsten Bedingungen, was Wernher von Braun nachweislich bekannt war. Zehntausende von Menschen kamen während der Produktion und durch den Einsatz von V2-Raketen ums Leben. Nach dem Krieg wurde von Braun in den USA Leiter des Apollo- Raumfahrtprogramms und zu einem gefeierten Helden der Raumfahrt. 1963 erhielt er die Ehrendoktorwürde der TU Berlin, die Laudatio hielt Heinrich Hertel.
Diese beispielhaften Biographien sind ambivalent und z. T. nur unzureichend erforscht, aber ein nicht zu leugnender Teil des Erbes des heutigen Fachbereichs 10. Die Einsicht in diese eigene Geschichte ist Verpflichtung für die TU Berlin wie für den Fachbereich 10 und Teil des Auftrags, die heutigen Studierenden zu einem verantwortungsbewußten Umgang mit der Technik zu sensibilisieren. Es ist auch Aufgabe der TU und des Fachbereichs 10, dazu beizutragen, daß sich das Grauen von Faschismus und Weltkrieg nicht wiederholt. Der Fachbereich 10 bekräftigt daher die Beschlüsse der Fachbereiche Physikalische Ingenieurwissenschaft und Verkehrswesen sowie des Akademischen Senats, auch nach Wegfall alliierter Vorbehaltsrechte auf Vorhaben der Rüstungsforschung und -entwicklung an der TU Berlin zu verzichten.
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