Die Mathematik rettete ihm das Leben

Eine Ausstellung über Ernst Mohr und die Mathematik im Dritten Reich an der TU Berlin


Den 50. Jahrestag des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft hat der Fachbereich 3 Mathematik der TU Berlin zum Anlaß genommen, eine Ausstellung über "Mathematik im Dritten Reich" vorzubereiten. In Zusammenarbeit mit Professor Dr. Udo Simon haben Monica Ahuna, Nele Groß und Eugen Januschke, Studierende der Fachbereichsinitiative Mathematik, die Themen ausgewählt und das Material zusammengestellt. Die Anregung für die Ausstellung gab das Schicksal von Professor Dr. Ernst Mohr (1910-1989), der nach 1945 langjähriger Direktor des Institutes für Mathematik an der TU Berlin war.

Ernst Mohr

Mohr war 1944 wegen wehrkraftzersetzender Äußerungen zum Tode verurteilt worden. Das Todesurteil wurde aber ausgesetzt, weil sein mathematisches Wissen für die Rüstungsentwicklung von Nutzen war. Deshalb wurde er im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und zu mathematischen Berechnungen herangezogen.

Ideologisierung der Mathematik

Ein Teil der Ausstellung "Mathematik im Dritten Reich" ist daher Ernst Mohr und seinem Lebensweg gewidmet. Besondere Berücksichtigung findet hierbei seine Zeit in der Mathematischen Abteilung des KZ Sachsenhausen, der Mohr während seiner Inhaftierung zugeordnet war. Aber auch die Vertreibung jüdischer und politisch mißliebiger Personen von den Hochschulen wird in der Ausstellung dokumentiert. Die Ideologisierung der mathematischen Wissenschaft im Dritten Reich soll anhand der Person Ludwig Bieberbachs deutlich gemacht werden. Bieberbach, im Dritten Reich Professor an der Universität Berlin (heute Humboldt Universität zu Berlin), war zu dieser Zeit einer der führenden Mathematiker Deutschlands.

"Deutsche Physik" und "Deutsche Mathematik"

Der "Deutschen Physik", die im Dritten Reich ein heftiger Kritiker der aus ihrer Sicht zu theorielastigen "Deutschen Mathematik" war, ist ein weiterer Abschnitt gewidmet. Ein letzter Bereich beschäftigt sich mit dem Mathematikunterricht im Dritten Reich. Im Hintergrund der Ausstellung steht aber auch die Frage, inwieweit sich Mathematik-Wissenschaftler heute Gedanken über die praktischen Anwendung ihrer Forschungsergebnisse machen. Gezeigt werden Texte und Fotos zu den einzelnen Bereichen, Auszüge aus Zeitschriften und Briefwechseln sowie Beispiele von mathematischen Berechnungen.

Ernst Mohr wurde am 20.4.1910 in Ebersbach/Fils (Württemberg) geboren. Nach Abschluß der Reifeprüfung in Göppingen studierte er in Tübingen, München sowie Göttingen Mathematik und Physik. 1933 promovierte er in Göttingen und legte dort zwei Jahre später das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab. Im Jahr 1938 habilitierte er sich an der TH Breslau. Dort blieb er bis 1942, ehe ihn der Mathematiker Hans Rohrbach an die Deutsche Universität Prag holte.

Wegen "Zersetzungspropaganda" zum Tode verurteilt

Im Mai 1944 wurde Ernst Mohr aufgrund einer Denunziation von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Wegen "Zersetzungspropaganda" wurde er im Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Doch er hatte Glück im Unglück. Die Vollstreckung wurde aufgehoben, um seine Verwendung für kriegswichtige Rechenarbeiten zu gewährleisten. Er wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und zu mathematischen Berechnungen herangezogen. Zu Gute kam ihm dabei sicherlich, daß er bereits vor seiner Verhaftung Berechnungen für die Luftwaffe durchgeführt hatte. Außerdem hatten sich namhafte Kollegen für ihn eingesetzt. So verdankte er der Tatsache, daß sein mathematisches Wissen für die Entwicklung der V(Vergeltungs)-Waffen benötigt wurde, sein Leben.

Kurz vor Kriegsende wurde er in die Strafanstalt Plötzensee nach Berlin verlegt, wo das Todesurteil doch noch vollstreckt werden sollte. Im April 1945, unmittelbar vor seiner angesetzten Hinrichtung, wurde Ernst Mohr durch sowjetische Soldaten aus der Strafanstalt Plötzensee befreit. Ernst Mohr ist mit seinem Schicksal eher ein Ausnahmefall. Bei weitem nicht alle Gelehrten, die in die Mühlen der NS-Justiz gerieten, blieben von der Vollstreckung des Todesurteiles verschont.

Nach dem Krieg TU-Professor

Nach 1945 beteiligte sich Ernst Mohr am Aufbau der Technischen Universität Berlin. Am 1. Januar 1946 wurde er ordentlicher Professor für Mathematik. Lange Jahre war er Direktor des Instituts für Mathematik der TU Berlin, der er bis zu seiner Emeritierung 1978 treu blieb. Am 16.5.1989 verstarb Ernst Mohr in Berlin.

Christian Hohlfeld


Die Ausstellung "Mathematik im Dritten Reich" ist noch bis zum 31. Mai 1995 im Foyer des Mathematikgebäudes, Straße des 17. Juni 136, 10623 Berlin, 9 bis 20 Uhr zu sehen.


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