Lehre in den Hochschulen: "Besser als befürchtet"

Hans-Dieter Daniel über Evaluierungen in der Lehre


"Das Institut für Demoskopie Allensbach brachte im Herbst 1993 das Thema 'Bildungssystem' in seiner regelmäßigen Umfrage unter deutschen Führungspersönlichkeiten zur Sprache. Im Vergleich zu den Fachhochschulen wurden die Universitäten verheerend beurteilt. Nur 28 % der obersten Führungskräfte sind der Meinung, daß an den Universitäten 'alles in allem eher gute Arbeit geleistet' wird. Jeder zweite meint dagegen, daß die Arbeit an den Universitäten zur Zeit 'eher als schlecht' zu beurteilen ist."

Hans-Dieter Daniel

Ist von Evaluierung der Forschung die Rede, kann der Aspekt der Evaluierung der Lehre nicht weit weg sein. So widmete sich Hans-Dieter Daniel vom Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung der Universität-Gesamthochschule Kassel in dem vierten Vortrag Ergebnissen seiner umfangreichen Studien zur Lehrevaluation, die mit einigen neuen Ergebnissen aufwarten konnte. Im Gegensatz zur Annahme der Gegner der Evaluierung der Lehre, die meinen, daß das Interesse der Studierenden an den Inhalten einer Lehrveranstaltung Einfluß auf die Beurteilung der Lehrveranstaltung habe, zeigte sich, daß es hier keinen systematischen Zusammenhang gibt. Zumindest nicht an der Universität Mannheim, an der die Befragungen durchgeführt wurden.

Insgesamt läßt sich sagen, so Daniel, daß die Lehre hier viel besser ist als ihr Ruf. Gut 80% der Studierenden, die befragt wurden (Studierende der Betriebswirtschaft, der Statistik, der Sprach- und Literaturwissenschaft und Absolventen der Uni) beurteilten die Lehre gut bis befriedigend.

GUTE DOZENTEN, ZUFRIEDENE STUDENTEN

Wie nicht anders zu erwarten, korreliert die Zufriedenheit der Studierenden mit den Lehrveranstaltungen in hohem Maße mit der fachlichen, didaktischen und sozialen Kompetenz des Dozenten bzw. der Dozentin. Zur Verbesserung der Studiensituation werden kleinere Lehrveranstaltungen verlangt, ein stärkerer Praxisbezug des Studiums, intensivere Betreuung durch die Lehrenden, die Beschränkung des Lehrstoffs auf das Wesentliche und eine bessere Rückmeldung an die Studierenden über ihre Leistung. Dies gelte für Studierende der Betriebswirtschaft. Für eine andere Fakultät sehe es wieder anders aus: Bei den Sprach- und Literaturwissenschaftlern werden mehr Auslandsstipendien verlangt, außerdem mehr Orientierung über berufliche Einsatzfelder für Geisteswissenschaftler, höhere BAFöG-Sätze und Stipendien und eine bessere Ausstattung der Bibliothek. Am wenigsten dringlich seien für die Studierenden fachlich besser qualifizierte Dozenten.

Befragt wurden nicht nur die Studierenden, sondern auch die Absolventen der Uni Mannheim. Auch sie zeigten sich im großen und ganzen zufrieden mit ihrem Studium. Interessant sei wiederum, daß sich - etwa bei dem Studiengang Betriebswirtschaftslehre - die Fachstudiendauer sehr gut vorhersagen lasse, und zwar durch die Merkmale Bildungsweg, Studienfachwahlmotivation, die Abiturnote, die Zahl der Wiederholungsprüfungen und die Form der Studienfinanzierung.

Betriebswirte, so Daniel, die an einem Gymnasium die allgemeine Hochschulreife erworben haben, die nach dem Abitur eine kaufmännische Lehre abgeschlossen bzw. eine Berufstätigkeit ausgeübt haben, die mit BWL ihr Wunschstudium realisieren konnten, die eine überdurchschnittlich gute Abiturnote hatten, die im Laufe des Studiums keine Prüfungen wiederholen mußten und die sich durch ausreichend BAFöG ganz auf ihr Studium konzentrieren konnten, weisen mit durchschnittlich zehn bis elf Semestern die kürzeste Fachstudiendauer auf. Im Vergleich: Bei sieben von zehn Absolventen habe das Studium länger gedauert, als ursprünglich geplant

"STUDIERFÄHIGKEIT" DER STUDENTEN

Die Ergebnisse der Befragungen dienen, so betont Daniel, zum einen den Dozenten für die Optimierung der Lehre, sie liefern den Fakultäten darüber hinaus Informationen über die "Studierfähigkeit" der Studenten (z. B. über die Abiturnote und die Einzelnoten in den Leistungs- und Grundkursen); den Studienerfolg (z. B. Klausurergebnisse, Noten in der Diplom-Vorprüfung); die gewählten Fächerkombinationen in den Lehramts- und Magisterstudiengängen; die Studienfachwahlmotivation (Wunsch- versus Parkstudium); die Berufsvorstellungen und Zukunftspläne der Studierenden, das studentische Zeitbudget während des Studiums, Häufigkeit und Motive für einen Wechsel des Studienfachs, die Neigung zum Studienabbruch und die Gründe hierfür sowie die Zufriedenheit mit dem Umfeld (Studienberatung, Bibliothek etc.). Mit diesem Katalog ginge die Untersuchung weit über die bloße Benotung der Didaktik des Vortragenden ("Sind Tafelbild und Folien lesbar", "Bleibt Zeit zum Mitschreiben") hinaus. Schließlich dienten die Befragungen den Studierenden selbst, indem sie einerseits Schwachstellen der Lehre identifizieren könnten, aber auch an die Mitverantwortung für das Gelingen von Lehre und Studium erinnert werden.

So konnte Daniel auch den Rat eines amerikanischen Kollegen an die deutschen Hochschullehrer weitergeben, den dieser auf einer Tagung über die Evaluationspraxis in den USA, Großbritannien und den Niederlanden formuliert hatte: "Setzen Sie sich an die Spitze des politischen Prozesses, gehen Sie selbst in die Offensive, bevor irgend jemand anderes für Sie und an Ihrer Stelle aktiv wird ... Sie beginnen damit, Ihre eigene Autonomie zu unterstreichen, indem Sie die Verantwortung für das, was Sie tun, selbst übernehmen."

tz


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [November '95]