Von den Hochschulen aus die Gesellschaft bewegen

Fünf neue Leitbilder der Universität, die die Gesellschaft verändern, zeichnet Michael Daxner


"Wir brauchen Universitäten, die gescheit sind, um gescheit zu machen. Gescheitheit ist dann mehr als Bauernschläue, Berufsfertigkeit, funktionsgerechte Kreativität. Gescheitheit hat mit dem andern soviel zu tun wie mit uns selbst: die Frage zu beantworten, warum wir uns an den Rand der Gattungsvernichtung bringen können, ist so relevant wie die Frage, dieser Vernichtung entgegenzuwirken. Daran wird eine künftige Hochschule zu messen sein." (Michael Daxner)

Michael Daxner

Der Universität ein neues Leitbild verpassen, bedeutet mehr, als sich vom alten zu trennen.", konstatierte der Präsident der Universität Oldenburg, Michael Daxner. Wenn es in der Nachkriegszeit in Deutschland Leitbilder und auch Traditionen, an denen die Nachkriegsuniversität anknüpfen konnte, gegeben habe, dann sind sie von den Studenten 1968 abgeschafft worden. Durch die Einflüsse der amerikanischen Massendemokratie sei die Studentenbewegung von 1968 entstanden, die die Veränderungen des deutschen Hochschulwesens einleitete.

In dieser Zeit ist ein neues Leitbild der Universität überhaupt erst entstanden, das, so Daxner, erst heute relevant werde. Danach sind Lehre und Forschung nicht mehr allein für einen Kreis von "gebildeten Eliten" von Bedeutung, sondern für die ganze Bevölkerung. Daraus folgert Daxner, daß "sich die Hochschulen noch weiter öffnen müssen, um einer über bestehende Berufe hinaus hochqualifizierten Gesellschaft den Weg zu eben".

WARNER UND KRITIKER

Und mit Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die aufgrund der Studentenbewegung entstanden sind, meint Daxner, sei ein zweites Leitbild möglich: "von der Hochschule aus die Gesellschaft zu bewegen". Hochschulen sollten, weil sie den zukünftigen Generationen verpflichtet sind, "Warner, Kritiker, Konstrukteure und Bewahrer des Wissens" sein. Sie sollen die ambivalente Beziehung von Wissenschaft und Fortschritt zum Hauptthema machen und sich dabei mehr um die Öffentlichkeit bemühen. Die Gesellschaft ihrerseits habe gegenüber den Hochschulen die Verantwortung, sie muß sich die Hochschulen etwas kosten lassen, sie insgesamt in ihrem Finanz- und Wertgefüge einbauen.

Ein drittes Leitbild, so Universitätspräsident Daxner, habe erst zu entstehen: Ohne Wissenschaft wird heute kein Problem mehr gelöst, doch allein wissenschaftliche Probleme zu lösen, sei nicht die Aufgabe von Universitäten. Es sei vielmehr notwendig, "eine Gesellschaft mit möglichst vielen Menschen, die die Fähigkeit zu kompetenter Willens- und Meinungsbildung besitzen, heranzuziehen". Von diesem Leitbild aus äußert Daxner Kritik an der Reformfähigkeit der Universitäten. Sie nähmen diese Aufgabe nicht an und seien deshalb weit hinter ihrer Kompetenz zur Lösung wissenschaftlicher Probleme zurückgeblieben.

NICHT LÄNGER INSTITUTION DES STAATES

An einem vierten Leitbild müsse gearbeitet werden. Hochschulen sollen nicht länger Institution des Staates, aber auch nicht private Einrichtung sein. Die Universitäten müssen für die Menschen einer Gesellschaft dasein, müssen mit ihnen kommunizieren. Das setzt andererseits stärkere Beteiligung, Kontrolle und Kenntnis über die Hochschulen in der Öffentlichkeit voraus. Insofern fordert Daxner eine ständige Evaluation und Transparenz der Forschung und vor allem auch der Lehre.

Daxners fünftes Leitbild fragt nach dem Modell der universitären Selbstverwaltung. Daxner meint, daß die entstandenen Strukturen "entlang der ständischen Linien" nicht das gewünschte Ergebnis nach der Auflösung der alten Ordinarienuniversität sind. Die Hochschulen müssen in der Lage sein, sich selbst und die Gesellschaft zu verändern. Deshalb plädiert Daxner dafür, "vertrauensvolle Konsensmodelle zu entwickeln, in denen die intellektuellen und interessensgeleiteten Kämpfe nicht zu einer Selbstlähmung unserer internen Organisation führen".

gl


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [November '95]