Fragen an einen Kandidaten

Ein Vertreter der Unabhängigen Hochschullehrer kritisiert die "Hochschulpolitischen Leitlinien" der Reformfraktion

Wer sich über die Vorstellungen der Reformfraktion an der TU Berlin informieren will, hat mit den "Hochschulpolitischen Leitlinien" eine Dokumentation an der Hand, die den derzeitigen Stand der Ideen ausführlich wiedergibt. Diether Gebert, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Mitglied der Unabhängigen Hochschullehrer im Akademischen Senat, hat sie durchgelesen und seine Kritikpunkte zusammengetragen. Seine Widersprüche formuliert er im folgenden Beitrag als Fragen an den Präsidentschaftskandidaten der Reformfraktion, Prof. Dr. Ulrich Steinmüller:

Da wir vor den Wahlen stehen, sollten Wahlprogramme sorgfältig gelesen werden. Die diesbezüglichen "Hochschulpolitischen Leitlinien" der Reformfraktion (formuliert im Sommersemester 96) lesen sich vor dem Hintergrund des Positionspapiers, das in "TU intern" im Januar 1996 unter dem Titel "Universität in der Krise" von verschiedenen Kollegen formuliert worden ist, einerseits als unrealistische Idylle und andererseits als Beginn einer Horrorvision, wie nachstehend an vier Themenkreisen illustriert wird:

1. LEISTUNGSANFORDERUNGEN - Nachdem über entsprechende rechtliche Regelungen die Anforderungen an Diplom-, Promotions- und Habilitationsverfahren an der TU in den letzten Semestern nicht angehoben, sondern eher abgesenkt worden sind, soll nun auch noch der Hochschulzugang selbst durch einen weitergehenden Verzicht auf formale Auswahlkriterien und einen Übergang auf ein "reines Losverfahren" (S. 8) liberalisiert werden. Eine Niveauabsenkung und weitere Einebnung der Unterschiede zur Fachhochschule wären die unvermeidliche Folge. Unter dem Stichwort: "Wer forscht?" (S. 8) wird aber gleichzeitig ausgeführt, daß "die Einbeziehung von Studierenden in Drittmittelprojekte zum Regelfall werden" soll (S. 8). Ich finde diesen alten Traum der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden sehr sympathisch, meine aber, daß dieser Vorschlag gerade nicht eine Niveauabsenkung, sondern eine Niveauanhebung und entsprechend eine Vorauslese der Studierenden voraussetzt und frage entsprechend die Reformfraktion bzw. Herrn Kollegen Steinmüller, wie er diesen Widerspruch abzuarbeiten gedenkt.

Das "Spannungsverhältnis zwischen Demokratie einerseits und Effizienzkriterien andererseits" muß diskutiert werden, fordert Diether Gebert
2. GREMIENARBEIT - Selbst in Hessen wird inzwischen über das Grundlagenproblem der Ausbalancierung zwischen einer Demokratisierung von Entscheidungsprozessen einerseits und der erforderlichen Effizienzgarantie von Entscheidungsprozeduren andererseits laut nachgedacht. In dem Papier der Reformfraktion findet sich zu dieser Balancierungsanforderung kein einziger Satz. Im Gegenteil: Es wird darauf verwiesen, daß gerade durch die Reformfraktion die Beteiligungsmöglichkeiten für Studierende in verschiedenen universitären Gremien erweitert worden sind (S. 11) und die Mitwirkungsrechte von Studierenden im Kontext von Habilitationsverfahren noch ausgebaut werden sollen (S. 15). Angesichts der beängstigenden und das Vertrauen in die politischen Gremien unterminierenden Selbstblockade der politischen Fraktionen sowohl im Politischen Senat Berlins als auch im Akademischen Senat der TU ist nichts destruktiver für die Stabilisierung des demokratischen Grundverständnisses als ausgerechnet in ökonomischen Krisenzeiten auf die Diskussion des Spannungsverhältnisses zwischen Demokratie einerseits und Effizienzkriterien andererseits zu verzichten und Demokratieprinzipien zu verabsolutieren statt zu relativieren (Demokratie stellt für mich keinen Selbstzweck, sondern ein Verfahren zum vernünftigen Umgang mit Pluralität dar, das situativ relativiert werden muß). Meine Frage an Sie, verehrter Herr Kollege Steinmüller, lautet entsprechend: Ihr am 13. 11. 96 in der Sitzung des Akademischen Senats auf meine Frage hin bekundetes Liebäugeln mit der sogenannten Viertelparität (und als ein solches Liebäugeln ist Ihre Bemerkung auch vom Tagesspiegel am nächsten Tag wiedergegeben worden) läßt sich in der gegenwärtigen Problemlandschaft wie legitimieren, und wie wollen Sie speziell die chirurgischen Eingriffe, die an der TU Berlin vorgenommen werden müssen, auf viertelparitätischem Wege bewerkstelligen?

3. LEHRE - Folgende Flaggen werden gehißt: Unter dem Segel der sozialen Kompetenz soll auch die traditionelle Vorlesung "methodisch und didaktisch" verändert werden (S. 12). Habe ich als Lehrender also in Zukunft mit bestimmten Vorschriften im Hinblick auf die Frage zu rechnen, wie ich meine Vorlesungen zu gestalten habe? Darüber hinaus soll der sogenannte Frontal-Unterricht zu Gunsten von "Planspielen, Projekten, Exkursionen und Absolventinnenkolloquien" reduziert werden (S. 12); dieser Vorschlag ist, selbst wenn man ihn begrüßen würde, in einer Massenuniversität und angesichts zusammenbrechender WM-Kapazitäten in der TU aber schlicht Traumtänzerei. Neben einer für notwendig erachteten "Kontingentierung von Lehrveranstaltungsformen" (S. 16) wird schließlich noch die Drittelung des Studiums in Pflichtteil, Wahlpflichtteil und Wahlbereich empfohlen, wobei der Wahlbereich "mindestens das gesamte Fächerangebot der TU Berlin" umfaßt - und zwar im Grund- und Hauptstudium (S. 13). Auch in diesem Punkt ist die Reformfraktion nicht zimperlich, sondern macht die Realisierung dieses so definierten Wahldrittels zu einem "Kriterium für die Einrichtung, Bestätigung oder Einstellung von Studiengängen" (S. 13). Wer sagt eigentlich, daß es für die sinnvolle Flexibilisierung des TU-Absolventen auf die Oberflächenstrategie der quantitativen Akkumulierung weiterer Stoffeinheiten und nicht vielmehr auf eine spezifische Qualität des Durchdenkens grundlegender Inhalte aus dem (auszubauenden) Pflichtanteil ankommt? Vor allem aber irritiert mich der in der Sprache des Papiers der Reformfraktion durchscheinende Würgegriff: Wo, Herr Kollege Steinmüller, bleibt angesichts dieser zentralistischen Reglementierungswut (S. 12, S. 13, S. 16) das liberale Moment, und wo konstituiert sich für Sie eigentlich noch die Freiheit der Lehre?

4. FORSCHUNG - Obwohl in der klassischen Debatte "Hierarchie versus Markt" die Hierarchie als Steuerungsinstrument von Großinstitutionen weitgehend abgewirtschaftet hat, plädiert die sich Reformfraktion nennende Gruppierung für eben ihren Ausbau. FNK, EPK und der Akademische Senat haben sich an einem Satz von Kriterien zu orientieren (S. 19), die in Zukunft bei der Einrichtung von Forschungsschwerpunkten (von mindestens drei Hochschullehrern initiierbar) abzuprüfen sind. "Hohe wissenschaftliche Kompetenz wird als selbstverständlich vorausgesetzt und daher nicht explizit als Kriterium genannt" (S. 19). Die Reformfraktion geht auch hier schnell über das wichtige Problem hinweg, was in der heutigen Zeit als "wissenschaftlich" bezeichnet werden kann und listet statt dessen lieber einige ideologiebefrachtete anwendungs- und ablauforganisatorische Bewertungskriterien auf, die insgesamt in 26 Nebenkriterien untergliedert werden. Danach haben die Antragsteller offenbar schlechte Karten, wenn sie etwa unter dem Bewertungskriterium "Problemlösungspotential" nicht angemessen belegen können, ob und inwieweit ihre geplanten Forschungen zum "Arbeitsplatzerhalt", zur "Verbesserung der Arbeitssituation und der Lebensqualität" bzw. zur "Vermeidung von Technik" (an einer TU ein hochpikantes Bewertungskriterium) beitragen (S. 19/20). Daß hiermit der Absonderung von Lippenbekenntnissen Tür und Tor geöffnet wird und für die Durchführung primär theoriebezogener Forschung eher erschwert wird, ist für mich offenkundig. Unter dem Bewertungskriterium der "Integration und Kooperation" wird in listiger Weise das Unterkriterium formuliert: "Ist sichergestellt, daß keine der Disziplinen auf reine Zulieferfunktion reduziert wird?" (S. 20). Soll dies eine organisationstechnische Bestandsgarantie für die (umstrittene) Lehrerausbildung an der TU sein? Warum soll es nicht auch reine Zulieferer geben? Verehrter Herr Steinmüller, hier sind gesellschaftspolitische Eiferer am Werk, die wissen, was richtig und was falsch ist - und dies war schon immer der Untergang einer Universität.

Nachgeradezu peinlich wird es, wenn denn am Schluß dieser Horrorvision einer zentralistisch durchreglementierten Universität auf S. 45 die Vision einer "offenen Universität" skizziert wird, ohne daß die Schreiber merken, daß sie gerade dabei sind, die offene Universität eben durch ihr Programm substantiell zu gefährden. Wie planen Sie, Herr Kollege Steinmüller, gerade diesem zuletzt genannten Widerspruch innerhalb der Reformfraktion zu begegnen?

Diether Gebert


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