Neuer Ingenieurtypus - alte Uni?

Anforderungen an die Ausbildung von Ingenieurwissenschaftlern ändern sich

Fachidioten sind out. Ingenieure und Ingenieurinnen müssen heute mehr als nur fachliche Inhalte beherrschen. Da ist man sich an den Hochschulen weitgehend einig. Aber welche Fähigkeiten sind es, die die Wirtschaft verstärkt sucht? Einige Hinweise darauf gibt eine Befragung die die Zentraleinrichtung Kooperation (ZEK) der TU Berlin unter Personalverantwortlichen in Betrieben durchführte. ZEK-Leiter Dr. Wolfgang Neef berichtet über die Ergebnisse der Untersuchung und betont, daß die neuen Anforderungen auch zu inhaltlichen Veränderungen an den Ausbildungsstätten der Ingenieure und Ingenieurinnen führen müssen.

Die TU-Zentraleinrichtung Kooperation hat Personalverantwortliche zu ihren Erfahrungen mit Absolventen technischer Studiengänge befragt

Nicht nur die Finanzsituation der TU Berlin hat sich fundamental geändert - auch die Anforderungen an Forschung und besonders Lehre, die von Betrieben und gesellschaftlichen Gruppen artikuliert werden, sind in einem radikalen Wandel begriffen. Und schließlich: Aufgrund der miserablen Arbeitsmarktlage im Ingenieurbereich sind die Studienanfängerzahlen in den meisten technischen Fächern um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Eine leichte Besserung ist allerdings in Sicht.

Grund genug sicherlich, sich Gedanken über die Frage zu machen, ob Profil und Angebot der TU Berlin "zukunftsfähig" sind. Die Strukturdebatte der letzten Jahre hat zwar innerhalb der TU Berlin nach vielen Auseinandersetzungen zu einem konkreten Ergebnis geführt (wie jeder weiß: 15 statt 22 Fachbereiche; Verstärkung der interdisziplinären Struktur der Fachbereiche) - aber bislang ist wenig danach gefragt worden, was die "Abnehmer" der TU-"Produkte" eigentlich wollen.

In der Zentraleinrichtung Kooperation sind wir ständig mit dem "Markt" konfrontiert, der Dienstleistungen der TU Berlin nachfragt. Darüber hinaus haben wir im Rahmen eines Drittmittelprojektes "Innovative Studienmodelle in den Ingenieurwissenschaften" Personalverantwortliche aus Betrieben zu ihren Erfahrungen mit Absolventen technischer Studiengänge befragt (das Manuskript gibt es bei der ZEK unter Tel. 314-21580). Ergebnisse: Hochschulabsolventen/innen brauchen ebenso wie Wissenschaftler/innen, die sich an gesellschaftlichen und regionalen Problemlösungen beteiligen wollen, erheblich mehr soziale Qualifikationen im Sinne von Vermittlungs- und Konfliktfähigkeit. Ganzheitliche bzw. überfachliche Inhalte und Methoden sollten mindestens die Hälfte des Arbeitsrahmens der Hochschule einnehmen - angesichts der nach wie vor fast vollständigen Dominanz des "Fachlichen" auch im Bewußtsein der meisten TU-Angehörigen ein hochgestecktes Ziel.

Zunehmend wichtig werden neben den klassischen sozialen Fragestellungen ökologische Kriterien: Auch wenn angesichts der aktuellen ökonomischen Krise Ökologie noch oft als "Luxus" erscheint, führen zukunftsbezogene Innovationsstrategien für den "Standort Deutschland" immer wieder in Richtung "nachhaltiger", d. h. extrem energie- und ressourcenschonender Produkte und Produktionsweisen und neuer Lebensstile. Die Ansprüche an die Wissenschaft und besonders an eine Technische Universität, die in sich Geistes-, Sozial-, Erziehungs-, Ingenieurs- und Naturwissenschaften vereinigt, sind gerade hier besonders hoch: Das typisch deutsche Defizit an technischen und sozialen Basisinnovationen verlangt Interdisziplinarität und weitaus schnellere Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis, und auch nach unserer Erfahrung ist hier der Lehr- und Forschungsbetrieb der TU Berlin viel zu träge, weil er noch viel zu sehr an scheinbar "bewährten" Inhalten und Methoden klebt.

Wie im einzelnen die neuen Anforderungen erfüllt werden können, ist natürlich von den "Abnehmern" der TU-Produkte nur in Ansätzen zu erfahren. Immer wieder wird betont, daß "Projektarbeit" das methodische Schlüsselwort ist, ergänzt um Planspiele, themenzentrierte Interaktion und andere Verfahren, die z. B. in der Weiterbildung in Wirtschaft und Gesellschaft längst gängig sind. Auch Elemente dualer Ausbildungs- und Arbeitsmethoden rücken mehr und mehr in den Vordergrund.

All dies ist nicht unbedingt ganz neu: Schon 1976 forderte z. B. der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) 20 Prozent "überfachliche" Qualifikationen für die Ingenieure, und auch das Projektstudium ist an der TU Berlin in einigen wenigen Fachbereichen seit 25 Jahren Praxis. Neu ist allerdings, daß diese Anforderungen aus dem Bereich der Sonntagsreden heraus sind und ganz konkret ein "Neuer Ingenieurtypus" bzw. "Paradigmenwechsel" in der Technik eingefordert wird. Und hierfür sind inhaltliche Veränderungen notwendig, organisatorische Veränderungen wie bisher reichen nicht aus. Diese inhaltlichen Reformen stagnieren seit einiger Zeit. Entsprechende Versuche von TU-Fachbereichen bzw. Studienbüros, z. B. mehr Eigenverantwortlichkeit der Studierenden in entsprechenden Studienordnungen durchzusetzen, scheitern auch noch am Widerstand aus dem Hause des Senators für Wissenschaft und Forschung.

Es gibt also Handlungsbedarf - trotz oder gerade wegen der nicht enden wollenden Finanzkrise. Wenn heute Großunternehmen ihre klassischen hierarchischen Strukturen in dezentrale, auf Eigenverantwortung und Mitbestimmung der Beschäftigten basierende "schlanke" Organisationen umwandeln, könnte auch die TU Berlin das innovative Potential der Beschäftigten und Studierenden mobilisieren, wobei die vorhandenen Mitbestimmungsgremien trotz aller Schwierigkeiten eine gute Voraussetzung sind. Dabei ist die ständig zu hörende Klage über hochschulpolitische "Polarisierung" und Konflikte insofern unsinnig, als in einer Großorganisation Innovationen noch nie im Konsens durchgesetzt wurden, ebensowenig wie durch eine "ordre de mufti".

Wolfgang Neef


In zwei für Anfang 1997 geplanten Veranstaltungen will die Zentraleinrichtung Kooperation, die Diskussion zu Zukunftsanforderungen in der TU Berlin forcieren: Am Donnerstag, den 9. Januar 1997 findet ein öffentliches Round-Table-Gespräch zum Thema "Zukunftsanforderungen aus Betrieben und Gesellschaft an die Technische Universität" statt. Das Eingangsreferat wird Prof. Dr. Minx halten, Leiter der Daimler-Benz-Forschung Gesellschaft und Technik. Und am 27./28. Februar wird das Institut für Umweltbildung gemeinsam mit der ZEK einen Workshop zum Thema: "Ökologisierungstendenzen im Ingenieurberuf - eine Herausforderung an die Hochschulbildung" veranstalten. Sicherlich wird auch der TU-Hochschultag, der am 21. Januar 1997 stattfinden wird, zur Klärung von Zukunftsanforderungen an die Hochschulen einiges beitragen.


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