"Gleichberechtigte Wissenschaftsbereiche"

TU intern fragte auch die Reformfraktion "Warum soll Ihr Kandidat der nächste Präsident der TU Berlin sein?" Die Reformfraktion antwortete mit dem folgenden Text. Er ist von 26 Professoren und einer Professorin unterzeichnet, die hauptsächlich aus dem Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften stammen.

Europäische Universitäten sind seit alters ein Bund gleichberechtigter Fakultäten, was auch darin zum Ausdruck kam, daß das Amt des Rektors zwischen den Fakultäten wechselte. In diesem Sinne verstehen wir unsere Universität als einen Verbund gleichberechtigter Wissenschaftsbereiche, und wir treten dafür ein, daß das auch so bleibt. Wir halten als Orientierung an der im Akademischen Senat von den großen Fraktionen gemeinsam getragenen Fächergruppenrelation des 3. Hochschulentwicklungsplans der TU (HEP III) (47,5 % Ingenieurwissenschaften, 27,5 % Sozial- und Planungswissenschaften (einschließlich der Wirtschaftswissenschaften), 10 % Naturwissenschaften, 7,5 % Lehrerstudiengänge, 7,5 % Geisteswissenschaften (Magisterstudiengänge)) weiterhin fest, was bei knapper werdenden Mitteln natürlich dazu führen kann, daß ein breites Angebot von Studiengängen in den einzelnen Fächergruppen nur in Abstimmung mit den anderen Berliner Hochschulen aufrecht erhalten werden kann.

Selbstverständlich müssen die im Land Berlin allein an der TU vertretenen Ingenieurwissenschaften den Schwerpunkt der TU darstellen. Sie sind deshalb auch im Fächergruppenspektrum von HEP III mit fast der Hälfte der Studienplätze vertreten. Aber so wie die Ingenieurwissenschaften in Forschung und Lehre seit vielen Jahrzehnten den Verbund mit Mathematik, Physik und Chemie benötigt haben, so benötigen sie heute im weitaus größeren Maße den Verbund mit Planungs-, Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften. Dies ist auch dadurch begründet, daß den Absolventen vor allem auch der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengängen soziale Kompetenz, Sprachkenntnisse, Wirtschafts- und Managementkenntnisse sowie die Befähigung vermittelt werden müssen, ihre Qualifikation historisch und kulturell in ein erweitertes Europa einzubringen. Umgekehrt gilt dieses genauso.

Seit es Lehrstühle für Mathematik, Physik und Chemie an der Technischen Hochschule Berlin (Charlottenburg) gab, haben deren Inhaber nicht nur Veranstaltungen für Ingenieure angeboten, sonderen auch eigene Hauptfachstudierende ausgebildet; international bekannte Wissenschaftler wie den Mathematiker Julius Weingarten, wie die Physik-Nobelpreisträger Gustav Hertz und Eugen Wigner und die Chemiker Max Volmer und Iwan N. Stranski hätten sich sonst kaum an die TH berufen lassen. Das muß auch für die neuen Partnerwissenschaften der Ingenieure gelten. Wir widersprechen deshalb dem Modell einer TU mit einem harten Kern von Ingenieurwissenschaften mit Vollstudiengängen, einem weichen Fleischmantel von Natur- und Wirtschafts- und vielleicht einzelnen Sozialwissenschaften, die wenigstens Teilstudiengänge anbieten können, und einer dünnen Haut von geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die einzig Serviceveranstaltungen ohne eigene Studierende bereitstellen sollen und deshalb ihre Forschung ohne die Wechselwirkung mit Fachstudenten im Hauptstudium betreiben müssen. Wen kann man schon dafür gewinnen?

Das Amt des Präsidenten unterscheidet sich heute in manchem vom Amt des Rektors. Wir sind uns mit den anderen Fraktionen offenkundig darin einig, daß der Präsident grundsätzlich aus jedem Wissenschaftsbereich kommen kann. In diesem Amt sind vorwiegend nicht fachwissenschaftliche Kenntnisse, sondern konzeptionelle, integrative und wissenschaftsadministrative Kompetenzen gefordert. Der erste gewählte Präsident der TU war Ingenieur, der zweite ein externer Verwaltungsfachmann, der dritte Naturwissenschaftler, der vierte Ingenieur, der fünfte ist Naturwissenschaftler, nun kandidieren der Wirtschaftswissenschaftler Ewers und der Linguist Steinmüller.

Herr Steinmüller hat in seiner Zeit als Vizepräsident bewiesen, daß er über die nötigen Kompetenzen verfügt und für das hier skizzierte Verständnis unserer Universität eintritt. Darum setzen wir uns für die Wahl von Herrn Steinmüller ein.

Prof. Günter Bärwald (Fachbereich 15), Prof. Heinz Brauer (FB 6), Prof. Bleicke Eggers (FB 13), Prof. Joachim Erber (FB 7), Prof. Hans-Hermann Fernholz (FB 10), Prof. Heinrich Fiedler (FB 10), Prof. Karl-Heinz Förster (FB 3), Prof. Renate Fuchs (FB 7), Prof. Robert Gasch (FB 10), Prof. Hans-Eckhardt Gumlich (FB 4), Prof. Peter Heide (FB 4), Prof. Achim Hese (FB 4), Prof. Erhard Konrad (FB 13), Prof. Klaus Knothe (FB 10), Prof. Eckhard Kutter (FB 10), Prof. Hubert Leygraf (FB 6), Prof. Robin Moritz (FB 7), Prof. Peter-Jürgen Murasch (FB 6), Prof. Rudolf Rass (FB 4), Prof. Heinz Schade (FB 10), Prof. Erwin Sedlmayr (FB 4), Prof. Dirk Siefkes (FB 13), Prof. Udo Simon (FB 3), Prof. Klaus Stolzenberg (FB 12), Prof. Johannes Wiedemann (FB 10), Prof. Udo Wiesmann (FB 6), Prof. Dieter Ziessow (FB 5)


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