Interdisziplinäre Forschung1. Herbstschule des Zentrums Mensch-Maschine-Systeme Anfang Oktober veranstaltete das Zentrum Mensch-Maschine-Systeme (ZMMS) der TU Berlin im mecklenburgischen Bad Stuer seine erste Herbstschule. 23 Professoren, wissenschaftliche und studentische Mitarbeiter nahmen daran teil und tauschten sich zwei Tage lang aus - über die Unterschiede ihrer jeweiligen Fachgebiete hinaus diskutierten sie die Gemeinsamkeiten ihrer Forschungen in puncto Mensch-Maschine-Zusammenspiel. Einzelheiten der Veranstaltung beschreibt Robert Baggen, Mitglied im wissenschaftlichen Leitungsgremium des ZMMS: Die Mitglieder des 1994 an der TU Berlin gegründeten Zentrums Mensch-Maschine-Systeme kommen aus zahlreichen Fachgebieten. Vertreten sind Flug- und Fahrzeugtechnik, Verfahrenstechnik und Maschinenbau, aber auch Arbeitswissenschaft, berufliche Bildung und Psychologie. Entsprechend gemischt waren die Vorträge, die anläßlich der ersten ZMMS-Herbstschule gehalten wurden: Sie kamen unter anderem aus der Kerntechnik, dem Fahrzeugbau und der Luftfahrt. Dabei zeigte sich beispielsweise, daß Erkenntnisse aus der Analyse von Zwischenfällen in der Kernindustrie auch auf andere Bereiche - etwa die Luftfahrt oder die Prozeß- und Anlagentechnik - zu übertragen sind. Hier setzt sich die Erkenntnis durch, daß in großtechnischen Anlagen nicht nur das Verhalten von Operateuren kritisch für die Sicherheit ist, sondern die Sicherheitskultur in der Organisation zentrale Beiträge hierzu leistet. Analysen der Tschernobyl-Katastrophe zeigen etwa, daß die Bediener des Reaktors vom Management angewiesen wurden, Sicherheitseinrichtungen gezielt außer Kraft zu setzen, und aufgrund mangelnder Ausbildung die kritische Lage nicht erkennen konnten. KRAFTFAHRZEUGE UND FLUGSICHERUNG Wissenschaftler aus dem Bereich Fahrzeugtechnik waren mit der Frage nach Bad Stuer gekommen, inwiefern Mensch-Modelle sinnvoll in die Entwicklung von Automobilen einbezogen werden können. Fahrzeugtechniker stehen nämlich vor dem Problem, daß sie das Verhalten des Autofahrers mit mathematischen Methoden zwar simulieren können, aber nicht in der Lage sind, in dessen Kopf zu schauen, um die psychischen Vorgänge beim Autofahren besser zu verstehen. Erfahrungen aus einem Projekt aus der Flugsicherung, so zeigte sich in den Tagungsgesprächen, könnten hier weiterhelfen. Denn in der Flugsicherungsforschung werden Ergebnisse aus psychologischen Untersuchungen bereits in ein Modell der Informationsverarbeitung von Fluglotsen einbezogen. In einem Beitrag aus der Luftfahrt ging es um die Kommunikation zwischen Piloten und Fluglotsen. Hier wurde der Frage nachgegangen, ob es sinnvoll ist, in der Flugsicherung die mündliche Informationsübermittlung mittels Sprechfunk durch digitale Displays zu ersetzen. Ein entscheidender Punkt ist, daß Sprechfunk zwar anfällig für Mißverständnisse sein kann (vgl. TU intern November 1996, S. 10, "What runway did he say ...?"), den am Luftverkehr Beteiligten aber wertvolle nonverbale Informationen liefert, die digitale Displays nicht bereitstellen können. So läßt sich z. B. am Klang der Stimme eines Kommunikationspartners erkennen, ob die Gegenseite gerade stark belastet ist. VERLÄSSLICHKEIT VON SYSTEM Ein Teilnehmer aus der Arbeitswissenschaft berichtete von seiner Arbeit, eine Methode zur vorausschauenden Abschätzung der Verläßlichkeit von Systemen zu entwickeln, und zwar für ein beliebiges Mensch-Maschine-System. Ein solche Methode würde es schon in der Entwicklungsphase von Systemen erlauben, Erkenntnisse aus der Mensch-Maschine-Forschung einzubeziehen und nicht - wie heutzutage üblich - nachträglich "menschliches Versagen" zu konstatieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Fazit der Herbstschule, die übrigens durch eine Spende der Deutschen Flugsicherung GmbH unterstützt wurde: Die im ZMMS bearbeiteten Themen erscheinen auf den ersten Blick unterschiedlich, ergänzen sich aber in vielfältiger Weise gegenseitig. Für die nähere Zukunft sind weitere Veranstaltungen dieser Art geplant. Robert Baggen / rs Eine Kurzdarstellung der Vorträge und Diskussionen kann im Zentrum Mensch-Maschine-Systeme angefordert werden: TU Berlin, ZMMS, Gustav-Meyer-Allee 25, 13355 Berlin, Tel. 314-72593. © 12/'96 TU-Pressestelle [ ] |