"Hypertrophe Verwaltung"

Ex-Wissenschaftssenator Manfred Erhardt über die TU Berlin


Seit dem 25. Januar hat Berlin einen
neuen Wissenschaftssenator, einen,
der nun zugleich auch die Geschicke der
Kultur in die Hand nehmen muß, Peter
Radunski. Sein Vorgänger im Amt, Prof.
Manfred Erhardt, verläßt Berlin und
wird Generalsekretär des Stifterverban-
des für die Deutsche Wissenschaft in Essen.

Bisheriger Senator für Wissenchaft und Forschung in Berlin: Manfred Erhardt

In der Dezemberausgabe von TU intern
fragten wir TU-Angehörige nach dem
Eindruck, den Manfred Erhardt bei ih-
nen hinterlassen hat. Umgekehrt wollte
TU intern den ehemaligen Wissen-
schaftssenator nicht gehen lassen, ohne
daß er seine Meinung über die Techni-
sche Universität Berlin geäußert hat.

Herr Erhardt, welches Image hat für Sie die TU Berlin im Vergleich zu den beiden anderen Berliner Universitäten?

Die TU zeichnet sich innerhalb und außerhalb Berlins durch ihr ingenieur- und naturwissenschaftliches Profil aus. Sie verfügt aber auch über gute und einige sehr gute geistes- und sozialwissenschaftliche Bereiche.

Wie schätzen Sie die Leistungsfähigkeit der TU Berlin ein: Wo liegen ihre Stärken, wo ihre Schwächen? Und wie sollte das Profil der TU Berlin in Zukunft aussehen, um im Wettbewerb mit den anderen Universitäten mitzuhalten?

Daß die von den Briten nach 1945 eingeführte geisteswissenschaftliche Komponente im Rahmen der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengänge später wieder verlorenging, ist bedauerlich. Gerade die inhaltliche Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaften hatte sich zum bundesweit beachteten Markenzeichen der TU entwickelt. Diese Verknüpfung sollte (auf jeden Fall in der Forschung) zurückgewonnen werden.

Noch nicht ganz verdaut hat die TU die ihr aufgezwungene PH-Integration. Die hypertrophe Verwaltung - mit ihren komplizierten und langen Verfahrensabläufen - und die noch immer starke Politisierung der TU-Gremien sind Folgen des angestaubten Berliner Hochschulgesetzes. Viertelparitätische Gremien haben viel, die gewählten Repräsentanten - Präsident, Dekane - wenig Kompetenz.

Vielleicht würden Grabenkämpfe abnehmen, wenn die Dekane stimmberechtigte Amtsmitglieder im Akademischen Senat wären und die Studierenden mehr Stimmgewicht als die sonstigen Mitarbeiter in den Fachbereichsräten bekämen. Nach meinem Eindruck wird in den Hochschulgremien zu wenig um wissenschaftliche Exzellenz und zuviel um die Wahrung von Besitzständen gerungen. Gleichwohl gilt die TU überregional und international als eine der leistungsstarken Technischen Universitäten. Sie steht damit im Wettbewerb zu Aachen, Darmstadt, München, Karlsruhe, Stuttgart und zur ETH Zürich, um nur einige besonders effiziente Hochschulen zu nennen.

Welche Rolle würden Sie der TU Berlin für die Zukunft Berlins gerne zuschreiben?

Im Blick auf die Berliner Situation muß die TU in arbeitsteiliger Kooperation mit den beiden anderen Universitäten ihr spezifisches Profil schärfen und dazu beitragen, daß die Attraktivität Berlins als Wissenschaftsmetropole, aber auch für die Industrieansiedlung erhöht wird.

Gefragt nach dem angenehmsten und dem unangenehmsten Erlebnis an der TU Berlin. Was fällt Ihnen da ein?

Eine angenehme Überraschung war für mich, daß sich der Akademische Senat trotz vorangegangener heftiger Proteste sowohl gegen den Hochschulstrukturplan 1993 als auch gegen die Umsetzung der pauschalen Minderausgabe 1995 den durch die Finanznot des Landes Berlin begründeten Sparzwängen am Ende doch nicht verschlossen hat.

Ein unangenehmes Erlebnis war die Reaktion vieler Mitglieder des Akademischen Senats auf den sog. Schumann-Plan. Daß man sich in einer Universität weigert zu diskutieren und zu argumentieren und statt dessen den eigenen Präsidenten vor die Alternative stellen wollte, entweder seinen Entwurf zurückzuziehen oder vom Amt zurückzutreten, war für mich unfaßbar.


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [Februar '96]