Die TU Berlin auf dem Weg zur PH Charlottenburg?

Forderung nach einem neuen Hochschulentwicklungsplan für die Technische Universität Berlin - Von Kurt Kutzler



Aufgrund der dramatischen Haushaltslage des Landes Berlin wird die Koalition in wenigen Wochen ihre Vereinbarungen über die Berliner Hochschulen in einem Haushaltsstrukturgesetz in das Abgeordnetenhaus einbringen. In der Debatte, die der Akademische Senat (AS) dazu am 31. Januar 1996 führte, verschlossen sich unsere Diskussionsgegner vor den Zwängen der Wirklichkeit und warfen uns Illoyalität gegenüber dem Gesamtwohl der Technischen Universität vor, weil wir dafür plädierten, realitätsbezogen und strukturverträglich über die bevorstehenden Sparmaßnahmen zu diskutieren. Das wahre Verständnis der linken Mehrheitsfraktion des AS von Loyalität und Fürsorge für die Technische Universität zeigte sich bei der anschließenden Diskussion über die Studien- und Prüfungsordnung des Studienganges "Technische Informatik". Vor den zahlreich erschienenen Studierenden erklärte ein Sprecher, daß seine Fraktion die Einstellung des größten neuen, ingenieurwissenschaftlichen Studienganges an der TU Berlin (jedes Jahr mehr als 70 Neuimmatrikulierte) beantragen werde. So versteht die Linke Fraktion strukturelle Maßnahmen an der TU Berlin. Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen im Akademischen Senat die Zukunft verhandelt wird. - Die TU Berlin auf dem Wege zur Pädagogischen Hochschule (PH) Charlottenburg.

Mit HEP III kann die TU nicht mehr leben: In der Region Berlin-Potsdam gibt es drei Universitäten, aber nur eine Technische Universität. Das Attribut "Technisch" steht für die Bemühungen der TU Berlin, Arbeitsplätze in der Region zu sichern und die Produktivität zu erhöhen. In diesem Sinne unterbreitete Senator Erhardt (CDU) im vergangenen Frühjahr dem Abgeordnetenhaus seinen Vorschlag zur Auflösung der Pauschalen Minderausgabe. In diesem Sinne stellte Staatssekretär Kremendahl am 22. 9. 1995 auf einer Fachtagung des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Adlershof in seinem Grundsatzreferat zur Technologiepolitik der SPD fest, daß die Technische Universität bei notwendigen Sparmaßnahmen ihre Kapazitäten im erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Bereich reduzieren muß. In ihrem Koaltionspapier vom Januar 1996 bekundeten die Koalitionspartner dieselbe Grundeinstellung.

Die Größenordnungen der Sparauflagen für die Universitäten sind immens, die Konsequenzen schlimm. Dennoch darf die TU Berlin ihr Profil nicht verlieren. Deshalb überzeugen uns die pauschalen Gründe nicht, die gegen die Einstellung der 1982 in die TU Berlin eingegliederten PH-Bereiche vorgetragen werden; ihnen gelang es in den vergangenen 14 Jahren nicht, sich wissenschaftlich in die TU Berlin zu integrieren. Auch nach Einstellung dieser Bereiche kann die TU Berlin eine Universität bleiben, die sie 36 Jahre lang von 1946 bis 1982 mit einer hochangesehenen humanistischen Fakultät und einem nicht minder geschätzten geisteswissenschaftlichen Fachbereich war. Im übrigen ist mit großem Bedauern festzustellen, daß eine differenzierte Betrachtung der Lehrerbildung politisch unmöglich ist. Nach dem Vorschlag von Senator Erhardt im vergangenen Jahr könnte die TU Berlin auch weiterhin Studienräte für das Lehramt an Gymnasien ausbilden, wenn das Prinzip der integrierten Lehrerbildung auf das Land Berlin insgesamt, aber nicht für jede Universität gesondert verfochten würde.

Wie die TU Berlin ihre Aufgaben im Sinne der Gesellschaft, die sie finanziert, künftig unter erschwerten Randbedingungen erfüllen wird, muß in einem Strukturplan der Universität niedergelegt werden. Die TU Berlin legt damit die Rahmendaten für die Entwicklung der Fachbereiche fest, sie gibt Rechenschaft über ihren künftigen Kurs. Sie wirbt gegenüber Öffentlichkeit und Politik für ihre Angebote und Leistungen und sie schafft damit Argumente für den Anspruch auf Planungssicherheit. Da HEP III längst schon im krassen Widerspruch zur Wirklichkeit an der TU Berlin steht, muß sich der Weg zur Realisierung dieses Strukturplans im IV. Hochschulentwicklungsplan (HEP IV) abzeichnen, der so schnell wie möglich HEP III ablösen muß.

Der Verteilungsschlüssel des HEP III, die studiengangsbezogene Grundausstattung, die 90 % der gesamten Ausstattung beträgt, werden dem Arbeitsauftrag der TU Berlin nicht gerecht. Hinzu kommt, daß die Personalausstattung in Wirklichkeit wegen der knappen Personalmittel auf der Grundlage der aktuellen jährlichen Studienanfängerzahlen erfolgen muß. Dem konjunkturbedingten Nachfragerückgang nach Studienplätzen in den Ingenieur- und Naturwissenschaften stehen dabei eine gleichbleibend hohe Nachfrage in den Geisteswissenschaften, eine Verdoppelung bis Verdreifachung in der Lehrerbildung und den Erziehungswissenschaften und die unverändert hohe Kapazitätsbindung in den NC-Fächern wie Architektur etc. gegenüber. Dementsprechend werden die Präferenzen bei der Wiederzuweisung vakanter Stellen gesetzt; dementsprechend ändert sich das TU-Profil. Deshalb kündigen wir den HEP III und die ihm zugrundeliegenden Ausstattungsprinzipien auf, um die Technische Universität zu erhalten.

Ziele eines neuen Strukturplanes und eines HEP IV: Ausstattungsparameter der deutschen Universitäten sind die Anzahl der ihnen zugewiesenen planerischen Studienplätze und die Curricularnormwerte der entsprechenden Studiengänge. Forschungskapazitäten werden mittelbar als das Komplement von Lehr- und Verwaltungskapazitäten definiert und demzufolge nicht gesondert zugewiesen. Dieser Ausstattungsmodus ist nur im Rahmen von pauschalen Betrachtungen für die Gesamtheit der deutschen Universitäten hinnehmbar, die überwiegend geistes- und sozialwissenschaftlich geprägt sind. Dieser Verteilungsmodus wird bei Technischen Universitäten unsinnig, die mit ihrer anwendungsnahen Forschung in gleichem Maße wie mit ihren jungen Absolventen für die Innovationskraft der Wirtschaft und damit für die Produktivität des Landes von höchster Bedeutung sind. Deshalb hat Forschung auf den Gebieten der modernen Ingenieurwissenschaften sowie der für sie grundlegenden Naturwissenschaften und der ihnen zuarbeitenden Wirtschaftswissenschaften einen wesentlich höheren Stellenwert als z. B. neue Erkenntnisse über die Darstellung des mathematischen Pendels ohne Zuhilfenahme der Infinitesimalrechnung. Realität des HEP III ist, daß die jährliche Einwerbung von etwa 120 Millionen DM, mit denen mehr als 1200 jungen Wissenschaftlern Arbeit und Weiterqualifikationsmöglichkeiten an der TU Berlin geboten werden, nicht einmal mit 5 % der Gesamtausstattung als Grundausstattung honoriert wird! Für HEP IV und folgende Hochschulentwicklungspläne müssen die personalintensiven Forschungsleistungen bei der Bemessung der Personalausstattung dasselbe Gewicht erhalten wie die Nachfrage des Lehrangebotes durch die Studierenden.

Um böswilligen Unterstellungen entgegenzutreten: Hohe Qualität der Lehre, gute Ausbildung und breite Bildung unserer Studierenden sind und bleiben unser Anliegen. Aber dies ist nur eine Seite der Medaille!

Der eindeutig konjunkturell bedingte Rückgang der Neuimmatrikulationen, der sich mittelfristig korrigieren wird, darf nicht zur permanenten Umverteilung der Ausstattung führen und das Vehikel zu einer Transformation der TU Berlin in eine PH Charlottenburg sein.

Die Unabhängigen Hochschullehrer im Akademischen Senat fordern:

Plädoyer für Profil - Plädoyer für einen Strukturplan: Entwicklungspläne erfordern strategische Visionen, die leider bisher bei der Mehrheit im Akademischen Senat nicht erkennbar sind. HEP IV wird - wie HEP III - ein profilloses Verteilungsschema werden, wenn man sich bei seiner Erarbeitung nicht auf die strategischen Vorgaben eines ständig fortzuschreibenden Strukturplanes beziehen kann. Die TU Berlin muß sich endlich dazu aufraffen, einen Strukturplan zu entwickeln, der den Fachbereichen die nötigen langfristigen Rahmendaten für ihre Zukunftsplanung gibt.

Vor einem Jahr hat sich der AS geweigert, den Strukturplan des Präsidenten zu behandeln. POKA [= Arbeitsgruppe Perspektiven, Koordination, Organisation. Anm. d. Red.] sollte für den AS einen eigenen Strukturplan entwerfen, das Scheitern war offensichtlich gewollt. Deswegen ist die Zeit reif, den Plan des Präsidenten als Diskussionsvorschlag wiederaufzugreifen Er hatte so manche Mängel - das liegt in der Natur der Dinge eines ersten Entwurfes. Aber er enthält so viele vernünftige Ansätze, daß auf ihm eine fruchtbare Arbeit aufbauen kann. Bei der Erstellung des Strukturplanes wird auch auf die jüngsten Vorstellungen der Koalitionsparteien modifizierend zu reagieren sein:

Die TU Berlin braucht auch weiterhin die Fächer Germanistik und Anglistik. In welchem Umfang diese beiden Fächer ihren Service für die Ingenieur- und Naturwissenschaften entwickeln sollen und wie ihre eigene wissenschaftliche Tätigkeit gesichert wird, darüber muß gesprochen werden.

Auch wenn der Lehramtstudiengang Biologie eingestellt wird, muß man über den Verbleib oder die Neueinrichtung einiger Biologie-Grundlagenfächer diskutieren; denn die TU Berlin wird sich künftig auch stärker den biologiebasierten Technologien zuwenden müssen.

Technologiepolitik besitzt hohe Priorität hinsichtlich der Fragen nach dem Wirtschaftsstandort Deutschland und der Sicherung von Arbeitsplätzen. Die TU Berlin muß deshalb bei ihrer Profilierung in Konkurrenz mit den anderen Universitäten in Berlin und Brandenburg auf Technologieforschung und Technologiebegleitforschung setzen. Die Leistungsfähigkeit der TU-Kernbereiche kann nur langfristig gesichert werden, wenn die TU Berlin sich bei den anstehenden nächsten Sparrunden dazu durchringt, in diese Bereiche zu investieren und dort zu kürzen, was auch an allen anderen Universitäten existiert - in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften.

Wir werden weiterhin in den akademischen Gremien diese Strukturpolitik verfolgen. Wir erwarten von den Mitgliedern der Liberalen Mitte im Akademischen Senat die Aufgabe ihrer Abstinenz in Strukturfragen und das Bekenntnis zu unserer TU Berlin. Die Unabhängigen Hochschullehrer bitten die Universitätsöffentlichkeit im eigenen, vitalen Interesse aufmerksam die Politik der Linken Fraktion mitzuverfolgen, um ihr Ziel einer PH Charlottenburg zu verhindern.

Prof. Dr. Kurt Kutzler, AS-Mitglied für die Liste "Unabhängige Hochschullehrer"


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [Februar '96]