Lauter alter Hüte!

Wolfgang Neef: Krise der Universität ist nicht neu - Bewältigung durch "politisierte" Gremien möglich


Zunächst einmal: Ich freue mich darüber, daß durch den Beitrag der sieben Professoren in der Januar-Nummer der TU intern die in den letzten drei Jahren doch recht verflachte Diskussion über den weiteren "Kurs" der TU Berlin wieder belebt wird - kann mir aber den Hinweis nicht verkneifen, daß gerade die beklagte "Politisierung" für eine solche Debatte gesorgt hat. Meines Wissens gibt es bundesweit keine Universität, die über ihr Selbstverständnis so offen und intensiv diskutiert wie die "politisierte" TU Berlin. Und noch eins vorweg: Wir erinnern uns mit Grausen, was das scheinbar "Unpolitische" der Technik im Dritten Reich angerichtet hat. Die gesellschaftlichen Auswirkungen miteinzubeziehen und damit als Wissenschafler verantwortlich zu handeln - gemäß dem Gründungsauftrag der TU Berlin vor genau 50 Jahren - ist immer "politisch". Also muß es auch in der Universität entsprechende Diskurse in den Entscheidungsgremien geben. Gibt es sie nicht, wird ebenfalls politisch gehandelt - nur sozusagen unter der Decke einer angeblich "wertfreien" Wissenschaft.

Ich stimme mit den Autoren überein, daß sich die Universität derzeit in einer Krise befindet. Neu ist das allerdings nicht: Die Krise hat sich schon Anfang der 80er Jahre angekündigt, ist seit Mitte der 80er manifest und inzwischen unübersehbar für alle auch ökonomisch akut. Aus diesem Grund (und natürlich dem oben erwähnten) habe ich in den letzten zehn Jahren kräftig daran mitgearbeitet, durch "Politisierung" sowohl in den Gremien als auch in den Inhalten die Bewältigung der Krise durch die TU Berlin möglich zu machen. Durch eine Reihe von Projekten, die nur politisch durchsetzbar waren, hat die TU Berlin in der zweiten Amtszeit von Präsident Manfred Fricke ein Profil erhalten, das sie - nutzt man dieses Potential - nun zur Krisenbewältigung einsetzen könnte:

Die TU Berlin, so hört man von anderen Technischen Hochschulen/Universitäten, sei für diese Leistungen zu beneiden (so gerade anläßlich der Präsentation der Studienbüros am 26. 1. 96). Klar, daß das nicht alles kostenlos gegangen ist - aber im Vergleich zu dem Geld, das immer noch durch mitgeschleppte Altprivilegien (z. B. Berufungszusagen in Gestalt wenig genutzter Räume oder Geräte) rausgeworfen wird, war das Ganze doch ziemlich preiswert.

OREWELL'SCHE VERKEHRUNG

Nun möchte ich - wenn auch nicht erschöpfend - doch zum einen oder anderen Detail der Argumentation der sieben Professoren kommen, die sicherlich für eine große Zahl ihrer Kollegen sprechen: Richtig komisch ist ihre Orwell'sche Verkehrung der "Leistungsorientierung": Die Abkehr von dieser bestehe darin, daß bei Berufungen Ausstattungen nicht mehr auf Dauer zugewiesen werden (also egal, was der/die Berufene dann in der TU Berlin selbst an Leistung bringt). Bisher hatte ich immer gedacht, incentives für Leistungen bestünden nicht unbedingt in Erbhöfen. Ein tolles Leistungsprinzip - wie ja generell die Figur des deutschen Professors sich dadurch auszeichnet, daß - einmal berufen - Leistung nicht mehr abgefordert bzw. nicht mehr sanktioniert wird, und schon gar nicht in der Lehre.

Die Habilitation schließlich ist ein völlig veraltetes Verfahren, das disziplinäre Einseitigkeit, individualistische Orientierung und Anpassung (an die jeweilige professorale Kollegenschaft) belohnt und die Lehre als Leistungskriterium marginalisiert. Muß man denn immer wieder darauf hinweisen, daß erst im letzten TU-Rechenschaftsbericht und auch nur aufgrund der Forderungen "politisierter" Gremien Rechenschaftslegung über die Lehre durch "Lehrberichte" begonnen hat?

Insofern und so sehr ich Einzelne aus der Unterzeichnergruppe schätze: Lauter alte Hüte, Professorenbeffchen sozusagen, die da ins Feld geführt werden. Und das angesichts von wirklich dramatischen Veränderungen der Randbedingungen für die TU Berlin!

Zuletzt zu einem ernstzunehmenden Argument: In der Tat besteht die Gefahr, daß "Politisierung" auch zur Stagnation führen kann, wenn sich "Lagerdenken" wieder durchsetzt oder eine Mentalität der "großen Koalition", die statt Problemorientierung nur noch den kleinsten gemeinsamen Nenner vor sich her trägt. Diese Gefahr ist bei "politisierten" Strukturen immer präsent. Allerdings: "Unpolitische" Additionen von Monadenhaufen, in denen sich nichts regt, weil jeder nur sein Gärtchen pflanzt und abschirmt, sind auch nicht gerade eine moderne Antwort auf Krisen. Wo sind Ihre Konzepte?

KONSERVATIVE BETONMEHRHEIT

Unser Konzept seit 1988 war die problemorientierte Zusammenarbeit der "Fraktionen" - man muß leider doch daran erinnern, daß vor dieser Zeit eine konservative Betonmehrheit im Akademischen Senat und professorale Fachbereichsmehrheiten nötige Veränderungen, z. B. projektorientierte Ansätze in der Lehre, ständig mit 13:12 oder 8:7 Abstimmungen be- bzw. verhindert haben.

Es mag ja sein, daß die eine oder andere Innovation der letzten Jahre umstritten war oder ist - bloß, bitteschön: Welche Neuerung ist das nicht? Für die besonders umstrittenen Studienbüros, auch in Ihrem Artikel negativ erwähnt, hat soeben das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung eine höchst positive Zwischenbilanz gezogen, bloß leider hat man keinen der unterzeichneten sieben Professoren auf der Präsentation sehen können.

Richtig ist, daß ziemlich exakt seit 1993 eher hochschulpolitische Stagnation zu beobachten ist. Der Problembezug schwindet, und unter Sparzwängen werden abenteuerliche Rückzugspositionen eingenommen: In einer Zeit, die nach fachübergreifender Lehre schreit, sollen geistes- und sozialwissenschaftliche Bereiche der TU Berlin abgewickelt werden! In einer Zeit, in der Frauenförderung auch deshalb immer wichtiger wird, weil das kommunikative, teamorientierte und ganzheitliche Potential von Frauen als wichtiger Faktor auch in den Unternehmen erkannt wird, will man genau die Bereiche loswerden, in denen Frauen an der TU Berlin am stärksten und inhaltlich am kompetentesten vertreten sind. Unter Sparzwängen feiert eine fachgebietsegoistische Rette-sich-wer-kann-Mentalität wieder fröhliche Urstände - ein Tiefpunkt des Diskurses, mit dem sich die TU Berlin leider an andere Universitäten angleicht, die die "Fehlentwicklungen", die Sie beklagen, nicht in dem Maße mitgemacht haben.

GENERATIONSWECHSEL NÖTIG

In der Tat brauchen wir einen Neuanfang, wenn's geht auch einen Generationswechsel unter den hochschulpolitisch Aktiven in den Gremien. In Bewegung kommt die TU Berlin allerdings nicht durch das Rausholen alter Hüte, sondern nur durch neue Ideen z. B. von einer "Offenen Universität", die aktiv einsteigt in die gesellschaftlich und global nötigen Innovations- und Problemlösungsprozesse, die rauskommt aus der versteinerten Fach- und Disziplinorientierung. Bei unseren Studierenden, beim Mittelbau und bei vielen Professoren gibt es eine große Bereitschaft, Forschung und Lehre daran zu messen, was in der Gesellschaft an sozialen, ökologischen und ökonomischen Problemen im Zusammenhang mit Technik ansteht - eine Erfahrung, die wir in der ZEK immer wieder machen.

Einige Stichworte nur, wie dies innovativ zu nutzen ist:

Hierfür Konzepte zu entwerfen, Diskurse zu organisieren, organisatorische Modelle zu entwickeln ist die Aufgabe - ob das dann neue Akteure sind oder "bewährte Repräsentanten" (einschließlich einiger Altvorderen der TU-Hochschulpolitik vielleicht) wird sich zeigen.

Dr.-Ing. Wolfgang Neef, Leiter der Zentraleinrichtung Kooperation (ZEK)


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