Partnervermittlung für Technik- und Sozialwissenschaftler

Das neue Zentrum Technik und Gesellschaft an der TU Berlin



Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen? Dies ist nur eine von vielen Fragestellungen, mit denen sich das Zentrum Technik und Gesellschaft und seine Projekte beschäftigen wird. Weitere Themen sind Mobilität, Informationstechnologien oder der Wirtschaftsstandort Berlin

Zwei verschiedene Kulturen - so wurden
Technik und Gesellschaft und die damit
beschäftigten Wissenschaftsdisziplinen
bisher oft gegeneinander abgegrenzt.
Daß diese Trennnung nicht sinnvoll ist,
wird immer deutlicher. Und so mehren
sich die Anstrengungen, diese Bereiche
mit ihren offensichtlich unterschiedlichen
Sprachen in gemeinsamen Projekten zu-
sammenzubringen. Dies ist auch das An-
liegen des Zentrums Technik und Gesell-
schaft (ZTG) an der TU Berlin, das im De-
zember letzen Jahres seine Arbeit auf-
nahm. Die ersten fünf Projekte des ZTG
sind bereits angelaufen.

Viele ungelöste politische Fragen der Gegenwart können heute nicht mehr auf rein technischem Weg gelöst werden. Beispiele nennt Dr. Hans-Liudger Dienel, der wissenschaftliche Koordinator des Zentrums Technik und Gesellschaft: "Das sind konkrete technische Aufgaben wie der Bau einer Mülldeponie oder die Konstruktion zukünftiger Elektroautos. Selbst die Entwicklung einer neuen Verpackung für Orangensaft kann erfolgreicher sein, wenn Experten aus technischen und gesellschaftlichen Disziplinen gemeinsam über die Problemstellung nachdenken," betont Dienel.

Neue Wege solch einer Zusammenarbeit will das Zentrum Technik und Gesellschaft jetzt an der TU Berlin verwirklichen. Dafür finanziert die Universität für zunächst drei Jahre eine Geschäftsstelle, in der neben Geschäftsführer Dienel, die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Sabine Collmer und die Sekretärin Evelyn Gründl arbeiten. Als Aufsichtsrat fungiert ein wissenschaftliches Leitungsgremium, dem im wesentlichen jene TU-Mitglieder angehören, die sich in den vergangenen Jahren für die Einrichtung des Zentrums eingesetzt haben: die Professoren Wolfgang König (Technikgeschichte), Meinolf Dierkes (Soziologie), Udo Wiesmann (Verfahrenstechnik) sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Wolfgang Neef und Dr. Martina Schäfer.

Drei große Aufgaben soll das ZTG im Feld Technik und Gesellschaft erfüllen: ein Diskussionsforum bieten, die Lehre im Bereich Technik und Gesellschaft vorantreiben sowie Forschungsprojekte initiieren, koordinieren, durchführen und Drittmittel für sie einwerben.

BRENNENDE FRAGEN DER ZEIT

In den Forschungsprojekten sollen Technik-, Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam an brennenden Fragen der Zeit arbeiten. Einige ihrer thematischen Schwerpunkte stehen bereits fest. Liudger Dienel: "Das sind bisher die Bereiche Mobilität, Informations- und Kommunikationstechnologien, Geschlechterverhältnis und Technik sowie regionale Industrievergleiche und die Auswirkungen von Technologietransfer."

Um Mobilität geht es in dem Projekt "Die Zukunft des Elektroautos", das vom Institut für Fahrzeugtechnik der TU Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt wird. "In diesem von der Europäischen Union finanzierten Projekt sollen die Markt- und Entwicklungschancen von Elektroautos abgeschätzt werden", erklärt Hans-Liudger Dienel. Hier werden der Projektleiter und TU-Privatdozent Dr. Andreas Knie (Soziologie) und der wissenschaftliche Mitarbeiter Otto Berthold (Fahrzeugtechnik) mit Autofirmen zusammenarbeiten und ihnen Beratung für ihre Elektroautos anbieten. Das zweite Mobilitäts-Vorhaben trägt den Titel "Erosion des Leitbilds Automobil" und wird ebenfalls unter Mitwirkung des WZB durchgeführt. Dienel: "Bisherige Forschungen haben immer belegt, daß sich das herrschende Leitbild einer 'Renn-Reise-Limousine' kaum verändert. Mit diesem neuen Forschungsprojekt werden erstmals die Bedingungen untersucht, unter denen sich solch ein Leitbild verändern könnte."

Zwei weitere Forschungsprojekte sind dem Schwerpunkt "Informations- und Kommunikationstechnologien" zuzurechnen. Unter Leitung von TU-Professor Meinolf Dierkes befassen sich drei Forscherinnen des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung mit dem Thema "Kulturraum Internet". Das Projekt, das von der Stiftung Volkswagenwerk finanziert wird, soll Regeln, Gewohnheiten und Institutionen erforschen, die das Geschehen im Netz prägen. Weniger Zukünftiges als Vergangenes behandelt dagegen das ZTG-Projekt "Leitbildanalyse Informatik", in dem es um die Entstehungsgeschichte der Computerwissenschaft geht.

THEMENFELD "ZUKUNFT DER ARBEIT"

Im Themenfeld "Zukunft der Arbeit" ist schließlich ein Projekt angesiedelt, das von der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen finanziert wird. Hier werden sich die Biologin Dr. Martina Schäfer und die Politologin Susanne Schön mit dem Thema "Nachhaltige Entwicklung und Arbeitschancen für Frauen" beschäftigen. "Dabei geht es darum, den Begriff der Nachhaltigkeit in Bereichen wie Wohnen und Haushalt zu untersuchen", erläutert ZTG-Mitarbeiterin Sabine Collmer. Erforscht wird beispielsweise die alternative Lebensmittelproduktion unter der Fragestellung "Wo können in diesem Bereich Arbeitsplätze für Frauen geschaffen werden?"

WARUM SOLL MAN MITMACHEN?

Was haben diese und zukünftige Projekte davon, daß sie sich dem neu eingerichteten Zentrum anschließen? Die ZTG-Koordinationsstelle bietet zum einen konkreten Service für seine Mitgliedsprojekte: "Wir können bei der Konzeption von neuen Projekten mitwirken, bis hin zum Entwurf und der Formulierung von Anträgen. Wir sind behilflich bei der Beantragung von Drittmitteln und können auch die finanzielle Abwicklung durch unsere Geschäftsstelle übernehmen." Außerdem wird die ZTG-Koordinationsstelle im nächsten Semester ein Kolloquium anbieten, auf dem sich die beteiligten Projekte untereinander austauschen können.

Vier weitere Vorhaben, die vom ZTG-Service profitieren wollen, werden voraussichtlich im Februar zum Zentrum hinzustoßen. Dies sind das Interdisziplinäre Forschungsprojekt "Sozialgeschichte der Informatik" und das derzeit beantragte Graduiertenkolleg "Theorie- und Modellbildung in den Technikwissenschaften". Ein drittes Projekt vergleicht die Arbeitsweisen europäischer Luftfahrtunternehmen, ein viertes untersucht, welche Bilder deutsche Industrieunternehmen für ihre repräsentativen Geschäftsräume erworben haben - diese Untersuchung soll Hinweise auf deren industrielles Leitbild geben.

OFFEN FÜR NEUZUGÄNGE

Für weitere Neuzugänge ist das ZTG offen. Geschäftsführer Dienel: "Wir wenden uns ausdrücklich an alle Fachbereiche und Fachgebiete der Universität, von der Verfahrenstechnik über die Elektrotechnik und Logistik bis hin zu Psychologie und Geschichtswissenschaften." Offen ist das ZTG auch für solche TU-Wissenschaftler, deren Interesse für eine multidisziplinäre Arbeit noch nicht sehr konkret ist. Dienel: "Ich hoffe auch, daß wir in den nächsten Monaten Anfragen und Besuche von monodisziplinären Forschungsprojekten bekommen, die noch Kooperationspartner von anderen Fachbereichen suchen." Da würde das Zentrum dann als "wissenschaftliche Partnervermittlung" tätig werden. "Über die reine Kontaktanbahnung hinaus," betont Dienel, "kümmern wir uns aber auch danach um die Partner und begleiten deren weiteres Miteinander."

ZWEITE AUFGABE: DIE LEHRE

"Solch eine Vermittlung ist aber nicht nur im Bereich der Forschung notwendig," ergänzt ZTG-Mitarbeiterin Sabine Collmer und weist auf das zweite Aufgabengebiet des Zentrums hin: die Lehre. "Hier besteht bei den Fachbereichen eine große Bereitschaft, neue Fächer in die Studienordnungen hinzuzunehmen," so Collmer. Aber selten wisse man, welche Veranstaltungen sich eignen und wo schon mögliche Angebote stattfinden. "Ein erster Schritt für uns wird sein, bestehende Lehrveranstaltungen zu untersuchen und jene herauszufinden, die sich auch für andere Fachbereiche und Studiengänge eignen."

Neben Forschung und Lehre hat das ZTG schließlich eine dritte Aufgabe: den Informationsfluß außerhalb und innerhalb der TU Berlin zu verbessern. "Wir wollen die Oberfläche der TU Berlin nach außen vergrößern", umschreibt Liudger Dienel dieses Ziel. "Das ZTG will hier eine Beratungsinstanz sein und ein Forum bieten, auf dem Mitarbeiter der TU Berlin mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Institutionen ins Gespräch kommen und aktuelle Brennpunktfragen diskutieren." Kontakte zu Firmen,Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen will das Zentrum schaffen, indem es "aktuelle und hochkarätig besetzte Veranstaltungen" organisiert. "Vor allem wollen wir Verbindungen zum politischen System schaffen, d. h. zu den Berliner Senatsverwaltungen und den Ministerien, die nun aus Bonn hierherkommen. Da bieten sich für die TU Berlin schon räumlich gute Chancen, weil sie ganz in der Nähe des zukünftigen Regierungsviertels liegt. Hier kann sich die TU als 'think tank' im Bereich der Technik profilieren und beratend tätig werden."

HEARINGS UND EXPERTENGESPRÄCHE

Nicht nur außerhalb, auch innerhalb will das ZTG ein Forum in Form von Hearings und Expertengesprächen aufbauen. "Eine erste Aktivität in dieser Richtung ist der Arbeitskreis ,Geschlechterverhältnis und Technik'," erläutert dazu Sabine Collmer. "Hier wirkt das Zentrum als TU-internes Diskussionsforum. Hintergrund ist, daß es an der TU Berlin sehr viele Einzelprojekte gibt, die zum Teil nebeneinander arbeiten und nur wenig voneinander wissen. In diesem Arbeitskreis wird es um das Verhältnis von Männern und Frauen zur Technik gehen, und darum, dieu verschiedenen Aktivitäten miteinander zu verbinden." Arbeitskreise zu anderen Themengebieten sollen nach diesem Vorbild entstehen, etwa zu den Themen "Mobilität und Verkehr" oder "Industrie und regionaler Wandel".

René Schönfeldt


Wer neugierig geworden ist und sich das ZTG mal aus der Nähe anschauen möchte, der hat bald Gelegenheit dazu: Am Rosenmontag, dem 19. Februar, findet das Einweihungsfest in der ZTG-Geschäftsstelle statt. Die Feier ist für alle Interessierten offen und beginnt um 12.30 Uhr in den Räumen 409, 410 und 412 des Kiepert-Hauses in der Hardenbergstraße 4-5. Weitere Informationen direkt im ZTG unter Tel. 314-2 36 65.


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