Völlig schwerelos

Berliner Studenten flogen mit bei der zweiten europäischen Parabelflug-Kampagne der Raumfahrtagentur ESA


Im November veranstaltete die European
Space Agency (ESA) ihre zweite Parabel-
flug-Kampagne für Studierende. Dahinter
verbirgt sich eine Initiative, mit der Wis-
senschaftler und Studierende die Mög-
lichkeit bekommen, Experimente in der
Schwerelosigkeit durchzuführen. Wer
mitmachen wollte, mußte sich allerdings
nicht nur mit einem pfiffigen Experiment
bewerben, sondern sich auch auf einen
sehr ungewöhnlichen Flug in einer umge-
bauten Boeing 707 gefaßt machen. Aus
Berlin war ein Team der Europäischen Ver-
einigung der Luft- und Raumfahrtstuden-
ten (EUROAVIA) dabei.

Insgesamt 23 studentische Teams aus neun europäischen Ländern trafen sich vom 20. bis 25. November zur zweiten Parabelflug-Kampagne der ESA auf dem niederländischen Marine-Flughafen Valkenburg. Fünf Tage lang hatten sie Gelegenheit, Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Mit dabei war ein Team der Berliner EUROAVIA, der Europäischen Vereinigung der Luft- und Raumfahrtstudenten: Lutz Kunath, Diana Kwoka, Immo Schernikau und Ingolf Steinhardt. Die vier, die an der TU Berlin Luft- und Raumfahrttechnik bzw. Maschinenbau studieren, hatten sich im Sommer mit einem Experiment zur Visualisierung von Magnetfeldern für die Ausschreibung beworben und gehörten schließlich zu den Gästen auf diesem ganz besonderen wissenschaftlichen Höhenflug.

Entspannte Gesichter am Boden: das EUROAVIA-Team aus Berlin

Für die Parabelflüge hatte die ESA eine umgebaute Boeing 707 der NASA unter Vertrag genommen. Geflogen wurde sie von einer Crew, die es gewohnt war, Gästen die Schwerelosigkeit zu zeigen: Die Piloten hatten bereits dem amerikanischen Schauspieler Tom Hanks und dem Filmteam von "Apollo 13" das Schweben beigebracht.

Mit der vierstrahligen Boeing absolvierten die ESA-Gäste an fünf Tagen jeweils einen zweistündigen Flug über der Nordsee. In dieser Zeit flog der Pilot 30 Mal eine nach unten hin geöffnete Parabel nach und ließ die Fluggäste im gepolsterten Laderaum der Maschine durch die Luft schweben.

Dazu zog er die Maschine zunächst steil, bis zu einem Winkel von 50 Grad aufwärts, um dann die Form einer Parabel nachzufliegen, d.h. langsam den Winkel bis auf die Waagerechte zu verringern und dann im gleichen Verlauf wieder auf die Erde zurückzustürzen. Schließlich fing er die Parabel bei 50 Grad Sturzflug wieder ab, und die Achterbahnfahrt begann von neuem.

20 Sekunden dauerte das Gefühl der Schwerelosigkeit, wenn das Flugzeug die Parabel nachfliegt

Das bedeutete für die Besatzung eine erhebliche körperliche Belastung: Während des Anflugs der Parabel waren sie zehn Sekunden lang der doppelten Erdanziehung ausgesetzt, während der Parabel - die nächsten 20 Sekunden - schwebten sie ohne Boden und Schwerkraft unter den Füßen. Und beim Abfangen der Maschine aus dem Sturzflug lastete wieder die doppelte Schwerkraft auf ihnen. Für ihre Experimente hatten die Studenten an Bord jeweils 20 Sekunden Zeit, jene Zeit, in der die Parabel nachgeflogen wurde.

Das Team der EUROAVIA nutze diese Zeit, um das elektromagnetische Feld einer Spule sichtbar zu machen - nicht nur zweidimensional, wie es auf der Erde leicht zu bewerkstelligen ist, sondern dreidimensional.

Diana Kwoka und Lutz Kunath schweben um ihren Versuchsaufbau, mit dem sie elektromagnetische Felder dreidimensional sichtbar machen

Für diesen Versuch hatten die Studierenden mit Unterstützung von TU-Physik-Professor Jürgen Sahm einen Kasten aus durchsichtigem Kunststoff gebaut. Seine Kantenlänge: 40 Zentimeter. Im Zentrum dieses Kastens wurde die Spule angebracht, deren elektromagnetisches Feld sichtbar gemacht werden sollte. Da das Magnetfeld jedoch nicht direkt sichtbar gemacht werden kann, sondern nur seine Wirkung, nutzten die Berliner die Anziehung des Magnetfeldes auf Eisenteilchen aus. Einige Eisenpartikel - in der Größe eines Reiskorns - befanden sich deshalb in dem Kunststoffkasten. Während der Phase der Schwerelosigkeit wurde mit der Spule ein elektromagnetisches Magnetfeld erzeugt, und die Eisenpartikel schwebten auf die Spule zu. Die Flugbahnen der Partikel wurde dabei aus verschiedenen Positionen mit Videokameras aufgenommen.

Unter normalen Bedingungen auf der Erde kann dieser Effekt nur in zwei Dimensionen sichtbar gemacht werden. Während der Schwerelosigkeit im Parabelflug konnten die Studierenden diesen Anziehungseffekt jedoch in allen drei Dimensionen beobachten und auf Videokamera festhalten. Die Videoaufnahmen zeigen sehr deutlich, daß die Eisenpartikel entlang der Feldlinien der Spule fliegen. Erstaunlich jedoch ist, daß der Flug der Teilchen von einer starken Schwingungsbewegung um die eigene Achse begleitet wird.

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Alles, was nicht festgeklebt oder -geschraubt ist, geht in die Luft, auch Ingolf Steinhardt

Andere Effekte, die bei den Parabelflügen auftraten, betrafen auch den wissenschaftlichen Nachwuchs selber: Einige hatten wegen der ungewohnten körperlichen Belastung kleine weiße Plastiktüten in der Hand, weil ihr Magen mit dem ständigen Belastungswechsel nicht zurechtkam. Andere hatten weniger Probleme: Der mitfliegende niederländische Astronaut Wubbo Ockels konnte sogar eine Pizza, die in einem der Experimente untersucht wurde, essen, anderen Mitfliegern wurde bei diesem Anblick noch schlechter.

Ingolf Steinhardt


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [Januar '96]