High-Tech-Handschuh zur Gebärdenerkennung

TU-Wissenschaftler entwickeln Sensorhandschuh, der auch Stereoanlagen und Kräne steuern kann


Jeder erinnert sich ungern an das früher oft so lästige Aufstehen, um den Fernseher oder den Videorecorder zu bedienen. Doch kaum hat man sich an das bequeme Hilfsmittel Fernbedienung gewöhnt, da gibt es eine weitere Neuheit. Mit Hilfe eines auf die Hand gesetzten Handschuhs, an dem sich Sensoren befinden, lassen sich die modernen Geräte der Unterhaltungselektronik faktisch nur mit einem Fingerzeig aus der Ferne steuern. Eine Bewegung des Zeigefingers beispielsweise bedeutet dann "Vorspulen", des Ringfingers "Zurückspulen" und des Mittelfingers "Bildwiedergabe". Diese Neuheit haben Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin entwickelt und bereits auf einer Messe vorgestellt.

MOTORIK DER MENSCHLICHEN HAND

Voraussetzung für diese moderne Fernsteuerung war die erfolgreiche Entwicklung eines Handschuhs, der mit Hilfe darauf befindlicher Sensoren die Steuerung einer Roboterhand übernehmen kann. Ausgesandte Signale an den Handschuh lassen die Roboterhand so nach dem Wunsch des Steuernden arbeiten. Die Forscher am Institut für Technische Informatik der TU Berlin wollten dann aber mehr. Die Motorik der menschlichen Hand sollte synchron auf die Roboterhand übertragen werden, das heißt, eine menschliche Hand mit angezogenem Sensorhandschuh soll die Bewegung vorzeichnen, die die Roboterhand ausführen soll. Signale übertragen die Befehle. Viel genauer ist mit dieser Hilfe das Greifen und Bewegen von Objekten durch Roboter möglich geworden.

Schnell war den TU-Wissenschaftlern klar, daß mit ihrem Sensorhandschuh mehr möglich ist als nur die Steuerung von Roboterhänden. So könnte ein Handschuh die PC-Maus bei der Handhabung von Benutzeroberflächen ersetzen. Oder es könnte vom Boden aus ein Kran ferngesteuert werden. Solch ein Sensorhandschuh könnte aber auch bei der Erkennung von Gebärdensprachen helfen: etwa beim Erkennen und Übersetzen von Handbewegungen gehörloser Menschen. Mit diesem Gerät könnten die Betroffenen besser auf einfache Weise mit der Umwelt kommunizieren. Denkbar ist auch ein "Gebärdentelefon", welches über eine normale Telefonleitung die vom Sensorhandschuh aufgenommenen Daten dem Telefonpartner auf einem Videobildschirm anzeigt. Hierfür allerdings ist Voraussetzung, daß der Handschuh die Gebärden, die der Mensch mit seinen Händen vollzieht, erkennt.

Der Sensorhandschuh kann nicht nur Kräne steuern, sondern auch Gebärden erkennen

Für diese weitreichenden Aufgaben sind jedoch Forschungsarbeiten notwendig, die von den Technischen Informatikern allein nicht zu lösen sind. In dem Interdisziplinären Forschungsprojekt (IFP) "Gebärdenerkennung mit Sensorhandschuhen" an der TU Berlin arbeiten Wissenschaftler/innen aus dem Fachgebiet Prozeßdatenverarbeitung und Robotik, dem Forschungsschwerpunkt Technologien der Mikroperipherik sowie aus der Arbeitsstelle für Semiotik zusammen. Gegenstand der Untersuchungen ist die sensorgestützte Erkennung von Gebärden, die der Mensch mit seinen Händen erzeugen kann, und deren Weiterverarbeitung zum Zwecke der Kommunikation - beispielsweise zwischen einem Gehörlosen und einem Menschen, der die Gebärdensprache der Gehörlosen nicht kennt.

BESCHLEUNIGUNGSSENSOREN

Die Arbeitsgruppe vom TU-Institut für Technische Informatik hat den inzwischen bereits patentierten Sensorhandschuh entwickelt. Jetzt befaßt sie sich mit der Weiterentwicklung des Sensorhandschuhs und der rechnergestützten Erfassung der Gebärden. Dazu werden die von den Mikrosensorikern konstruierten Sensoren auf dem Handschuh integriert, und es werden geeignete Schnittstellen zu bestehender Hardware geschaffen. Eine weitere Aufgabe haben die Wissenschaftler/innen am Forschungsschwerpunkt Technologien der Mikroperipherik zu lösen: Sie entwickeln die Beschleunigungssensoren für den Handschuh, damit Handbewegungen besser und schneller aufgenommen werden können. Die Entwicklungsarbeiten für diese Sensoren befinden sich im fortgeschrittenen Stadium, der erste Prototyp der neuartigen Beschleunigungssensoren soll Anfang 1996 vorliegen.

Die Arbeitsstelle für Semiotik der TU Berlin schließlich untersucht verschiedene Gebärdencodes auf ihre Eignung für die Untersuchung mit dem Sensorhandschuh und erstellt ein Lexikon mit Berliner Alltagsgebärden. Dabei betrachten die Semiotiker ganz unterschiedliche Gebärdensprachen, beispielsweise die Handzeichen im Kranbetrieb, mit denen auf Baustellen Kräne vom Boden aus dirigiert werden oder Handzeichen, die ein Regisseur hinter der schalldichten Studioscheibe zur Übermittlung von Regieanweisungen in den Aufnahmeraum verwendet. Diese verschiedenartigen Gebärdencodes sollen systematisch erfaßt und schließlich durch Testpersonen mit Hilfe des Sensorhandschuhs elektronisch gespeichert werden. Die eigentliche Aufarbeitung des Gebärdenmaterials geschieht unter Zuhilfenahme moderner Videotechnik mit anschließender computergestützter Auswertung. Das gesammelte Datenmaterial steht dem Projekt dann in Form einer CD-Datenbank zur Verfügung.

Frank Hofmann vom Institut für Technische Informatik mit dem Sensorhandschuh

An dem interdisziplinären Forschungsprojekt "Gebärdenerkennung mit Sensorhandschuhen" arbeiten das Fachgebiet Prozeßdatenverarbeitung und Robotik am Fachbereich 13 Informatik unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Günter Hommel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Frank Hofmann, der Forschungsschwerpunkt "Technologien der Mikroperipherik, Mikrosensorik und Mikroaktuatorik" am Fachbereich 12 Elektrotechnik unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Ernst Obermeier, Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Thomas Velten, sowie die Arbeitsstelle für Semiotik am Fachbereich 1 Kommunikations- und Geschichtswissenschaften unter der Leitung von Prof. Dr. phil. Roland Posner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Thomas Noll.

Janny Glaesmer


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [Januar '96]