Meinungen aus der Praxis
Wissenschaftliche Arbeit, Engagement in der Hochschulpolitik und auch noch die Lust an Gesang und Kabarett - kann man so viele Dinge eigentlich unter einen Hut bringen? Einer, dem es gelingt, diese unterschiedlichen Passionen zusammenzubringen, ist der Chemiker Prof. Dr. Christian Jentsch, ehemaliger Doktorand an der TU Berlin und heute Rektor der Fachhochschule Lübeck.
Jentsch, der in dieser Woche seinen 60. Geburtstag feiert, ist gebürtiger Sachse. Seine wissenschaftlichen Wurzeln liegen aber in Berlin, wo er an der FU Chemie studierte und 1963 an der Technischen Universität bei Iwan N. Stransky promovierte. Kurze Zeit später ging er in die Erdöl-Industrie und zog nach Hamburg. 1973 - "im Jahr der ersten Erdölkrise", erinnert er sich - bot sich die Möglichkeit, wieder an die Hochschule zu gehen, dieses Mal als Professor für den Studiengang "Technische Chemie" an der Fachhochschule Kiel. Der Chemiker griff zu - und zog erneut um, jetzt nach Schleswig-Holstein.
Einige Jahre später ging es mitsamt Studiengang an die Fachhochschule Lübeck - sein bisher letzter Ortswechsel und Beginn einer hochschulpolitischen Bilderbuchlaufbahn: "In den 80er Jahren bin ich am Fachbereich Dekan gewesen, dann Prorektor von '90 bis '93. Danach schließlich Rektor", beschreibt Jentsch seinen Werdegang. Im vergangenen Jahr wurde er sogar zum Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen Landesrektorenkonferenz gewählt. Eine Premiere für das Gremium, dem damit zum ersten Mal ein FH-Rektor vorsteht.
Keine Frage, daß Engagement in Gremien für ihn zur Hochschule dazugehört. "Ganz wichtig" ist es, sich in der Selbstverwaltung der Hochschulen stark zu machen, sagt Jentsch. Allerdings: "Womit wir zu kämpfen haben, ist, daß viele meiner Kollegen nicht oder kaum bereit sind, etwas zu machen. Die haben die häufig berechtigte Angst", so Jentsch' Einschätzung, "daß sie den Anschluß in ihrem Fach verpassen, wenn sie sich zu sehr der Selbstverwaltung widmen." Dabei sei es aber eine wichtige Aufgabe, "die Rolle der Hochschulen gegenüber den Landesregierungen und der Kultusbürokratie zu stärken".
Mit zum Engagement gehört für den Lübecker Rektor auch, Seminarreihen anzuregen, wie sie beispielsweise mit der Nachbarhochschule, der Medizinischen Universität, veranstaltet werden. Ihre Themen sind Ethik, Technikfolgenabschätzung und Verantwortung der Techniker. Jentsch: "Dieses Angebot ist wichtig, denn wir wollen keine Fachidioten heranbilden, sondern Menschen, die sich mit solch wichtigen Fragen beschäftigen."
Daß bei dieser Arbeit noch Freizeit bleibt für die Kunst, mag erstaunen. Aber im Terminplan von Christian Jentsch, der ganz am Anfang seines Studiums auch an eine Sängerkarriere gedacht hatte, ist auch noch Platz für regelmäßigen Gesang. Heute ist er hauptsächlich im Lübecker Bach-Chor aktiv, und in kleineren Opernaufführungen hat er schon den Max im "Freischütz" und sogar den Tamino in der "Zauberflöte" gesungen.
Und auch wenn der Kontakt zur TU Berlin heute abgerissen ist, hat der Ex-TUler immer noch eine schöne Erinnerung an die Zeit seiner Dissertation. Denn damals war er nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Kabarettist - im Chemiker-Kabarett, das auf dem alljährlichen Chemiker-Ball auftrat. Der Kabarett-Truppe, die damals die Universität und die Kuba-Krise durch den Kakao zog, gehörte übrigens nicht nur der jetzige Rektor in Lübeck an: auch der TU-Präsident von 1979 bis '85, Jürgen Starnick, ging daraus hervor.
René Schönfeldt