Palmen, Parties und Pauken

Tim Schönauer über die kalifornische Stanford University


Die Stanford University liegt inmitten des Silicon Valley, dem Nabel der Mikroelektronik und der Computerbranche. Paradoxerweise wird der Stanford Campus jedoch von seinen Studenten auch "the Farm" genannt. Vor über einem Jahrhundert befand sich nämlich auf dem Boden der heutigen Universität die Ranch von Senator Leland Stanford. Schon seit langem hat sich die 104 Jahre alte Universität aber von einer Pferderanch zu einer der renommiertesten Universitäten der USA entwickelt. Lang ist die Liste berühmter Stanford-Absolventen: Unternehmer, wie William Hewlett und David Packard, Politiker, wie Verteidigungsminister William Perry und Außenminister Warren Christopher sind einige davon.


Ehemals Pferderanch von Senator Leland Stanford, heute eine der renommiertesten Universitäten der USA: die Stanford University in Kalifornien

Ein halbes Jahr lang hatte ich Gelegenheit, diese Universität näher kennenzulernen. Am Department of Electrical Engineering arbeitete ich in einer Gruppe von Ph.D.-Studenten. Den überwiegenden Teil des Aufenthaltes wohnte ich auf dem Campus, einem friedlichen Ort, der eigentlich nur zwei Gefahren kennt: von einer Frisbee-Scheibe getroffen zu werden oder sich in einen Fahrradunfall zu verwickeln. In den meisten Teilen der USA ist das Fahrrad eher als Ergometer bekannt, in Stanford wird es noch als Transportmittel eingesetzt. Wenn dann zwischen den Kursen ein Teil der insgesamt 14 000 Studenten von einem Gebäude zum anderen radelt, konkurrierend mit Studenten zu Fuß oder auf Rollerblades, gewinnt ein Fahrradhelm mehr als nur modische Bedeutung.

FRIESBIES UND FAHRRADUNFÄLLE

Während der Campus der TU Berlin reichlich zerstückelt ist und im wesentlichen nur aus Bildungs- und Verwaltungseinrichtungen besteht, bildet der Stanford Campus eine Einheit. Er vereinigt dabei neben klassischen universitären Einrichtungen alles, was eine eigenständige Gemeinde bedarf: Neben Wohnmöglichkeiten für rund zwei Drittel der Studenten gibt es ein eigenes Postamt, Banken, einen Friseur, eine Tankstelle, Einkaufsmöglichkeiten, sowie alle erdenklichen Sportanlagen. Ein solch abgeschlossener und autarker Campus fördert das Gemeinschaftsgefühl der Universitätsgemeinde. Er schirmt aber auch vor äußeren Impulsen ab und weckt bei längerem Verweilen auf dem Campus ein Gefühl der Isolation.

Nicht nur Menschen auch Waschbären und Stinktiere gehören zum Campus: Zu sehen (oder zu riechen) bekommen sie besonders jene Stanford-Mitglieder, die noch bis spät in die Nacht in der Bücherei studieren. Und dies sind nicht wenige. Die Studenten in Stanford haben nicht nur einen harten Auswahlprozeß hinter sich, sie müssen auch jährlich für eine Studiengebühr von ca. 20 000 US-Dollar aufkommen. Entsprechend motiviert sind viele der Studenten und entsprechend hart sind die Anforderungen. Das Motto "Thank god it's Friday night: only two more days to work this week!" beschreibt recht gut ein nötiges Arbeitspensum. So bietet z.B. ein "24h-study-room" den Studenten die Möglichkeit, rund um die Uhr zu lernen.

HOHER FREIZEITWERT

Nun ist Stanford aber keine Universität voller "workaholics". Sowohl die Arbeit als auch die Freizeit haben hier einen hohen Stellenwert. So erlauben die fast grenzenlosen Sportmöglichkeiten auf dem Campus, in einer verlängerten Mittagspause beispielsweise ein bißchen Tennis zu spielen, einige Bahnen im Swimming Pool zu ziehen oder für die (nicht wenigen) vollkommen Verrückten in glühender Mittagshitze um den Campus Drive zu joggen. Einrichtungen wie ein Golfplatz, ein Reiterhof, mehrere Sportstadien und gar ein kleiner See, auf dem im Sommer Windsurf- und Segelkurse angeboten werden, würden auch so manchen Club-Med-Manager blaß werden lassen. Gipfel der Verquickung von körperlicher Ertüchtigung und Studium sind jedoch Studenten, die auf dem Stairmaster in einem der Fitneßräume ihre Kondition erhöhen, während sie gleichzeitig ein Lehrbuch vor sich zu liegen haben und versuchen geistige Höhen zu erklimmen. Die Koordinationsbegabtesten streichen sich dabei noch die wichtigen Stellen im Buch mit einem Textmarker an.

Trotz einem unerschöpflich wirkendem Reservoir an Freizeitangeboten bestimmt der Studienalltag das Semester. In der Lehre werden technologische Möglichkeiten wie selbstverständlich integriert. So glaubt man sich beim Gang in den Vorlesungssaal zunächst eher in Hollywood als in Stanford. Kameras hängen an den Decken und ein Regieraum befindet sich am Ende des Saales, viele wichtige Vorlesungen werden auf Video mitgeschnitten. An jedem Sitz im Vorlesungssaal ist ein Mikrophon, über das die Zuhörer eine Frage an den Professor richten. Die Aufzeichnungen inklusive Fragen sind dann am nächsten Tag für den Rest des Semesters an büchereieigenen Videorekordern einsehbar. Dies ist nicht nur hilfreich, wenn man mal eine Vorlesung verpaßt, sondern bietet auch die Möglichkeit, sich interessante Stellen mehrmals anzuhören und unwichtigere einfach vorzuspulen.

Gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit ist es, daß jeder Stanford-Student, egal ob Informatik- oder Philosophie-Student, ein Computer-Account hat. Computer sind überall auf dem Campus leicht zugänglich - über PC-Säle oder über Computerräume, die in jedem "dormitory" (Studentenwohnheim) existieren. Der Austausch von E-mail-Adressen wird damit so selbstverständlich wie der Austausch von Telefonnummern. Praktisch zu jeder Lehrveranstaltung gibt es auch eine Internet-Newsgroup, über die organisatorische Fragen oder fachliche Probleme auch außerhalb des Kurses gelöst werden. Die Studenten können Termine problemlos verschieben oder wichtige Fragen zu Hausaufgaben stellen oder beantworten, ohne daß sie erst eine Sprechstunde nutzen müßten.

VIELE JUNGE PROFESSOREN

Im Vergleich zu deutschen Universitäten gibt es in Stanford auffällig viele junge Professoren. So meinte ich in einem Kurs eine Kommilitonin vor dem Kurs stehen zu haben, die sich dann jedoch als seit mehreren Jahren tätige Professorin entpuppte. Entsprechend läuft manche Vorlesung etwas unkonventioneller ab, und es kann durchaus mal vorkommen, daß der Professor seine Turnschuhe auszieht und seine Vorlesung in Socken hält oder seine Studenten zu einem Basketballmatch einlädt.

Trotz hohen Leistungsdrucks und eines wahnsinnigen Arbeitspensums bietet Stanford ideale Voraussetzungen, hartes Studieren mit alternativen Aktivitäten zu kombinieren, und vielleicht ist dies auch mit ein Grund für den Erfolg dieser Universität.

Tim Schönauer


[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [Januar '96]