Ignoranz oder Sarkasmus?

Für heftige Diskussionen sorgte vor kurzem ein Beschluß des Akademischen Senats (AS) vom 24. April. Darin wurden die drei AS-Kommissionen für Entwicklungsplanung (EPK), Lehre und Studium (LSK) sowie für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs (FNK) gebeten, Vorschläge zu einer veränderten TU-Struktur zu prüfen.

Streit gab es insbesondere zu den Vorstellungen, die den Fachbereich 12 Elektrotechnik betreffen. Die Ideen, die laut AS-Beschluß überprüft werden sollen, heißen nämlich: Aufbau eines neuen Fachbereichs Kommunikations- und Informationstechnik aus dem jetzigen Fachbereich 13 Informatik und den nachrichtentechnischen Teilen der Elektrotechnik, Zuordnung der übrigen Fachgebiete an andere Fachbereiche und Auflösung des jetzigen Fachbereichs 12 Elektrotechnik. Außerdem: Einstellung des Studiengangs Elektrotechnik.

Der Antrag, der mit elf Ja-Stimmen und sechs Nein-Stimmen bei vier Enthaltungen angenommen wurde, erzeugte ein heftiges Pro und Contra (siehe auch TU intern Juni '96, S. 10/11). TU intern wollte auch wissen, wie der AS-Beschluß und seine Diskussion außerhalb der TU Berlin aufgenommen wird. Dazu fragten wir Jürgen Knorr, einen Absolventen der TU Berlin; er ist heute Vorstandsmitglied der Siemens AG in München und zuständig für den Bereich Halbleiter.

Jürgen Knorr:
"Die Fachbereiche sollten in ihrer Struktur überdacht werden."
Was war Ihr erster persönlicher Eindruck, als Sie von dem AS-Beschluß erfahren haben?

Ich dachte mir, es kann sich nur um einen Witz handeln, um die Situation besonders zu karikieren.

Was halten Sie davon, den Fachbereich Elektrotechnik und dessen Studiengang einzustellen?

Das halte ich für absolut falsch. Den Studiengang Elektrotechnik an einer Technischen Universität einzustellen, kennzeichnet nur den Grad noch bestehender Ignoranz über unsere reale Umwelt. Oder man wertet die Aussage als einen sarkastischen Beitrag, der auf den Aberwitz des Diskussionsbeitrages in drastischer Form hinweisen soll. Das wäre sogar sehr begrüßenswert.

Begründet wird der AS-Beschluß damit, daß die derzeitige Struktur am Fachbereich nicht mehr zeitgemäß sei. Sind ihrer Meinung nach Änderungen im Elektrotechnikstudium nötig?

Die Welt der Elektrotechnik hat sich in den letzten 40 Jahren schwerwiegend verändert: Die Informationstechnik ist gegenüber der Energietechnik überdurchschnittlich gewachsen und bleibt dominantes Segment der Elektrotechnik. Es ist nur natürlich, auch die Strukturen der Ausbildungen diesem Trend anzupassen. Man muß es inhaltlich überdenken, aber man kann es nicht einstellen.

Wie sollen die Elektrotechnik-Fachbereiche in Zukunft aussehen?

Die Fachbereiche Elektrotechnik und Elektronik in Deutschland sollten in ihrer Struktur neu überdacht werden und zum Beispiel in Fakultäten gestaltet werden, die die großen, wichtigen Segmente abdecken: Telekommunikation, Dataprocessing und -communication, Informationstechnik. Hinzu kommen unter anderem Mikroelektronik und daraus erwachsend Mikrosystemtechnik, CAD-Technologie, Materialphysik und Chemie der Mikroelektronik. Es versteht sich von selbst, daß dazu Pflichtveranstaltungen in Mathematik, Physik, Chemie und auch humanistischen Fächern wie Philosophie, Germanistik, Soziologie, Geschichte und Englisch gehören. Sie sollten belegt, gehört und auch durch Prüfungen bestätigt werden.


© 6/'96 TU-Pressestelle