Dissertationen ohne Druck

Doktoranden können in Zukunft auf teure Veröffentlichungen verzichten - das Internet macht's möglich

Kein Doktortitel ohne Veröffentlichung - so heißt bisher die eherne Regel, nach der Doktoranden und Doktorandinnen für die Veröffentlichung ihrer Dissertation sorgen müssen. Entweder finden sie einen Verlag, der ihre Dissertation als Buch veröffentlicht, oder sie müssen rund fünfzig Exemplare der Arbeit drucken lassen, die dann über ihre Universitätsbibliothek verteilt werden. Die Promotionsordnungen sehen das so vor. Die frischgebackenen Doktoren nehmen das meist zähneknirschend hin, legen das Geld für das Druckwerk auf den Tisch. Abhilfe verspricht das Publizieren über Internet.

Wenn es um neue Medien geht, sind auch die Universitätsbibliotheken gefordert: Viele ihrer Publikationen können auch in elektronischer Form produziert, verteilt und gelagert werden
Auch die Universitätsbibliotheken sind mittlerweile alles andere als begeistert von der Flut an Dissertationsschriften: Die Werke der eigenen Wissenschaftler müssen verteilt werden, die eingehenden Werke von anderen Hochschulen müssen erfaßt und gelagert werden. An der TU Berlin sind es jährlich fast 500 Dissertationen, die Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der TU Berlin in ihrer Universitätsbibliothek (UB) abgeben. Würde man sie statt auf Papier in Dateiform auf dem Internet anbieten, könnte man viel Papier und Arbeit sparen.

JÄHRLICH 500 TU-DISSEERTATIONEN

UB-Direktor Klaus Laasch: "Bei rund 50 Exemplaren pro Dissertation sind rund 25000 Druckwerke zwischenzulagern und in den Versand bzw. Verkauf zu bringen. Umgekehrt erhält die UB Jahr für Jahr ca. 5000 Dissertationen von anderen Hochschulen, die hier bearbeitet und aufbewahrt werden müssen." Sie könnten beispielsweise als Dokumente im World Wide Web angeboten werden. Dann könnte der teure Austausch von Pflichtexemplaren zwischen den deutschen Hochschulen wegfallen, denn jede Hochschule könnte auf die gesuchten Werke per Internet zugreifen.

Die Investitionen halten sich in Grenzen. "Eine dafür notwendige Workstation würde mit Software und Speicherplatz rund 25000 DM kosten", schätzt Kurt Penke, Leiter der UB-Hauptabteilung Dokumentation. Die zu erwartenden Einsparungen bei der Lagerung und Verteilung seien sehr viel höher anzusetzen. Ähnliches gilt für die TU-Publikationen, also die Veröffentlichungen von Mitgliedern der TU Berlin. "Zur Zeit sind bei uns mehr als 460 Titel bei einer durchschnittlichen Auflage von 260 Exemplaren im Angebot", erklärt Kurt Penke: "Die könnte man in Zukunft auch im Rahmen eines Online-Publishing vertreiben."

DIE TECHNISCHE AUSSTATTUNG FEHLT

Allerdings muß man sich hier noch etwas in Geduld üben. UB-Direktor Laasch: "Zur Zeit fehlt die technische Ausstattung vor Ort, um Dissertationen und Publikationen digitalisiert auf Dokumentservern bereithalten und damit zugänglich zu machen. Außerdem muß die Kultusministerkonferenz Regelungen schaffen, die diese Art der Veröffentlichung von Dissertationen grundsätzlich ermöglicht."

An der TU Chemnitz-Zwickau hat man bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen. Zwei Doktoranden nutzten Ende März bereits ein Angebot des dortigen Universitätsrechenzentrums und veröffentlichten ihre Arbeiten auf dem World Wide Web. Statt wie bisher 50 Druckexemplare lieferten sie nur noch jeweils sechs ihrer Doktorarbeiten in Papierform ab. Vorangegangen war der Chemnitzer Online-Veröffentlichung außerdem eine Änderung der Promotionsordnung der Faktultät für Naturwissenschaften. Deshalb gilt die neue Veröffentlichungsform im Internet zunächst nur für diese Fakultät.

René Schönfeldt

Wer sich die Chemnitzer Online-Dissertationen anschauen möchte, der suche die folgenden Adressen im World Wide Web auf: http://www.tu-chemnitz.de/cgi-bin/nph-archiv/1996/0004 und http://www.tu-chemnitz.de/cgi-bin/nph-archiv/1996/0005


© 6/'96 TU-Pressestelle