Hochschulen im ElendEine Antrittsvorlesung über die Hochschulkrise Seit Jahren fahren die Universitäten in Deutschland Überlast, nicht selten drängeln sich zwei Studierende auf einem Studienplatz. Derzeit wird an den Hochschulen gespart, gestrichen und abgebaut. Wäre diese Hochschulkrise vielleicht vermeidbar gewesen? Der TU-Wirtschaftswissenschaftler Hans-Jürgen Ewers bejaht diese Frage und schlägt vor, wie man die Hochschul-Krise heute noch in den Griff bekommen könnte. In seiner Antrittsvorlesung, die er am 5. Juni an der TU Berlin hielt, sprach Ewers über "Das Elend der Hochschulen - Eine ökonomische Analyse der Organisation und Finanzierung deutscher Universitäten". Prof. Dr. rer. pol. Hans-Jürgen Ewers war bereits von 1980 bis 1990 an der TU Berlin als Professor für Volkswirtschaftslehre (insbes. Ordnungs- und Strukturpolitik) tätig und ist im vergangenen Wintersemester an die TU Berlin zurückgekehrt, wo er nun einen Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik insbesondere Infrastrukturpolitik innehat. Ewers begründete in seiner Antrittsvorlesung die These, daß die jetzt durch konzeptionslose Sparbeschlüsse hervorgerufene Krise der Universitäten insbesondere in Berlin vermeidbar gewesen wäre. Man hätte allerdings die Finanzierung und Organisation der Hochschulen "rechtzeitig dem seit Beginn der 60er Jahre erkennbaren Übergang von der Elite- in eine Massenuniversität und dem damit erforderlichen Ordnungsrahmen anpassen" müssen. | |
"Die bis zur Agonie gelähmte reform Bewegung innerhalb der Universität provoziert wachsende Eingriffe der Wissenschaftsverwaltung und der Parlemente in die Autonomie Hochschulen" | |
Während in der alten "Ordinarien-Universität"
die Anreizstrukturen der allgewaltigen Ordinarien überwiegend
kompatibel mit den Universitätszielen waren (was gut für
die Ordinarien war, war auch gut für Forschung und Lehre,
und umgekehrt), ist die Anreizkompatibilität in der staatlich
finanzierten, durch das Hochschulrahmengesetz verordneten Gruppenuniversität
nicht mehr gegeben, erläuterte Ewers. In den Gremien würden
Kompromisse zwischen den Partikularinteressen von Statusgruppen
getroffen, die oft dem Kernanliegen einer effizienten Forschung
und Lehre nur sehr unvollkommen entsprechen, insbesondere weil
Fehlentscheidungen der Gremien unter den Bedingungen von Numerus-clausus-
und Verteilverfahren kaum zu budgetären Konsequenzen führten.
"Die im Gruppenproporz bis zur Agonie gelähmte Reformbewegung
innerhalb der Universität provoziert wachsende Eingriffe
der Wissenschaftsverwaltung und der Parlamente in die Autonomie
der Hochschulen", so Ewers.
Die nunmehr seit Jahren erfolgenden mehr oder weniger pauschalen Budgetkürzungen treffen nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers die strukturell nicht vorbereiteten Universitäten im Zustand einer seit nunmehr 20 Jahren bestehenden, heute mehr als hundertprozentigen Überlast. Ewers: "Für die Technische Universität Berlin zum Beispiel bedeuten diese Kürzungen, daß das vom Land Berlin gewährte Universitätsbudget in elf Jahren - von 1992 bis 2003 - um nominal rund ein Viertel schrumpfen wird." Ewers forderte deshalb eine "Ausweitung der Finanzierungsbasis und eine nachhaltige Organisationsreform für die Universitäten". Damit sollte die Autonomie der Universitäten und ihre Reformfähigkeit vergrößert werden. Gleichzeitig sollten die Hochschulen unter den disziplinierenden Druck marktmäßiger Kontrollmechanismen gestellt werden. Insbesondere forderte er: W Einführung von annähernd kostendeckenden Studiengebühren, die den Universitäten zufließen. Zur Vermeidung von sozialer Diskriminierung Finanzierung dieser Gebühren aus einem Fonds, in den die Studienabgänger in Abhängigkeit von ihrem Lebenseinkommen einzahlen und dessen einkommensbedingtes Defizit vom Staat abgedeckt ist. W Zuweisung pauschaler staatlicher Zuschüsse an die Universitäten in Abhängigkeit von den Ergebnissen regelmäßiger Forschungs- und Lehrevaluation und unabhängig von der (staatlichen und privaten) Trägerschaft der Universitäten. Ausschreibung von Sondermitteln auf Bundesebene für die Einrichtung von Center of Excellence in schlüsseltechnologischen und aus anderen Gründen als besonders förderungswürdig angesehenen Wissenschaftsbereichen. W Stärkung der Position der Präsidenten und Dekane, um ein professionelles Management von Forschung und Lehre und die Schaffung kompatibler Anreizstrukturen sicherzustellen. W Weitestgehende Befreiung der Universitäten vom Haushaltsrecht und vom öffentlichen Dienstrecht, um einen flexiblen Einsatz von Personal- und Sachmitteln zu gewährleisten. Auf diese Weise würde ein wirklicher Wettbewerb zwischen den Universitäten entstehen, der allein die erforderliche Flexibilität des Forschungs- und Lehrangebots der Universitäten und die Effizienz der Mittelverwendung garantieren könne. "Private Universitäten hätten eine reelle Chance, den staatlichen Universitäten den Rang abzulaufen, falls sie in ihrer Erstarrung verharren. Studierende könnten, ebenso wie private Nachfrager nach Forschung und Entwicklung oder nach Weiterbildungsdienstleistungen, finanzwirksam "mit den Füßen" abstimmen", erläuterte Ewers: "Und die Universitäten wären erheblich unabhängiger von den staatlichen Budgets als heute." tui © 6/'96 TU-Pressestelle |