"Alles dicht machen"Wie wirkungsvoll sind die studentischen Proteste?Seit Beginn des Sommersemesters zeigen die Studierenden in Berlin, daß sie die Sparpolitik des Senats nicht hinnehmen wollen. Mit Demos, Besetzungen, Straßensperrungen und vielfältigen anderen Aktionen machen sie auf die Kürzungen an den Hochschulen und deren Folgen aufmerksam. Farbig, kreativ und lautstark sind die studentischen Proteste - aber sind sie auch effektiv? Welche Formen des Protests sind eigentlich am besten geeignet, die Politiker zum Nachdenken und Umdenken zu bringen? Welche Aktionen führen eher zu Stimmung gegen die Studierenden? TU intern fragte einige TU-Angehörige. | |
Michael Ziegler, Umwelttechnik, 14. Semester | |
Am effizientesten wäre ein konsequenter Streik: alles dicht
machen, so daß kein Studium mehr möglich ist. Die Aktionen,
die bisher gelaufen sind, haben Öffentlichkeit geschaffen.
Gefallen hat mir zum Beispiel der Radkorso. Aber ich denke, das
tut Radunski nicht weh. Wenn der Protest so soft weitergeht, wird
er das einfach ertragen und die Studiengebühren einführen
und langsam steigern. Was noch etwas bringen könnte, ist
der angestrebte Boykott von Studiengebühren. Das verursacht
erstmal ein Chaos, das wehtut. Wenig Sinn macht es meiner Meinung
nach, den Protest auf die Uni zu beschränken. Man sollte
jetzt Bündnisse bilden und sich mit anderen Gruppierungen
gegen den Sozialabbau zusammentun.
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Peter Weyerstahl, Professor am Institut für Organische Chemie | |
Proteste der Studierenden sind sinnvoll und notwendig, wenn sie
sich gezielt gegen die drastischen Sparmaßnahmen an den
Universitäten richten und wenn sie möglichst phantasievoll
vorgetragen werden, ohne dabei in studentischen Ulk abzugleiten.
Die Hilflosigkeit der verantwortlichen Politiker muß mit
Ernst und Überzeugungskraft der Öffentlichkeit vorgeführt
werden. Proteste sind sinnlos und oft sogar schädlich, wenn
sie sich im archaischen Verweigerungsritual des Vorlesungs-Boykotts
erschöpfen und den politischen Rundumschlag vom Tiergartentunnel
bis zum sogenannten Sozialabbau einschließen. Im übrigen
müssen Studiengebühren - sozial abgesichert - sobald
wie möglich kommen. Sie dürfen allerdings nicht zur
Schuldendeckung des Landeshaushalts benutzt werden, sondern müssen
den Hochschulen direkt zur Verfügung gestellt werden.
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Rudolf Rapp, Leiter des Referats für Aus- und Weiterbildung | |
Ich halte die studentischen Proteste in der momentanen Situation
für unbedingt erforderlich. Jede Form, die Aufmerksamkeit
findet, sollte genutzt werden. Spannend finde ich die Idee, daß
alle Studenten ihr Anrecht auf Vorlesung einfordern. Das heißt:
Alle Leute, die eingeschrieben sind, sollen das Lehrangebot so
stark wie möglich nutzen. Und auch die, die eher zuhause
lernen, sollen in die Veranstaltungen gehen, so daß die
Überfüllung der Hochschulen überdeutlich wird.
Wichtig finde ich auch, daß den Menschen auf der Straße
die arbeitsmarktpolitische und wirtschaftliche Bedeutung in Charlottenburg
und Berlin deutlich gemacht wird: Wir sind wahrscheinlich zweitgrößter
Arbeitgeber in Charlottenburg, drittgrößter Ausbildungsbetrieb,
was Lehrlingsausbildung angeht, und natürlich ein Wirtschaftsfaktor
für die umliegenden Geschäfte.
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Bernhard Dieckmann, Professor am Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung | |
Es gibt unauffällige Proteste, und es gibt auffällige
Proteste. Und die auffälligen gefallen mir gut. Den 24-Stunden-Lauf
um den Ernst-Reuter-Platz fand ich beispielsweise ganz vorzüglich.
Da war alles dabei, was zu solch einer Protestaktion gehört.
Allein der Aufwand für alle Beteiligten war sehr beeindruckend.
Ob das auch etwas bewirkt? Das Problem ist im Moment, daß
die Studenten in ganz großer Konkurrenz zu anderen geldbedürftigen
Gruppen sind. Wir stehen in Konkurrenz mit dem Öffentlichen
Dienst oder Großprojekten. Wenn dem nicht so wäre,
könnte ich mir vorstellen, daß die Proteste die Politiker
zum Handeln bringt. Das haben wir ja auch schon in früheren
studentischen Protesten gesehen. Aber wenn man gar nicht protestiert,
ist man das Geld gleich los. Nur wer den Hals lang macht, hat
noch eine Chance, über Wasser zu bleiben.
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Veronika Csipai, Erziehungswissenschaften (TU), Politik und Europäische Ethnologie (HU), 3. Semester | |
Die Aktion "Uni umsonst und draußen" fand ich
richtig gut, einiges davon habe ich sogar in der U-Bahn gesehen.
Das ist auf die Dauer vielleicht effektiver, um die Bevölkerung
zu informieren. Die haben ja teilweise eine negative Meinung von
den Studenten. Demonstrationen, wie die zum Roten Rathaus, setzen
ein Zeichen. Aber für die Aktzeptanz in der Bevölkerung
hat das, glaube ich, kaum was gebracht. Was ich ziemlich gut finde,
ist der Zusammenschluß von Studenten und den Gruppierungen
aus dem Bündnis gegen Sozialabbau. Das müßte ausgebaut
werden, um die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, daß
es zum Beispiel auch um ihre Kinder geht und was die Einschränkung
der Bildung für Folgen hat.
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Jürgen Helms, Energie- und Verfahrenstechnik, 10. Semester | |
Gut fand ich öffentlichkeitswirksame Sachen wie den 24-Stunden-Lauf.
Da habe ich auch mitgemacht. Den Deppen-Korso fand ich auch total
witzig. Die Vollversammlungen, die ständig stattfinden, finde
ich eher uneffektiv, weil da eigentlich nichts passiert. Da entsteht
auch keine große Motivation, was zu machen. Ich fürchte,
daß die Aktionen bei der derzeitigen Haushaltslage auch
nicht viel bringen. Aber trotzdem müssen wir weiterhin unseren
Protest anmelden und in der Öffentlichkeit präsent sein.
Die Gefahr ist, daß die Leute jetzt müde werden und
daß Thema wieder in Vergessenheit gerät.
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Alexander Donth, Verkehrswesen, 7. Semester | |
Die großen Aufmärsche haben mir am besten gefallen.
Bei der großen Demonstration zum Roten Rathaus war ich auch
dabei. Sperrungen oder Straßenblockaden, finde ich nicht
so gut, die verärgern die Leute eher. Nach den Aktionen sollten
jetzt mal wieder Gespräche mit den Politikern geführt
werden.
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Sabine Wegner, Lehramt Biologie, 4. Semester | |
Aktionen wie den 24-Stunden-Lauf fand ich gut, denn die Öffentlichkeit
sollte schon etwas mitbekommen. Ein Freund von mir mochte die
Aktion am Ernst-Reuter-Platz allerdings gar nicht. Als Nicht-Student
und ganz normaler Arbeitnehmer, der da morgens vorbeifuhr, fand
er es gar nicht gut, daß da eine Fahrbahn gesperrt war.
Ich finde aber, so etwas bringt mehr, als vereinzelte kleine Aktionen
zu machen, weil am Ernst-Reuter-Platz ein hohes Verkehrsaufkommen
ist und es viele Leute mitbekommen. Ob das allerdings bei den
Politikern wirklich etwas bewirkt, weiß ich auch nicht.
© 6/'96 TU-Pressestelle |