Ist Berlin eine gesunde Stadt?Tagung an der TU Berlin zum "Healthy City"-Programm Ist Berlin eigentlich eine gesunde Stadt? Eine Frage, auf die man sehr unterschiedlich antworten kann. Klar ist jedoch: Berlin ist keine "Healthy City", denn die deutsche Hauptstadt ist - im Gegensatz zu vielen anderen internationalen Großstädten - nicht Mitglied des gleichnamigen Programms der Weltgesundheitsorganisation WHO. Lediglich drei seiner 23 Bezirke sind mit dabei. Was sie bisher für die Gesundheit in Berlin auf die Beine stellten und wie die Chancen für eine Gesunde Stadt Berlin aussehen, wurde im April an der TU Berlin diskutiert - auf der Tagung "Berlin - Gesunde Stadt?", die vom Studiengang Public Health und dem Verein Gesundheit e. V. durchgeführt wurde. Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern verlangt auch nach "physischem, psychischem und sozialem Wohlbefinden". Das ist der Kernpunkt einer Definition, die die Weltgesundheitsorganisation WHO vor zehn Jahren im kanadischen Ottawa beschloß. In ihrem Konzept strebt die WHO eine "gesundheitsfördernde Gesamtpolitik" an, die alle Lebensbereiche umfaßt. Gemeinschaftsaktionen sollen unterstützt werden, dem Einzelnen soll die Möglichkeit eröffnet werden, persönliche Kompetenzen im Bereich der Gesundheitsvorsorge zu entwickeln. Die praktische Umsetzung dieser allgemeinen Richtlinien wird seitdem vor allem im sogenannten "Healthy City"-Programm der WHO erprobt. In Europa haben sich bisher ungefähr 500 Städte daran beteiligt, darunter Hamburg, München, Liverpool, Sofia oder Stockholm. Weltweit sind es derzeit ungefähr tausend. Jede dieser Städte hat eine Neun-Punkte-Verpflichtung unterschrieben, in der sie u. a. Bürgerbeteiligung bei Gesundheitsvorhaben garantiert, und die Errichtung einer städtischen Stabsstelle festlegt, welche sich eigens um die städtische Gesundheitsvorsorge kümmert. Mit der Selbstverpflichtung unterstützen die Teilnehmer den Gedanken der städtisch organisierten Gesundheitsvorsorge und legen sich auf eine aktive Mitarbeit fest. Im Gegenzug können sie sich mit den anderen gleichgesinnten Städten austauschen und sich mit dem Titel "Gesunde Stadt" schmücken. | |
Schon vor sieben Jahren überlegte man, ob sich Berlin dem Netzwerk der Gesunden Städte anschließen soll. Bisher blieb es bei den Überlegungen | |
Berlin spielt bei der Gruppe der Gesunden Städte eine Sonderrolle.
Während alle anderen als Städte Mitglied sind, sind
es in Berlin nur einzelne Bezirke: Charlottenburg seit 1991, Wedding
seit 1993 sowie Hohenschönhausen seit 1996; Hellersdorf befindet
sich derzeit im Aufnahmeverfahren. Zwar legte der rot-grüne
Senat von 1989 bereits in seinen Koalitionsvereinbarungen fest,
daß Berlin teilnehmen solle. Nach dem Regierungswechsel
verschwand die Idee aber wieder in der Versenkung.
Zehn Jahre nach Ottawa kam im vergangenen Monat erneut Bewegung in die Diskussion um Berlins Mitgliedschaft. Anläßlich des Weltgesundheitstages am 7. April fand an der TU Berlin die Tagung "Berlin - Gesunde Stadt?" statt. Die Veranstaltung, die zwei Studenten des Ergänzungsstudiengangs Gesundheitswissenschaften / Public Health initiiert hatten, wurde von rund 200 Praktikern und Praktikerinnen der Gesundheitsförderung besucht. BERLIN SPIELT EINE SONDERROLLE Sie berichteten von zahlreichen Aktivitäten, die durch das Netzwerk der Gesunden Städte ins Leben gerufen wurden: In den drei Berliner "Healthy City"-Bezirken wurden lokale Gesundheitskonferenzen eingerichtet, in denen die Institutionen des Gesundheitswesens mit freien Trägern, Initiativen sowie betroffenen Bürgern und Bürgerinnen ins Gespräch kommen sollen. In Hohenschönhausen entstand ein Haus der Gesundheit, in Charlottenburg wurde ein Geburtshaus und ein Drogenmobil eingerichtet. Und auch in der Verwaltungsreform schlug sich der Gesunde-Städte-Gedanke nieder: So wurden in allen Berliner Bezirksämtern - auch jenen, die nicht am Programm teilnehmen - sogenannte "Plan- und Leitstellen Gesundheit" eingerichtet, wie sie in der "Healthy City"-Verpflichtungserklärung vorgesehen sind. Berlin also auf dem Weg zur Gesunden Stadt? Die anwesenden Vertreter der Gesundheitswissenschaften waren unisono für einen Beitritt. Und auch auf der abschließenden Podiumsdiskussion sprachen sich alle Gäste für eine Berliner Mitgliedschaft aus, darunter der Berliner Ärztekammerpräsident Ellis Huber und die Berliner Senatorin für Schule, Berufsbildung und Sport, Ingrid Stahmer. EIN WICHTIGER GAST FEHLTE Enttäuscht waren die Organisatoren allerdings über die kurzfristige Absage eines wichtigen Gastes: der Berliner Gesundheitssenatorin Beate Hübner. Eine positive Stellungnahme von ihr hätte der Tagung ein besonderes Gewicht verliehen. Schließlich müßte sie sich bei einem Beitritt für die Einhaltung der Neun-Punkte-Verpflichtung der Gesunden Städte einsetzen, müßte die notwendige Anschubfinanzierung aus ihrem Etat bestreiten und sich bei ihren Senatskollegen für die ressortübergreifende Zusammenarbeit stark machen. "Trotzdem kommt die Idee der _Healthy City' in Berlin voran", lautet das Fazit von Christa Kliemke, der Leiterin des Forschungsschwerpunkts "Gesundheitsförderung in Stadt und Umwelt" im Berliner Forschungsverbund Public Health. "Weitere Bezirke, etwa Marzahn und Wilmersdorf, bereiten sich jetzt auf eine Teilnahme vor." Allerdings sei ebenfalls Berlin als Stadt gefordert, so die Gesundheitswissenschaftlerin. Denn die Stadt sollte die Anstrengungen ihrer Bezirke, gesunde Lebensverhältnisse für ihre Bürger zu schaffen, anerkennen und auch unterstützen, "im Sinne einer gemeinsamen Bewegung". "Es stände Berlin gut an, die Initiative weiterzuführen, die auf dieser Tagung von Studierenden auf freiwilliger Basis und mit eigenen finanziellen Mitteln vorangebracht wurde." Die Studierenden bauen derweil weiter an der "Healthy City" Berlin: Eine Tagungsdokumentation ist ebenso geplant wie eine Anschlußveranstaltung. Raimund Geene, René Schönfeldt Weitere Informationen zur Berlin-Mitgliedschaft im "Healthy City"-Programm gibt es beim Tagungsbüro "Berlin - Gesunde Stadt?" in der Kulmer Str. 20a in 10783 Berlin oder unter der Telefon- und Faxnummer 030/2 64 06 43. © 5/'96 TU-Pressestelle |