"Reformmaßnahmen müssen von innen heraus kommen"

Am Fachbereich Physik studiert man immer schneller - Ein Vorbild für andere Fachbereiche?

Lange Zeit waren die Studienzeiten am Fachbereich Physik überdurchschnittlich, genauer gesagt: überdurchschnittlich lang. Das war 1989 Anlaß genug für den Fachbereich, ein ganzes Bündel von Maßnahmen zu schnüren, um die Studierenden besser zu beraten und durch ihr Studium zu leiten. Kurz danach wurde Prof. Eckehard Schöll Beauftragter für die Studienfachberatung. Nach sechs Jahren lief seine Amtszeit am 1. April ab. René Schönfeldt sprach mit Professor Schöll für TU intern über die vergangenen sechs Jahre: Welche Maßnahmen hat der Fachbereich ergriffen, was hat sich bewährt, und was kann Vorbild für andere Studiengänge sein?

Wie sah es denn vor sechs Jahren aus, als die Studienfachberatung am Fachbereich Physik neu organisiert und intensiviert wurde?

Die Studienzeiten waren zu lang. In den 80er Jahren hatten wir mittlere Studiendauern von über 17 Semester. Deshalb führte der Fachbereich 1989 eine neue Studien- und Prüfungsordnung ein, mit dem Ziel, das Studium zu verkürzen und effizienter zu gestalten.

Was ist das Kernstück dieses Vorhabens?

Die Studienpläne wurden gestrafft, z. B. durch Vorverlegung des Kurses in Theoretischer Physik. Vor allem aber wuchs der begleitenden Studienfachberatung eine wesentlich größere Bedeutung zu, nicht zuletzt durch die Einführung einer obligatorischen Prüfungsberatung: Wer das Vordiplom zu Beginn des fünften Semesters noch nicht abgelegt hat, muß sich seitdem vor der Anmeldung zur Vordiplomsprüfung einer Studienberatung unterziehen. Entsprechendes gilt, wenn man das Hauptdiplom nicht bis zum Ende des neunten Semesters abgelegt hat oder die Diplomarbeit nicht innerhalb von zwei Monaten nach Abschluß des Laborpraktikums/Theoretikums ("Studienarbeit") anmeldet.

Die Beratung wird vom beauftragten Professor für die Studienfachberatung oder von einem Mitglied des Prüfungsausschusses durchgeführt. Sinn des Beratungsgespräches ist es, Gründe für die Verzögerung herauszufinden und gemeinsam mit den Studierenden einen individuellen Plan für das weitere Studium - auf freiwilliger Basis - zu entwickeln.

Der Berliner Senat hat den Universitäten im letzten Jahr für alle Fächer eine obligatorische Studienberatung beim Überschreiten bestimmter Studiendauern vorgeschrieben. Wo unterscheiden sich die beiden Regelungen?

Unsere Beratung greift wesentlich früher. Die Regelung des Berliner Senats wird durchschnittlich erst zwei bis drei Studiensemester nach unseren Zeitpunkten wirksam.

Wieviele der Studierenden mußten denn bisher die obligatorische Prüfungsberatung in Anspruch nehmen?

Ich habe in den letzten vier Jahren ca. 250 individuelle Beratungsgespräche geführt, zahlreiche weitere Beratungen führten mein Stellvertreter Professor Sahm und die Professoren des Prüfungsausschusses durch. In der letzten Zeit hat die Zahl der Beratungen für das Vordiplom jedoch stark abgenommen, was auf ein zügigeres Studierverhalten hindeutet. Dies wird durch die Studienzeitstatistik bestätigt.

Darüber hinaus haben wir übrigens ein Bonus-System eingeführt: Wenn man das fünfte bzw. das neunte Semester überschreitet, muß man alle Prüfungen in einem Prüfungszeitraum, d. h. im Block innerhalb von vier Wochen, ablegen. Wenn man aber die Prüfung rechtzeitig macht, kann man die Teilprüfungen auseinanderziehen und einzeln ablegen. Das heißt, diejenigen, die sich schnell zu den Prüfungen melden, erhalten einen Bonus.

Eine Besonderheit des Fachbereichs ist das sogenannte Mentorenprogramm, das ebenfalls vor sechs Jahren eingeführt wurde. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Alle Studierenden werden bereits im ersten Semester in kleinen Gruppen von sechs bis acht jeweils einem Hochschullehrer als "Mentor" zugeordnet. Jeder Hochschullehrer bekommt so im Laufe der Zeit mehrere Gruppen aus verschiedenen Semestern. Die Gruppen treffen sich in der Regel mindestens einmal im Semester bei ihrem Mentor.

Eckerhard Schöll, ehemaliger Beauftragter f¨r die Studienfachberatung Physik
Sinn ist einmal, schon sehr früh einen persönlichen Ansprechpartner zu haben, insbesondere in Fragen der Studienplanung. Bei einer so großen Gruppe von 100 bis 150 Studienanfängern in einem Semester ist es ja erfahrungsgemäß sehr schwierig, Kontakt mit den Dozenten zu bekommen. Darüber hinaus soll die Kommunikation der Studierenden untereinander gefördert werden. Ältere Kommilitonen sollen jüngeren Tips und Erfahrungen weitergeben. Da das alles freiwillig ist, hängt es von jedem Einzelnen ab, wie intensiv der Kontakt ist.

Obligatorische Prüfungsberatung und Mentorenprogramm bilden den Schwerpunkt der Bemühungen zur Studienzeitverkürzung. Was bietet der Fachbereich darüber hinaus?

Wir - d. h. die beiden Professoren und die beiden studentischen Tutoren der Studienfachberatung - bieten neben freiwilliger persönlicher Beratung jedes Semester eine Einführungsveranstaltung für Erstsemester an und führen die Stundenplankoordinierung durch, damit die Lehrveranstaltungen überschneidungsfrei angeboten werden. Außerdem gibt die Studienfachberatung jedes Jahr einen umfangreichen Studienführer heraus. In Zusammenarbeit mit der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin veranstalten wir im Turnus mit den beiden anderen Berliner Universitäten Berufsinformationsveranstaltungen. Unter dem Titel "Physiker und Physikerinnen in Industrie und Forschung" führen wir ebenfalls einmal im Jahr eine einwöchige Exkursion in Betriebe und Forschungseinrichtungen durch. Dort besuchen wir Physikerinnen und Physiker, die bereits im Beruf stehen.

Wie haben die Studierenden die verschiedenen Maßnahmen zur Studienzeitverkürzung aufgenommen?

Mein Eindruck ist, daß das Beratungsangebot sehr gut angenommen wird. Das zeigt sich daran, daß sehr viele auch freiwillig in die Sprechstunden kommen. Die zwanzig Plätze, die wir für die Exkursion anbieten, werden in der Regel ausgefüllt. Das Mentorenprogramm wird unterschiedlich genutzt: Es gibt Gruppen, die sich kaum blicken lassen, und es gibt Dozenten, die relativ wenig Aktivitäten entfalten. Aber es gibt auch viele, die sehr aktiv sind.

Für die Professoren bedeuten diese Maßnahmen - insbesondere das Mentorenprogramm - Mehrarbeit. Ärgern die sich manchmal darüber?

Nein, von den meisten der Professoren habe ich in den vergangenen Jahren sehr viel Unterstützung erhalten - sowohl was die Beratung als auch das Mentorenprogramm angeht. Nach dem, was mir von den Kollegen mitgeteilt wird, denke ich, daß es von ihnen überwiegend positiv gesehen wird.

Welche der Maßnahmen, die vor sechs Jahren eingeführt wurden, haben sich bewährt und welche nicht?

Bewährt haben sich das Mentorenprogramm und die recht frühzeitige Beratung zum weiteren Studienverlauf, nämlich im vierten bzw. zu Anfang des fünften Semesters. Nicht so bewährt hat sich meines Erachtens die Zwangsberatung zu einem späten Zeitpunkt, d. h. bei Überschreiten der Prüfungsanmeldung für das Hauptdiplom. Da kann man eigentlich nichts mehr raten, denn im wesentlichen ist das Studium dann schon gelaufen.

Was kann auf andere Fachbereiche übertragen werden, was nicht?

Das Mentorenprogramm ist an unserem Fachbereich sehr gut handhabbar, weil wir von den angebotenen Studiengängen her - Physik-Diplom und Lehramt - ein relativ homogener und mit tausend Studierenden noch ein überschaubarer Fachbereich sind. Bei den großen Fachbereichen mit vielen verschiedenen Studiengängen und zwei- bis dreitausend Studierenden wird es sicherlich schwierig sein. Ich denke, alle anderen Maßnahmen sind unabhängig vom Fach und können auch übertragen werden.

Was ist Ihre wichtigste Erfahrung der vergangenen sechs Jahre?

Die Erfahrung, daß die Studienberatungsmaßnahmen nicht bürokratisch von oben verordnet werden können. Das Studium wird erst dann effizient und für alle Beteiligten erfreulich, wenn solche Reformmaßnahmen von innen heraus kommen und wenn innerhalb des Fachbereichs ein gutes Klima zwischen den Studierenden, den Wissenschaftlichen Mitarbeitern und den Professoren herrscht. Und diese Voraussetzungen sind, denke ich, am Fachbereich Physik vorhanden.


© 5/'96 TU-Pressestelle