Drohende Verhärtungen in der WissenschaftskulturEin Plädoyer für Technische Universitäten Sollen sich Technische Universitäten angesichts immer knapperer Finanzen von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern trennen? Eine Frage, die an der TU Berlin derzeit heftig diskutiert wird. Mit einem klaren "Nein" antwortet Prof. Dr. Astrid Albrecht-Heide vom Institut für Erziehung, Unterricht und Ausbildung. Sie spricht sich angesichts anstehender gesellschaftlicher und ökologischer Probleme dafür aus, Technische Universitäten umfassend zu gestalten und Geistes- und Sozialwissenschaften nicht als schmückendes Beiwerk mißzuverstehen. Die Gründe erläutert sie in der folgenden Zusammenfassung eines Vortrags, den sie im Sommersemester anläßlich des alternativen "Festakts II" zum 50jährigen TU-Jubiläum hielt. Vielerorts wird es enger, so auch in dem Verständnis dessen, was den harten Kernbereich von Wissenschaften ausmachen soll und was als luxurierendes Orchideenfach dem Rotstift zum Opfer fallen darf. Ebenso, wie dieser "Kern" an wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten zu organisieren sei, droht im Streit um verknappte Mittel zur Schrumpffigur zu werden. Dies gilt in spezifischer Zuspitzung für Technische Universitäten, wenn Geistes- und Sozialwissenschaften zunehmend wieder als "uneigentlich" begriffen werden und in der Folge Schritt für Schritt eingeschränkt oder gar eliminiert werden. Spezialisierte Technische Hochschulen, die sich auf ihr "Eigentliches" besinnen können, gleichsam "lean TH's", wären das Ergebnis von Mittelverknappung und Durchrationalisierungen. Angesichts anstehender gesellschaftlicher und ökologischer Probleme spricht hingegen einiges dafür, Technische Universitäten im Sinne der Universitas, der Umfassung, zu gestalten und Geistes- und Sozialwissenschaften nicht auf "Kunst am Bau" zu reduzieren. (Was mich schmückt, hat mir nichts zu sagen.) Für Technische Universitäten spricht der gemeinsame Ausgang und Ursprung aller europäisch-neuzeitlichen Wissenschaftsdisziplinen in dem sie bestimmenden Naturverständnis. Für sie spricht ebenso die Art und Weise wie "der Mensch" sich der Natur gegenüber bestimmt und positioniert. Diese neuzeitliche Wissenschaft kann u.a. auch als eine Entäußerungsform der Fremdkonstruktion der Natur als zu Beherrschender und der Eigenkonstruktion "des Menschen" als Herrschendem begriffen werden. "Der Mensch" ist in diesem Verständnis Gebieter und Benutzer des Rohstoffs Natur. Er ist nicht mehr Teil einer Natur, die über einen Eigen-Sinn verfügt. NATUR ALS "KAPUTTES DING" Weltweit haben wir es mit den sich zuspitzenden Folgen dieses Verständnisses zu tun. Diese Zerstörungen und Beschädigungen können nicht mitleidend zum Wissen werden, ebensowenig wie Beschädigungen von allem, was im herrschaftlichen Erkenntnisübergriff gleich der Natur objekthaft gedacht wird. In dieser Logik läßt sich die zerstörte Natur nur als "kaputtes Ding" begreifen, und die daraus folgende Handlungslogik kommt nicht über jene des verzweifelten Zauberlehrlings hinaus. Erkenntnisbewegungen, die hierzu eine Gegen- oder Querbewegung eröffnen, sind aller Wahrscheinlichkeit nach nur im gemeinsamen, interdisziplinären Diskurs vieler Wissenschaften zu entfalten. Eine ihrer erkenntnistheoretischen Ausgangspositionen wäre, die überkommene Wissenschaft als politische, soziale und kulturelle Herrschaftsveranstaltung zu begreifen, die Teil von dem ist, was unser Entsetzen angesichts der Zerstörungen auslöst. Dieses Entsetzen könnte als radikale Irritation begriffen werden, die Forschungsaufgaben ganz neuer Art in Gang setzt. Allerdings rührt diese radikale Irritation im gesamtwissenschaftlichen Verständnis in der Tat an die Wurzeln eines rohstofflichen und ausbeuterischen Naturverständnisses. Sie rührt auch an all jene Beschädigungen, die ihre Ursachen in der nämlichen dominatorischen Anthropologie haben. Für Technische Universitäten spricht folglich das interdisziplinäre, kritische Wachrufen und Wachhalten der gemeinsamen neuzeitlichen Wurzeln. Es gibt jedoch auch Gründe, nicht zu traditionellen Technischen Hochschulen zurückzukehren, die in der Natur der technischen Sache selbst liegen, gleichsam unterhalb des Natur-Mensch-Verständnisses. In seinem Aufsatz über "Erziehung nach Auschwitz" schreibt Adorno: Es "steckt im gegenwärtigen Verhältnis zur Technik etwas Übertriebenes, Irrationales, Pathogenes. Das hängt zusammen mit dem _technologischen Schleier". Die Menschen sind geneigt, die Technik für die Sache selbst, für Selbstzweck, für eine Kraft eigenen Wesens zu halten und darüber zu vergessen, daß sie der verlängerte Arm der Menschen ist." Dieses Bild aufzugreifen, macht erkennbar, daß eine Technische Hochschule ohne gleichberechtigte Geistes- und Sozialwissenschaften nichts andres wäre, als ein groß organisierter, verlängerter Arm. "Schrumpffigur" ist angesichts dieses mächtigen, kopf- und leiblosen Torsos noch ein Euphemismus. Wenn es also darum geht, Mittel und Kräfte auf die weltweiten Probleme zu konzentrieren, so ist eine Vereinseitung ebenso konterproduktiv wie eine Besinnung auf den sogenannten harten Kern. Astrid Albrecht-Heide © 7/'96 TU-Pressestelle |