Das Frauenorchester in AuschwitzUntersuchung über "Musikalische Zwangsarbeit" | ||
Musikalische Zwangsarbeit - was für ein ungewöhnlicher
Begriff! Und doch kann er, in dem Zusammenhang in dem er steht,
treffender nicht sein. Geprägt wurde er von Gabriele Knapp,
die sich in ihrer Dissertation am Fachbereich Erziehungs- und
Unterrichtswissenschaften der TU Berlin mit dem Frauenorchester
in Auschwitz auseinandersetzte. Ihr Augenmerk richtete sie auf
die "befohlene Musik", wie sie sie nennt, auf die
Häftlingskapellen,
die auf Befehl der SS spielen mußten.
Daß Gabriele Knapp, selbst eine ausgebildete Musiktherapeutin, ihre Untersuchung, die auf Gesprächen mit Zeitzeuginnen basiert, auf das Frauenorchester in Birkenau eingrenzte, liegt zum einen an der Vielschichtigkeit des Themas, da es noch andere Formen der Musik und andere Musiker-Gruppen in den Konzentrationslagern gab. Zum anderen erwies sich die Kontaktaufnahme zu den ehemaligen Musikerinnen des Frauenorchesters in Birkenau als unkomplizierter, als beispielsweise zu den ehemaligen Mitgliedern des Männerorchesters. Grundlage für ihre Gespräche bildete das Buch "Das Mädchenorchester in Auschwitz" von Fania Fénelon, das erstmals 1976 in Frankreich und 1980 in deutscher Übersetzung erschien und durch das das Orchester im Frauenlager Auschwitz-Birkenau auch in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Zur Autorin dieses Buches schreibt Gabriele Knapp: "Die Autorin, die als Sängerin und Notenschreiberin zwangsarbeitete und 1983 verstarb, beschrieb die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Musikerinnen aus ihrer subjektiven Sicht. Wie bei den meisten Holocaust-Überlebenden unterlag ihre Gedächtnisleistung der Selbstzensur und Formen des selektiven Vergessens. Ihren Bericht halten daher überlebende Zeitzeuginnen nicht für ein authentisches Zeitdokument, sondern für einen autobiographischen Roman, in dem historische Fakten falsch überliefert und die SS-Leute sowie die Verhältnisse in Auschwitz verharmlost und beschönigt beschrieben werden. Sie kritisieren, daß Fania Fénelon sich als Retterin des Orchesters darstellte und Lagerkameradinnen durch die z. T. groteske Überzeichnung ihrer Charaktere diskriminierte und beleidigte". INTERVIEWS MIT ZEITZEUGINNEN
Gesprochen hat Gabriele Knapp über das Buch mit sieben heute
in Europa lebenden ehemaligen Musikerinnen. Sie nahmen zum Buch
von Fania Fénelon Stellung und schilderten die Verhältnisse
im Frauenorchester, das von April 1943 bis 1. November 1944 existierte,
aus ihrer Sicht. Dabei übten sie weniger Kritik an der Darstellung
der Zwangsarbeit im Orchester als an der Beschreibung der vermeintlichen
Umgangsweisen der Musikerinnen untereinander. Alle erinnern sich
an die Solidarität, die unter den Musikerinnen herrschte,
während Fania Fénelon permanenten Streit, Neid und
Mißgunst in der Gruppe der ca. 50 Frauen beschreibt. MÄRSCHE ZUR ZWANGSARBEIT Die Orchesterfrauen, in der Mehrzahl Laienmusikerinnen, mußten an sechs Tagen in der Woche mindestens acht Stunden täglich üben, um die von der SS gewünschte Leistung zu erbringen. Abkommandiert wurden sie zum Märschespielen ans Lagertor, wenn die Mitgefangenen zur Zwangsarbeit aus- und abends wieder einmarschierten, in den sog. Häftlingskrankenbau und zum Spielen bei der Ankunft von Deportationszügen. Sie mußten an Sonntagen Konzerte geben und Privatvorstellungen für einzelne SS-Leute zu jeder Tages- und Nachtzeit, und sie hatten bei offiziellen Anlässen aufzuspielen, z. B. wenn auswärtige Gäste das Lager inspizierten. Auf grausame Weise verstrickte die SS somit die Musik und die Musikerinnen in ihren Vernichtungsapparat.
"Die Einsatzsituationen waren für die Zeitzeuginnen
extrem belastend und sie fragen sich heute, wie sie diese Zeit
durchstehen konnten", stellt die Wissenschaftlerin fest und
erkennt dabei, daß sich diese Frage mit wissenschaftlichen
Methoden nur annähernd beantworten läßt: "Jede
Frau fand ihre individuellen Bewältigungsstrategien, um weiterleben
zu können. Nach außen gerichtete Konfliktlösungsversuche
waren lebensgefährlich, so daß den meisten nur defensive
Formen der Abwehr blieben sowie die Suche nach sozialer Unterstützung
in freundschaftlich-solidarischen Beziehungen untereinander. Manche
Frau reagierte mit Scham- und Schuldgefühlen, weil sie unter
den Bedingungen des Vernichtungslagers musizierte, aber alle hatten
Angst, selbst getötet zu werden, wenn sie sich geweigert
hätten." Gabriele Knapp fragte auch danach, wie die sieben Zeitzeuginnen nach 1945 weitergelebt haben. Sie kommt zu folgender Einschätzung: "Die meisten konnten oder wollten nicht an ihren früheren Wohnort zurückkehren, sie fühlten sich einsam und isoliert. Sie versuchten, die Verfolgungserlebnisse zu verdrängen, um sich ein neues Leben aufzubauen, doch vergessen konnten sie nie. Bemerkenswert ist, daß alle Frauen weiter musizieren wollten, doch eine Frau konnte es nie wieder. Die anderen begannen nach Kriegsende wieder zu üben, strebten einen Musikberuf oder eine Solokarriere an, mußten jedoch schmerzlich erkennen, daß ihr Können nicht mehr dem vor der Verfolgung entsprach. Eine Frau gab daraufhin das Musizieren für immer auf, drei Frauen setzten ihre Bemühungen fort, wurden als Musikerinnen erfolgreich, erreichten aber nie das Berufsziel, das sie sich gewünscht hatten." Gabriele Knapp, Bettina Weniger
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