20 Jahre auf Wanderschaft

Eine außergewöhnliche Frau - Margarete Schütte-Lihotzky

Auch nach den Sommerferien setzt TU intern im Rahmen der Berichterstattung zum 50jährigen TU-Jubiläum die Artikelreihe über Frauen fort, die auf unterschiedliche Weise mit der TU Berlin verbunden sind. Gemeinsam haben diese Frauen nicht nur ihren Bezug zur TU Berlin, sondern ihr großes Engagement in ihren Berufen, die auch immer eng mit der Öffentlichkeit verbunden waren. Darüber hinaus sind sie in Zeiten beruflich "groß geworden", in denen dies für Frauen noch schwieriger war als heute. In diesem Beitrag stellen wir Dr. Margarete Schütte-Lihotzky vor, eine international hochangesehene Wiener Architektin. Sie erhielt als eine der wenigen Frauen im August 1993 die Ehrendoktorwürde der TU Berlin.

Margarete Schütte-Lihotzky

Die 1897 in Wien geborene Beamtentochter studierte während des 1. Weltkriegs Architektur an der "k&k-Kunstgewerbeschule Wien" und eröffnete schon 1919 als selbständige Architektin ihr eigenes Büro. Sie konzentrierte sich auf die Entwicklung von Siedlungsbauten und auf die Typisierung von Küchen und Kinderheimen. 1926 wurde sie an das Hochbauamt in Frankfurt a.M. berufen. Maßgeblich durch ihre Entwürfe und Studien entstand dort 1926 die legendäre "Frankfurter Küche". Neben Kindergärten, Schulen und Lehrküchen entwarf die Architektin Versorgungseinrichtungen für Großbetriebe. Die Arbeit am "Neuen Frankfurt" im Stadtteil Praunheim stand im Mittelpunkt ihres Schaffens.
Bedingt durch die Wirren der Geschichte folgte eine Zeit der unzähligen Auslandsaufenthalte, die ihr Leben jedoch positiv beeinflussen sollten: Während der Weltwirtschaftskrise ging Margarete Schütte-Lihotzky in die Sowjetunion, wo sie sich hauptsächlich mit der Entwicklung von Kindergärten, -krippen und -möbeln beschäftigte. Ihre Arbeit führte sie bis nach Japan und China und im Auftrag des Pariser Stadtrats beschäftigte sie sich mit Studien über die Vorsorge TBC-kranker Kinder. Noch vor Ausbruch des Krieges wurde sie an die Académie des Beaux Arts nach Istanbul berufen, wo sie in erster Linie für die Planung von Erziehungsheimen verantwortlich war.

WIDERSTAND IN WIED

Ende 1940 wagte sie eine Reise in ihre Heimatstadt Wien, um dort im Widerstand mitzuwirken. Doch dieses Engagement wurde ihr zum Verhängnis: Nach ihrer Verhaftung 1942 durch die Gestapo lautete das Urteil 15 Jahre Zuchthaus. Drei Jahre später, befreit durch die amerikanischen Truppen, flüchtete sie nach Bulgarien wo sie einige Jahre lebte und arbeitete.

1946, nach knapp zwanzig Jahren Wanderung, kehrte die Architektin mit ihrem Mann nach Wien zurück. Offenbar als "Opfer des Kalten Kriegs" erhielt sie jedoch kaum noch Aufträge. Ihr internationales Engagement konnte dadurch jedoch nicht geschmälert werden, regelmäßig nahm sie an internationalen Kongressen teil und erstellte diverse Studien. 1970 verabschiedete sie sich von dem aktiven Architektenleben und konzentrierte sich von da an auf Ausstellungen, Vorträge, Fachkongresse, Frauen- oder Friedensorganisationen.

Dr. Margarete Schütte-Lihotzky setzte ihr berufliches Engagement in erster Linie für die Gleichstellung aller Mitglieder der Gesellschaft ein. Ihre wohnfunktionellen Vorstellungen vernachlässigten niemals den Aspekt der sozialen Eingebundenheit, unter dem sie dann auch verwirklicht wurden.

Schon in den 20er Jahren formulierte sie die "Mindestanforderungen an eine Wohnung". Besonders im Bereich der Erziehungsbauten setzte sie Akzente, nicht zuletzt durch ihre fortschrittliche Art der Herangehensweise: So arbeitete sie in der Sowjetunion in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Ärzten, Pädagogen und Architekten, um die optimale Lösung für Kindergärten oder -möbel zu erreichen.

AKZENTE BEI ERZIEHUNGSBAUTEN

Die im Ausland hoch angesehene Architektin lernte durch ihr internationales Engagement fast alle wesentlichen Architekten der Moderne persönlich kennen. Daß sie dabei fast ein Jahrhundert Zeitgeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen durchlebt und überstanden hat, macht sie zu einem Phänomen und Vorbild. Die fast 100jährige Margarete Schütte-Lihotzky lebt heute in ihrer Geburtsstadt Wien.

Monika Bloch


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