MEINUNGEN AUS DER PRAXIS
Ihre Eltern hatten den Baustoffhandel 1948 in Schöneberg gegründet. Daß sie ihn einmal übernehmen und ihn heute gemeinsam mit ihrem Bruder leiten würde, war nicht von vornherein klar. "Mein Werdegang hat Kurven", sagt Anne Keding. Anfangs hätte sie gerne Medizin studiert. Wegen des hohen Numerus Clausus arbeitete sie aber zunächst als Krankenpflegehelferin im Klinikum Steglitz und in Arztpraxen. Dort hatte sie viel mit Krebspatienten zu tun, zum Teil mit schwerkranken, jungen Menschen in ihrem Alter. "Ich habe da häufig sehr mitgelitten und hatte nur wenig Abwehrmechanismen", erinnert sich Anne Keding. Sie entschloß sich deshalb, die medizinische Karriere an den Nagel zu hängen. Im Wintersemester 1972 immatrikulierte sie sich an der TU Berlin in Betriebswirtschaftslehre, beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Steuer- und Wirtschaftsprüfung und erhielt 1978 ihr Diplom. Nach dem Studium, das "manchmal sehr theoretisch" war, arbeitete sie fünf Jahre lang als Steuerfachgehilfin, bevor sie sich dann entschied, in den elterlichen Betrieb zu gehen. Ein wichtiger Grund: Sie wollte mehr mit Menschen zu tun haben, selbst gestaltend tätig werden. Das tut sie zum Beispiel im Umweltschutz, der ihr besonders am Herzen liegt. Am Kapella-Standort Königs Wusterhausen, veranstaltete sie vier Jahre lang einen Umwelttag, auf dem zum Beispiel alle Mitarbeiter gemeinsam Müll sammeln. In diesem Jahr ist eine ganze Umweltwoche geplant, an der auch Kindergärten und Elterninitiativen der Gemeinde mitmachen werden. Auch die anderen 12 Firmen-Standorte - fast alle in Berlin und Brandenburg - betreiben Umweltschutz: Die meisten haben einen Gleisanschluß in ihrer Nähe, damit die Baustoffe so wenig wie möglich mit Lkws transportiert werden. Beim Kapella-Fuhrpark, der immerhin fast 50 Zugmaschinen umfaßt, achtet die Chefin darauf, daß lärm- und abgasarme Fahrzeuge eingesetzt werden. Die Fahrzeug-Kräne, mit denen Paletten, Kartons und Säcke auf der Baustelle abgesetzt werden, sind mit einem elektrischen Antrieb versehen - so kann der Lkw-Motor beim Abladen ausgeschaltet bleiben. Das sei zwar manchmal teurer, weiß Anne Keding, "aber wenn wir ein wachsendes und erfolgreiches Unternehmen sind, dann haben wir eben auch Verpflichtungen für die Umwelt." Man müsse begreifen, die Umwelt als wichtiges und wertvolles Gut zu empfinden und sich dafür einzusetzen, unterstreicht die Mutter zweier Kinder. Das gelte auch für die Universitäten. Sie könnten eine umweltbewußte Einstellung entwickeln und verstärken, betont die Unternehmerin. Eine weitere wichtige Aufgabe der Hochschulen ist ihrer Meinung nach, die Fähigkeit zur Gruppenarbeit zu fördern. "Die Arbeit in Tutorien", erinnert sie sich an ihre TU-Studienzeit, "war für mich ganz besonders wichtig." Im Betrieb sei die Zusammenarbeit später grundlegend, betont sie und fügt hinzu: "Ich bin auch nur im Team gut." Ausbildung ist für Anne Keding ein wichtiges Anliegen. Deshalb ist sie im Beirat der Unternehmerakademie der Berliner Volksbank aktiv, einer Institution, die sich um die Fortbildung von Unternehmern kümmert. Außerdem arbeitet sie an einer Initiative aus Wirtschaft und Wissenschaft mit, die einen neuen Ausbildungsberuf "Bauorganisator" entwickeln will. Über das Vorhaben, das von der Berliner Technologiestiftung gefördert wird, hat ihre Firma sogar "am Rande" Kontakt zur TU Berlin: über den TU-Professor für Baubetrieb Bernd Kochendörfer. Ziel des neuen Berufs soll es sein, die deutschen Baufirmen leistungsfähiger zu machen und ihnen zu helfen, im internationalen Konkurrenzkampf mitzuhalten. "Die deutsche Baubranche ist nicht zu teuer, wir sind bloß nicht effektiv genug", sagt Anne Keding, "Ausbildung ist dabei das A und O." René Schönfeldt © 4/'97 TU-Pressestelle [ ] |