FORSCHUNGWenig Zeit für heiße MetalltropfenSpaceshuttle-Mission wurde aus technischen Gründen vorzeitig abgebrochen - TU-Wissenschaftler konnten aber einen Teil ihrer Spacelab-Experimente durchführen
| ||
Wegen eines defekten Generators für die Stromerzeugung mußte die Raumfähre Columbia samt Weltraumlabor Spacelab am 8. April nach nur vier Tagen wieder auf die Erde zurückkehren. Geplant waren 16 Tage. Unser Bild zeigt die Columbia bei der Landung nach einem Flug im November 1994 | ||
So war es nicht geplant. Schon zwei Tage nach dem Start der amerikanischen Raumfähre Columbia am 4. April stand fest, daß der Flug des Spaceshuttle und des mitgeführten Weltraumlabors "Spacelab" aus technischen Gründen vorzeitig abgebrochen wird. Pech für die beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die im Spacelab Experimente zu Verbrennungsprozessen, Eiweißwachstum und Materialforschung durchführen wollten. Enttäuscht wurden auch zwei Forschergruppen von der TU Berlin: Sie konnten nur einen Teil ihrer Versuche mit Werkstoffen in der Schwerelosigkeit durchführen. Nach nur vier Tagen kehrte das Spaceshuttle reichlich verfrüht am 8. April auf die Erde zurück. Rund 30mal war das Spacelab, ein Gemeinschaftsprojekt der amerikanischen Weltraumbehörde NASA und der europäischen Raumfahrtagentur ESA, bereits im All gewesen; Wissenschaftler hatten hier schon über 500 Experimente durchgeführt. Bei der jüngsten Mission konnten nun zum ersten Mal nur Teile des beabsichtigten Versuchsprogramms abgearbeitet werden. Der Grund: Einer von drei Generatoren der Raumfähre ging zu Beginn des Fluges defekt. Aus Sicherheitsgründen brachen die NASA-Verantwortlichen die Mission ab und holten das Spaceshuttle inklusive Spacelab wieder auf den Boden zurück. TIEGELFREIES SCHMELZEN VON METALL Wissenschaftliche Apparaturen für mehr als 30 Versuchsreihen hatte das Weltraumlabor auf seine kurze Reise mitgenommen. Sie waren von Wissenschaftlern aus den USA, Europa und Japan vorbereitet und im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Microgravity Science Laboratory" (MSL) ins All geschickt worden. Im Inneren des Weltraumlabors, das die Raumfähre Columbia im Huckepack mitführte, waren die Geräte auf speziell angefertigten, etwa mannshohen Gestellen befestigt. In einer der Apparaturen, die auf den ersten Blick an überdimensionale Hi-Fi-Türme erinnern, wurden Verbrennungsprozesse untersucht, in einer anderen wurde das Wachstum von Pflanzen studiert. Einem Gerät namens TEMPUS galt die Aufmerksamkeit einer Handvoll Wissenschaftler vom Institut für Metallische Werkstoffe der TU Berlin. TEMPUS bedeutet "Tiegelfreies elektromagnetisches Prozessieren unter Schwerelosigkeit" und ist eine Apparatur der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA). Mehr als ein Jahr hatten die TU-Forscher sowie deutsche und amerikanische Forscher-Kollegen an der Vorbereitung einer Reihe von TEMPUS-Experimenten gearbeitet, von denen sie nun lediglich einen Teil verwirklichen konnten. Das Interesse der zwei beteiligten Berliner TU-Teams galt Metallen und Materialeigenschaften. Die Arbeitsgruppe von TU-Professor Martin Georg Frohberg untersuchte im Spacelab die Oberflächenspannung einiger Metalle. "Diese Materialeigenschaft beschreibt die Fähigkeit eines Metalls, Kontakt zu einer Grenzfläche herzustellen, und ist bei vielen industriellen Anwendungen von Bedeutung", erläutert Michael Rösner-Kuhn, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Betreuer der Experimente. Die Kenntnis der Oberflächenspannung ist beispielsweise wichtig, wenn man aus Metall Formstücke gießt, oder wenn man Verunreinigungen aus Metallschmelzen filtriert. Mehrere Metalle - unter anderem Gold, Nickel, Zirkon- und Aluminiumlegierungen - wollte das TU-Team im Microgravity Science Laboratory unter die Lupe nehmen. Wegen der vorzeitigen Rückkehr zur Erde konnten die Forscher nur vier von 18 ursprünglich vorgesehenen Proben untersuchen. Als die Missions-Leitung im Kennedy Space Center in Florida einen Tag nach dem Start die vorzeitige Rückkehr der Columbia beschloß, stellten die Wissenschaftler sofort ein Notprogramm auf. Im Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, von wo sie die Experimente per Fernbedienung steuerten, setzte Hektik und eine Phase der Schlaflosigkeit für die beteiligten Wissenschaftler ein. Glück im Unglück: Die TEMPUS-Experimente wurden von der Missionsleitung im Programm nach vorne geschoben. So konnten wenigstens einige der geplanten Metallproben untersucht werden. Für die verbleibende Zeit wählten die Wissenschaftler schließlich zwei Zirkon-Proben und zwei Palladium-Legierungen aus, die sie mit Hilfe der TEMPUS-Apparatur schmelzen und wieder abkühlen liessen. Mit Hilfe optischer Methoden registrierten sie während dessen die Oberflächentemperatur und deren zeitliche Änderung. Da sich die Form eines schwebenden Metalltropfens rhythmisch ändert - der Tropfen zittert -, ergibt sich nämlich ein oszillierendes Temperatur-Zeit-Signal. Diese im All gewonnenen Daten geben den Werkstoff-Experten nach einigen mathematischen Berechnungen Aufschluß über die Oberflächenspannung des untersuchten Metalls. WARUM IM ALL EXPERIMENTIEREN? Aber warum mußten die Forscher ihre Untersuchungen eigentlich im All durchführen? Ähnliche Experimente mit schwebenden Metalltropfen machen sie mit Hilfe einer Spezialapparatur schließlich auch in Berlin (siehe "Potentialtopf statt Schmelztiegel"). Die Antwort: Auf dem Boden stoßen die Wissenschaftler an die Grenzen ihrer Geräte, denn aus technischen Gründen läßt ihre Apparatur keine Untersuchungstemperaturen unter 1000 °C zu. Im All haben es die Wissenschaftler einfacher. Da man dort nicht gegen die Schwerelosigkeit ankämpfen muß, können sie die Versuchsanordnung so betreíben, daß die Metallproben auch bei geringeren Temperaturen untersucht werden können. METALLISCHE GLÄSER Dies ist zum Beispiel für sogenannte metallische Gläser wichtig, eine Gruppe von Metallegierungen, deren Schmelzpunkte häufig unter 900 °C liegen. Sie wurden vom zweiten TU-Team unter Leitung von Professor Hans-Jörg Fecht untersucht. "Technologisch interessant sind die metallischen Gläser, weil sie eine hohe Festigkeit und eine gute Korrosionsbeständigkeit aufweisen", erläutert Dr. Rainer Wunderlich, der die Experimente koordiniert. Diese Materialeigenschaften ergeben sich aus einer faszinierenden Eigenart: Beim Abkühlen aus der Schmelze erstarren sie nicht zu kristallinen Strukturen - wie es bei Metallen normalerweise der Fall ist -, sondern in einer ungeordneten Struktur, die der einer Flüssigkeit sehr ähnlich ist. Aus diesem Grund spricht man von "metallischen Gläsern" in Analogie zu Gläsern, wie man sie aus dem täglichen Leben kennt. Von den drei Zirkon-Legierungen, die die Arbeitsgruppe mit dem Spacelab ins All schickte, konnten zwei im TEMPUS-Kurzprogramms untersucht werden. Im Gegensatz zu ihren TU-Kollegen, die Oberflächenspannungen untersuchten, konzentrierte sich das zweite Berliner Team auf die sogenannte spezifische Wärme. "Diese charakteristische Größe ist später auf der Erde wichtig, um massive Werkstücke aus metallischem Glas zu produzieren", erläutert TU-Forscher Wunderlich. Von den Spacelab-Untersuchungen erhoffen sich die Materialforscher Hinweise darauf, wie metallische Gläser mit konventionellen Gießtechniken hergestellt werden können. TROTZDEM: "GUTE ARBEIT" Der Abbruch der MSL-Mission, die eigentlich erst am 20. April beendet werden sollte, ist für die beteiligten Wissenschaftler enttäuschend. Trotzdem freuen sie sich über die Versuche, die sie durchführen konnten. Eine erste Einschätzung sandte Michael Rösner-Kuhn aus Alabama per E-Mail an die TU-intern-Redaktion: "TEMPUS hat trotz der kurzen Zeit sehr gut gearbeitet." Ein erneuter Einsatz der Apparatur sei realistisch. Dann würde TEMPUS allerdings nicht mehr im Spacelab fliegen, denn weitere Missionen des amerikanisch-europäischen Weltraumlabors sind nicht geplant. In Zukunft sollen Schwerelosigkeitsexperimente nur noch auf der internationalen Weltraumstation stattfinden, die NASA, ESA und andere Raumfahrtorganisationen bis 2002 aufbauen. Die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten wird die TEMPUS-Apparatur dort eventuell installieren. René Schönfeldt
© 4/'97 TU-Pressestelle [ ] |