FORSCHUNG

Auerochsen nach Brandenburg!

TU-Forscher entwickeln ein bemerkenswertes Naturschutzkonzept zur Renaturierung ehemaliger Truppenübungsplätze in Brandenburg

Eine wesentliche Rolle im Naturschutzkonzept der TU-Wissenschaftler spielen große, pflanzenfressende Wildtiere, zum Beispiel Wisente, auerochsenähnliche Rinder und Wildpferde. Sie sollen nach den Vorstellungen der Forscher auf ehemaligen Truppenübungsplätzen angesiedelt werden

Was kommt nach dem Militär? Diese Frage stellt sich für zahlreiche ehemalige Truppenübungsplatze, für die heute nach neuen Nutzungen gesucht wird. Wie die verwaisten Gelände zu Naturschutzgebieten gemacht werden können und welche ungewöhnlichen Tiere dabei hilfreich sind, untersuchte eine Forschergruppe vom Institut für Landschaftsentwicklung.

Der Zusammenhang zwischen der politischen Wende und Vorteilen für den Naturschutz in Deutschland mag zwar auf den ersten Blick nicht so ganz zu erkennen sein, er läßt sich dennoch erklären. Weltweit gibt es ungefähr 1500 Reservate bzw. Nationalparks, in denen ursprüngliche Tier- und Pflanzengesellschaften ohne direkten menschlichen Einfluß leben und sich entwickeln können. Deutschland hinkt in dieser Hinsicht weit hinterher - nur 0,04 % der Landesfläche kann man hier, nach bestimmten Kriterien der Weltnaturschutzunion, als Naturschutzgebiete bezeichnen. Nun hat die Wende dem Naturschutz eine einmalige Chance eingeräumt, denn durch den Abzug alliierter und nationaler Militärs wurden auch deren Truppenübungsplätze nicht mehr als solche benötigt und somit wurden riesige Flächen von bis zu 270 km2 Größe frei.

Zwar wurden diese Gebiete durch die militärischen Übungen häufig arg strapaziert, und sie sind noch dazu mit gefährlichen Stoffen belastet. Sie bieten aber auch viele Vorteile. So überlebten hier bestimmte Arten von Pflanzen und Tieren, besonders Insekten, von denen man annahm, daß sie in Deutschland ausgestorben seien. Ein weiterer wesentlicher Vorteil liegt in den klaren Eigentumsverhältnissen dieser Flächen: Es handelt sich um Landeseigentum ohne Nutzungsansprüche, ohne Wirtschaftsinfrastruktur und mit überwiegend nährstoffarmen Boden- und Gewässerverhältnissen. Zwar haben die betroffenen Landesregierungen bereits einige der Truppenübungsplätze im Sinne des Naturschutzes sichergestellt, wie jedoch auf lange Sicht mit den Flächen umgegangen werden soll, ist noch ungeklärt. Angesichts der allerorten leeren Kassen ist man natürlich an einer möglichst preiswerten Lösung interessiert.

PREISWERTE WILDTIERE

Am Institut für Landschaftsentwicklung der TU Berlin erarbeitet eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Kenneweg ein Naturschutzkonzept für die ehemaligen Truppenübungsplätze. Drei Flächen - Jüterbog West, Glau im Landkreis Teltow-Fläming und die Schönower Heide, fünf Kilometer nördlich von Berlin - werden zur Zeit von zwei Landschaftsplanern, einem Botaniker, einem Zoologen und einem Technischen Assistenten unter die Lupe genommen werden.

Den Wissenschaftlern geht es darum, die großflächigen offenen Landschaften mit ihrem Steppen- und teilweise Wüstencharakter zu erhalten. Diese Flächen, die durchsetzt sind mit alten Baumgruppen, Wäldern, Sümpfen und Quellbereichen, sind in Mitteleuropa einmalige Lebensräume und beherbergen eine Vielzahl seltener oder andernorts ausgestorbener Tier- und Pflanzenarten. Überließe man diese Flächen sich selbst, würden sie sich zu "ordinärem" Wald entwickeln und somit ihren hohen Naturschutzwert als Ersatzlebensraum für bedrohte, an Offenlandschaften wie Heide angepaßte Tier- und Pflanzenarten verlieren.

Normalerweise geht es bei Naturschutzstrategien darum, einzelne Arten zu schützen oder ein Gebiet mit bestimmten Pflegearbeiten, durch Weidetiere oder regelmäßigen Schnitt, zu erhalten. Das erfordert einen hohen Aufwand. Anders das Konzept der TU-Projektgruppe "Konversion - Integrierter Naturschutz". Hier geht man von einem sog. "ökosystemaren Ansatz" aus, d. h. es soll eine Lebensgemeinschaft geschaffen werden, die sich selbst aufrechterhält. Nach einer Anfangsfinanzierung würde dieses Konzept nur geringe Folgekosten nach sich ziehen.

Eine wesentliche Rolle sollen dabei große pflanzenfressende Wildtiere wie Wisente, auerochsenähnliche Rinder und Wildpferde spielen: Sie sollen in den Gebieten angesiedelt werden.

Nun mag man sich fragen, was ein Wisent in Brandenburg verloren hat. Sehr ausführlich zeichnen die Fachleute die Geschichte von Mensch und Natur in Mitteleuropa nach und zeigen auf, daß nacheiszeitlich und teilweise bis ins Mittelalter zahlreiche, zum Teil sehr große Pflanzenfresser, sogenannte Megaherbivoren, in Deutschland gelebt haben. Das Wisent beispielsweise ist hier sogar erst um 1800 ausgestorben. Diese Pflanzenfresser waren durch ihren Einfluß auf die Vegetation für ein vielfältiges und vom heutigen "Einheitswald" abweichendes Landschaftsbild verantwortlich und schufen ein Mosaik von artenreichem und aufgelockertem Mischwald aller Altersstadien mit großen Freiflächen. Diese streckenweise baumarme Landschaft, so betonen die Landschaftspfleger, ist die ursprüngliche und für Brandenburg typische Landschaft, die mit der Ausrottung der ursprünglichen Tierwelt ebenfalls verschwand.

PFLANZENFRESSER HELFEN

Die Truppenübungsplätze bieten nicht nur aufgrund ihrer enormen Größe gute Voraussetzungen für die Wiederansiedlung von großen Pflanzenfressern, sie ähneln darüber hinaus auch aufgrund der urzeitlichen Vegetation, die hier zu finden ist, dem ursprünglichen Lebensraum der frühen Wildtiere. So absurd dies klingen mag, gibt es, zumindest in bezug auf die Entwicklung der Vegetation, dennoch zahlreiche Parallelen zwischen der militärischen Nutzung der Flächen und biotischer Einflüsse. Einer der Gründe liegt darin, daß die Truppenübungsplätze nicht aufgeforstet werden durften, geprägt wurde die Landschaft durch das Befahren mit Militärfahrzeugen, durch Schießübungen und Brände. Entsprechend bildete sich von vegetationslosen Standorten bis hin zu Waldbereichen eine Vielzahl unterschiedlicher Biotope aus. Vergleichbare Folgen haben Fraß, die Wühl- und Grabetätigkeit von Nagetieren, die Trittschäden von Huftieren, Massenvermehrungen und Fraß von Insekten, Pflanzenkrankheitsepidemien, Dürre, Frost, Sturm usw.

HECKRINDER FÜR JÜTERBOG

Geprüft wird in dem Projekt nun, inwieweit sich die Flächen tatsächlich für das Wiedereinbringen von Großtieren eignen, welche Einflüsse auf die jetzt vorhandenen Lebensgemeinschaften zu erwarten sind und für welche Arten in welcher Zahl Lebensraum vorhanden ist.

Auf dem großen Truppenübungsplatz Jüterbog West hätten beispielsweise mehrere Gruppen von Heckrindern (eine Rückzüchtung des Auerochsen), Koniks (eine ursprüngliche, noch lebende Pferdeform), Mufflons (typisches europäisches Wildschaf) und Wisente Platz. Bei ihren Planungen können die Wissenschaftler auf Erfahrungen zurückgreifen, die bei der erfolgreichen Ansiedlung in anderen Gebieten, z. B. in Polen und den Niederlanden, gemacht wurden.

Würde es tatsächlich gelingen, einige der Flächen in Brandenburg nach diesem Konzept umzuwandeln, würde dies jedoch eine landwirtschaftliche, jagdliche oder forstliche Nutzung verbieten, da dies der Idee des sich selbsterhaltenden Ökosystems widersprechen würde.

Als Naherholungsgebiet und für den Tourismus könnten diese Gebiete jedoch weiterhin genutzt werden.

Bis es allerdings tatsächlich zur Umsetzung dieses neuen Ansatzes im Naturschutz kommt, ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Kontakte mit Naturschutzverbänden und Behörden sind dabei genauso wichtig wie Informationsveranstaltungen für die lokale Bevölkerung. Die Wissenschaftler hoffen, daß die Ergebnisse ihrer Untersuchungen dazu führen, daß in geeigneten Gebieten Brandenburgs Großtiere wieder angesiedelt werden. Wenn Sie vielleicht in einigen Jahren bei einem Spaziergang in Jüterbog oder in der Schönower Heide ein Tier sehen, das sie bisher noch nicht kannten, könnte dies eventuell ein Konik sein, und dann wissen Sie, daß sich die Hoffnung der Wissenschaftler erfüllt hat. Bettina Weniger

Bettina Weniger


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