TU intern - Dezember 1997 - Studium

Eine verdeckte Dominanz?

Über die interkulturelle Kommunikation an der Universität

Ist eine Universität, an der viele Ausländer studieren, automatisch ein Ort mit internationaler Atmosphäre und eine Stätte des täglichen, fruchtbaren Austausches zwischen verschiedenen Kulturen? Nein, so einfach geht es nicht, sagt Dr. Nazir Peroz. Die "interkulturelle Kommunikation" zwischen ausländischen und deutschen Kommilitonen und Kommilitoninnen erfordert mehr als einen hohen Ausländeranteil, so die Erfahrung des Betreuers für ausländische Studierende am Fachbereich Informatik. Wie gehen sie beispielsweise miteinander um: selten oder häufig, desinteressiert oder neugierig, oberflächlich oder nachdenklich? Im folgenden Beitrag schreibt Nazir Peroz, wie seiner Meinung nach ein erfolgreiches Miteinander aussehen sollte.

In Bildungseinrichtungen assoziiert man den Begriff interkulturelle Kommunikation häufig mit einem hohen Ausländeranteil. Was spielt sich aber ab in der Kommunikation zwischen Deutschen und Ausländern/innen? Renate Nestvogel unterscheidet in ihrem Buch "Interkulturelles Lernen oder verdeckte Dominanz?" (1991) drei Formen der interkulturellen Kommunikation:

1. vernachlässigende interkulturelle Kommunikation: Ausländer/innen, die für ein Studium in eine Industriegesellschaft kommen, sollen lernen, sich in dieser quasi als unveränderbar aufzufassenden Studieneinrichtung zurechtzufinden. Diese Auffassung von Interkultureller Kommunikation spiegelt sich in der Ausgestaltung des Studiums von Ausländern/innen wieder und macht immer noch einen großen Teil dessen aus, was heute Realität ist. Zum Beispiel ist das Studium an deutschen Hochschulen an den Bedürfnissen der deutschen Industrie orientiert; es fehlen Veranstaltungen, die eine kritische Betrachtungsweise vermitteln. Diese universitären Rahmenbedingungen setzen Maßstäbe für ausländische Studierende. Gemessen an diesen Rahmenbedingungen werden sie als Träger sprachlicher, wissenschaftlicher, sozialer, kultureller und fachlicher Defizite betrachtet, die es zu kompensieren gilt. Ziel ist, daß sich ausländische Studierende anpassen.

Wenn Arbeitsgruppen nur aus deutschen oder nur aus ausländischen Studierenden bestehen, ist die interkulturelle Kommunikation unbefriedigend
2. differenzierende interkulturelle Kommunikation: Ausländische Studierende, die aus anderen Kulturen kommen, sind anders. Inländer/innen werden als Lernende mit einbezogen, die fremde Kulturen kennenlernen. Dies ist häufig als Geste des Entgegenkommens und vertieftes Verständnis für das Fremde gemeint. Vielfach lassen sich aber Tendenzen erkennen, die darauf abzielen, diese fremden Kulturen als zweitrangig oder minderwertig zu klassifizieren. Beispiele dafür lassen sich im täglichen Miteinander deutscher und ausländischer Studierender beobachten. So bilden sich vorzugsweise Arbeitsgruppen deutscher Studierender mit deutschen, so daß ausländische Studierende ausgegrenzt werden. Vorurteile gegen bestimmte Ausländergruppen werden nicht abgebaut, sondern versucht zu bestätigen. Die ausländischen Studierenden erkennen ihre eigene Gesellschaft darin meist nur verzerrt wieder.

3. kritische, reflektierende interkulturelle Kommunikation: Darunter ist nicht nur die Begegnung mit dem Fremden zu verstehen, sondern die Bewußtmachung ethnozentrischen Wahrnehmens, Denkens und Handelns, die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen in kritischer Reflexion mit der eigenen. Das Studium ausländischer Studierender an deutschen Universitäten soll nicht länger als Last gesehen werden, sondern als eine Chance, das eigene Wissen zu erweitern und Kontakte mit dem Ausland aufzunehmen. Anzustreben ist, Lehrinhalte nicht nur für den Einsatz in der hiesigen Gesellschaft zu interpretieren, sondern auch den Einsatz in anderen Ländern kritisch zu bedenken. Leider herrschen häufig die beiden ersten Kategorien der interkulturellen Kommunikation vor, die auf einer weitgehenden Vernachlässigung des ausländischen Kulturgutes beruht - so die Beobachtung von Renate Nestvogel. Eine Umfrage unter ausländischen Studierenden am Fachbereich Informatik hat 1995 gezeigt, daß das Studium ausländischer Studierender durch den Mangel an Kontakten zu deutschen Kommilitonen/innen geprägt ist. Man lebt nebeneinander her, Arbeitsgruppen sind selten gemischt, meist homogen-national. Wie sollen sich deutsche und ausländische Kommilitonen/innen da näher kommen? Wie können so Vorurteile abgebaut werden? Wie sollen sich ausländische Studierende integriert fühlen? Ist es da verwunderlich, wenn internationale Zusammenarbeit ausbleibt; wenn Nachkontakte zur Gast-Universität wenig gepflegt werden?

Nazir Peroz
Zum Weiterlesen:
  1. Entwicklung und Zusammenarbeit: Hochschulstandort Deutschland für Studenten aus Entwicklungsländern nicht mehr attraktiv? 38. Jg.1997: 9 September.
  2. Renate Nestvogel: Interkulturelles Lernen oder verdeckte Dominanz? Verlag für interkulturelle Kommunikation, Frankfurt am Main, 1991.


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