TU intern - Dezember 1997 - Wissenschaft

"Bananamania" bei Flüssigkristall-Forschern

Flüssigkristalle, so meinte man jedenfalls bis vor wenigen Jahren, sind aus stab- oder scheibenförmigen Molekülen aufgebaute Materialien. Ähnlich wie Baumstämme in der Strömung eines Flusses, so die Vorstellung, ordnen sich die Moleküle aufgrund ihrer Gestalt weitgehend parallel zueinander an und bleiben dabei trotzdem flüssig. Die Kombination dieser Eigenschaften bildet letztlich die Grundlage ihrer erfolgreichen Anwendung in elektrooptischen Anzeigeelementen, die als sogenannte LCDs (liquid crystal displays) beispielsweise in Taschenrechnern, Handys oder Laptops eingesetzt werden.

Dieses Bild von Flüssigkristallen geriet nun gehörig ins Wanken: Japanische Wissenschaftler versetzten die Fachwelt mit Berichten über bananenförmige Flüssigkristallmoleküle in Erstaunen. Nicht nur, daß diese neuartigen Flüssigkristalle weder stab- noch scheibenförmig und trotzdem flüssigkristallin sind. Sie weisen zudem eine bisher nicht gekannte Art der Selbstorganisation im flüssigen Zustand auf: Sie bilden Strukturen aus, die sich wie Hände oder Schrauben von ihrem Spiegelbild unterscheiden, obwohl die Moleküle selbst spiegelsymmetrisch sind. Diese Eigenschaft, in zwei spiegelbildlichen Formen zu existieren, die nicht miteinander zur Deckung gebracht werden können, nennt man Chiralität; chirale Moleküle bewirken die optische Aktivität einer Substanz.

Die Oberfläche einer festen Phase bananenförmiger Flüssigkristallmoleküle: Sie zeigt wurmähnliche Strukturen, in denen enge Linien auftreten. Die Linienabstand beträgt fünf bis sechs millionstel Millimeter - das entspricht der Länge eines einzelnen Moleküls. Aus der Aufnahme, die mit einem dynamischen Kraftfeldmikroskop gewonnen wurde, läßt sich schließen, daß die Moleküle ähnlich den Geländerstützen einer Wendeltreppe spiralförmig angeordnet sind, das heißt im abgebildeten Bereich eine rechtshändige Schraubenstruktur aufweisen.

"Die Bananen-Flüssigkristalle weisen ferroelektrische Eigenschaften auf und lassen sich durch elektrische Felder sehr schnell schalten, teilweise zehnmal schneller als die bis dahin bekannten Flüssigkristalle", erläutert Sebastian Rauch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich (Sfb) 335 "Anisotrope Fluide" an der TU Berlin. Diese Fähigkeit, die erst im vergangenen Jahr bei den bereits 1994 entdeckten Bananen-Flüssigkristallen festgestellt wurde, macht sie für den Einsatz in LCDs prinzipiell interessant. "Die Entdeckung dieser Flüssigkristalle und ihrer speziellen Eigenschaften", berichtet Rauch, "löste eine wahre Bananamania in der Fachwelt aus". Jedoch befindet sich die Forschung noch im Anfangsstadium, die chirale Strukturbildung ist noch völlig unverstanden, und das schnelle Schalten ist im Augenblick nur bei Temperaturen von ca. 150 Grad Celsius zu beobachten.

An der TU Berlin untersuchen die Flüssigkristallforscher um Prof. Dr. Gerd Heppke im Rahmen des Sfb 335 die elektrooptischen und elektrischen Eigenschaften sowie den Molekülaufbau. Zusammen mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jürgen Rabe von der Humboldt-Universität untersuchen sie außerdem die molekulare Anordnung der Bananen-Flüssigkristalle durch eine Analyse der Oberfläche mit Hilfe der Atomkraftmikroskopie.

Kürzlich trafen sich Wissenschaftler aller weltweit auf diesem Gebiet tätigen Forschergruppen auf einem Workshop an der TU Berlin, um die neuesten Ergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren.

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